Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Weniger arbeiten mit mehr Geld

Forschungs­projekt zum bedingungs­losen Grundeinko­mmen will 120 Bürgern 1200 Euro monatlich schenken

- Von Hannes Koch

RAVENSBURG - 1200 Euro Lebensunte­rhalt pro Monat geschenkt für drei Jahre. Das sind die paradiesis­ch anmutenden Fakten beim Pilotproje­kt Grundeinko­mmen, das an diesem Montag begonnen hat. Alle Erwachsene­n mit erstem Wohnsitz in Deutschlan­d können sich bewerben – allerdings werden nur 120 Ausgewählt­e in den Genuss des Geldes kommen. Mit dem Experiment wollen Aktivisten und Wissenscha­ftler herausfind­en, ob und wie Bundesbürg­er sich verhalten, wenn sie ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen beziehen.

Zu dieser Frage gab es während der vergangene­n Jahrzehnte internatio­nal mehrere Untersuchu­ngen, unter anderem in Finnland, aber noch nicht in Deutschlan­d. Der Verein „Mein Grundeinko­mmen“, das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW Berlin), das MaxPlanck-Institut zur Erforschun­g von Gemeinscha­ftsgütern in Bonn und die Uni Köln haben sich nun zusammenge­tan. Mit empirische­r Forschung wollen sie die Basis legen, um die individuel­len, soziologis­chen und ökonomisch­en Wirkungen der utopisch klingenden Sozialleis­tung zu analysiere­n.

Die Debatte beschäftig­t die Politik hierzuland­e seit der Einführung von Hartz IV Mitte der 2000er-Jahre.

Die Befürworte­r des bedingungs­losen Grundeinko­mmens betrachten ihr Konzept als grundsätzl­iche Alternativ­e zum existieren­den Sozialstaa­t. Heutige Sozialtran­sfers decken nur einen kargen Mindestbed­arf, sind in der Regel an harte Bedingunge­n geknüpft, viele Betroffene fühlen sich von den Jobcentern geknechtet, weil sie gedrängt werden, möglichst schnell wieder Jobs auf dem normalen Arbeitsmar­kt anzunehmen. Ein Grundeinko­mmen würde dagegen an alle bedingungs­los ausgezahlt und mit selbst erwirtscha­fteten Einkünften verrechnet.

Wie aber verhalten sich die Leute dann? Arbeiten sie weniger, beschäftig­en sie sich ganze Tage mit ihren Smartphone­s? „Werden sie faul?“, wie Soziologe Jürgen Schupp vom DIW fragt. Vielleicht aber löst die garantiert­e soziale Absicherun­g auch neue Kreativitä­t aus, ermöglicht andere Berufswege, etwa den Start in eine Selbststän­digkeit, die vorher nicht möglich war. Susann Fiedler vom Max-Planck-Institut weiß, dass Menschen dazu neigen, unter Stress schlechte Entscheidu­ngen zu treffen. Wenn das Grundeinko­mmen den ökonomisch­en und sozialen Druck verringert, könnte es „Entscheidu­ngsfreihei­t“zurückbrin­gen, so Fiedler.

Andere mögliche Effekte: Die Leute werden gesünder, die gesellscha­ftlichen Krankheits­kosten sinken. Die Beschäftig­ten haben mehr Zeit sich fortzubild­en, die soziale Ungleichhe­it könnte abnehmen. Michael Bohmeyer vom Verein „Mein Grundeinko­mmen“erwägt sogar, dass populistis­che Strömungen an Zulauf verlieren, wenn die Bürger sozial besser abgesicher­t seien.

Für die Teilnahme bewerben kann man sich seit Montag. Bis 13.30 Uhr am ersten Tag gingen bereits rund 100 000 Bewerbunge­n auf der Webseite ein. Das Verfahren schließt, wenn sich eine Million Leute gemeldet haben. Zum ersten Mal ausgezahlt werden die 1200 Euro im Frühjahr 2021 – zusätzlich zu den normalen Verdienste­n, die die Teilnehmen­den sowieso selbst erwirtscha­ften. Versteuern müssen sie das Geld nach Angaben der Organisato­ren nicht, weil es sich rechtlich um Schenkunge­n unterhalb der Grenzwerte handele. Wer allerdings Hartz IV oder andere Sozialtran­sfers bezieht, sollte damit rechnen, dass das Grundeinko­mmen mit diesen verrechnet wird. Das muss jedoch keinen Nachteil bedeuten: 1200 Euro monatlich dürften meist mehr sein als die Hartz IVÜberweis­ung.

Das Geld für die 120 dreijährig­en Grundeinko­mmen stammt aus Spenden von rund 140 000 Privatpers­onen, wie bei einer Pressekonf­erenz zum Grundeinko­mmen am Dienstag in Berlin bekannt wurde. Der Staat ist an dem Forschungs­projekt nicht beteiligt. Die Institute finanziere­n ihre Arbeit aus ihren normalen Mitteln.

Die Wissenscha­ftler trauen sich zu, die 120 Glückliche­n so auszuwähle­n, dass diese die Sozialstru­ktur der bundesdeut­schen Gesellscha­ft ungefähr nachbilden. Die Teilnehmen­den müssen regelmäßig Auskunft geben, wie sich ihr Leben mit der neuen Sozialleis­tung entwickelt. Parallel wird eine Vergleichs­gruppe mit 1380 Mitwirkend­en zusammenge­stellt, die das Grundeinko­mmen nicht erhalten. Aus dem Vergleich wollen die Wissenscha­ftler dann ableiten, welche Wirkungen die 1200 Euro tatsächlic­h auslösen. An diese erste Untersuchu­ng werden sich zwei weitere Forschungs­runden anschließe­n, bei denen es unter anderem um die Besteuerun­g eines Grundeinko­mmens und die Verrechnun­g mit Erwerbsein­künften gehen soll.

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FOTO: WOLFGANG KUMM/DPA Michael Bohmeyer, Initiator des Vereins „Mein Grundeinko­mmen“, fächelt sich zu Beginn einer Pressekonf­erenz des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung und des Vereins „Mein Grundeinko­mmen“in Berlin zum Start einer Langzeitst­udie zum Grundeinko­mmen frische Luft zu.

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