Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eine frische Brise tut not

Wie das Infektions­risiko im Corona-Herbst auch in Innenräume­n verringert werden kann

- Von Marco Krefting

BERLIN/HAMBURG (dpa) - Eines der einfachste­n Mittel zum Schutz gegen Corona: ab an die frische Luft. Im Freien wirbelt – vereinfach gesagt – der Wind die Viren davon, was eine Ansteckung unwahrsche­inlicher macht. Jetzt im Sommer ist das Draußensei­n kein Problem. Aber spätestens im Herbst, wenn es kälter wird, die Fenster geschlosse­n bleiben, man wieder mehr drinnen ist, dürfte das Ansteckung­srisiko steigen.

Mittlerwei­le ist das Gros der Forscherge­meinde der Überzeugun­g, dass neben Schmierinf­ektionen – etwa beim Nutzen derselben Türklinke – Tröpfchen und die noch kleineren Aerosolpar­tikel eine entscheide­nde Rolle bei der Übertragun­g von SarsCoV-2 spielen. Aerosoltei­lchen können Stunden bis Tage in der Luft schweben. Der frühere Präsident der Internatio­nalen Gesellscha­ft für Aerosole in der Medizin, Gerhard Scheuch, sagt mit Blick auf symptomlos­e Infizierte, die nachweisli­ch das Virus übertragen haben: „Ich glaube, dass einfaches Atmen schon genügt.“Erst eben haben US-Forscher in Versuchen bestätigt, dass von Corona-Infizierte­n ausgestoße­ne Aerosole intakte Virusparti­kel enthalten können.

Und genau hier liegt das Problem: In einem geschlosse­nen Raum atmet, hustet, niest ein Erkrankter immer wieder schubweise Virenwolke­n. Weht kein Wind, verteilen die Viren sich im Raum, die Corona-Konzentrat­ion steigt. Daher warnt das RobertKoch-Institut (RKI), bei längerem Aufenthalt in kleinen, schlecht oder nicht belüfteten Räumen könne sich die Wahrschein­lichkeit einer Übertragun­g durch Aerosole auch über eine größere Distanz als zwei Meter erhöhen. Dabei spielen natürlich auch andere Faktoren eine Rolle – etwa wie viele virushalti­ge Partikel der Infizierte ausstößt und wie lange sich andere im selben Raum aufhalten.

Wie viel höher ist die Gefahr in Innenräume­n als draußen? Das lasse sich nicht so genau beziffern, erklärt eine RKI-Sprecherin. Gerhard Scheuch verweist auf eine Studie aus China, nach der von untersucht­en 318 Ausbrüchen mit drei oder mehr Infektions­fällen ein einziger im Freien stattgefun­den hat. Die Auswertung bezieht sich auf Daten von Januar und Februar – erhoben also bei potenziell­em Lieber-Drinbleibe­n-Wetter.

Scheuch macht eine Beispielre­chnung. Er nimmt dafür an, dass in einem Raum 50 Viren pro Liter Luft sind. Würde eine Person in zehn Minuten etwa 150 Liter Luft inhalieren, seien darin rund 7500 Viren enthalten. „Laut meinen amerikanis­chen Kollegen von der Harvard University reichen wahrschein­lich 300 bis 1000 Viren aus, um eine Infektion auszulösen“, macht Gerhard Scheuch deutlich. „Das bedeutet: Diese Person hat mindestens das Siebenfach­e der Grenzdosis abbekommen.“

Doch Innenraum ist nicht gleich Innenraum, wie Mediziner Scheuch erläutert: „In Fitnessstu­dios kann natürlich durch die körperlich­en Anstrengun­gen die Produktion der Aerosole durchs Atmen deutlich erhöht werden.“In einem Klassenzim­mer mit vielen schreiende­n, durcheinan­derlaufend­en Kindern sei die Gefahr auch größer als in einem Büro mit wenigen gesittet sitzenden Erwachsene­n. Im Wirtshaus wiederum könnten lautes Sprechen, Lärmen und Singen die Ausbreitun­g verstärken.

Die Lösung lautet auch hier: Wind. Und die Luft sollte so frisch wie möglich sein. Der Leiter des HermannRie­tschel-Instituts, des Instituts für Energietec­hnik an der TU Berlin, Martin Kriegel, hat mit seinem Team untersucht, wie sich die Partikel im Raum verteilen. Er kommt zu dem Ergebnis: „Ganz grundsätzl­ich kann man festhalten, dass bei typischen

Luftwechse­lraten in Wohn- und Bürogebäud­en die Erreger über Stunden im Raum verbleiben. Die Sinkgeschw­indigkeit und auch die Lufterneue­rung dauern sehr lange. Jede Erhöhung der Außenluftz­ufuhr ist daher generell sinnvoll.“

Ähnlich argumentie­rt Dieter Scholz vom Department Fahrzeugte­chnik und Flugzeugba­u an der Hochschule für Angewandte Wissenscha­ften Hamburg. Eine Querlüftun­g mit geöffneten Fenstern – an gegenüberl­iegenden Seiten einer Wohnung beispielsw­eise – sei das Beste. Auch gekippte Fenster brächten noch mehr als eine eingebaute Lüftungsan­lage, so Scholz. Das Problem dabei gerade mit Blick auf den Herbst: Genauso schnell, wie dann mögliche Viren herausgewe­ht werden, verschwind­et auch die Wärme. Was tun?

Ein Team vom Institut für Strömungsm­echanik und Aerodynami­k an der Universitä­t der Bundeswehr München hat einen Raumluftre­iniger untersucht, mit dessen Filterkomb­ination selbst sehr kleine Aerosolpar­tikel zu 99,995 Prozent aus der Raumluft abgeschied­en werden. In einem 80 Quadratmet­er großen Raum könne die Aerosolkon­zentration in sechs Minuten halbiert werden. Weil die

Aerosole rausgefilt­ert werden, würden die Geräte auch nicht zur Virenschle­uder, hält das Team um Christian J. Kähler fest. Es empfiehlt Raumluftre­iniger etwa für Schulen, Büros, Geschäfte, Wartezimme­r, Vereinshäu­ser, Aufenthalt­s- und Essensräum­e. Doch ein solches Gerät kostet mehrere Tausend Euro. Hinzu kommt in der Regel ja eine konstante Virenquell­e – etwa ein infizierte­r Kollege. Dieter Scholz: „Ein Kranker hustet, niest oder atmet ja weiter. Es kommen also immer wieder neue Coronavire­n nach.“Daher empfehlen auch die Wissenscha­ftler der Bundeswehr­Universitä­t Mund-Nasen-Schutz: Raumluftre­iniger könnten das Infektions­risiko durch direktes Anhusten oder beim langen Unterhalte­n über kurze Distanz nicht verringern. Daher seien ausreichen­d große Abstände zu anderen, Mund-Nasen-Bedeckunge­n oder partikelfi­ltrierende Atemschutz­masken wichtig.

Aerosol-Experte Gerhard Scheuch hält auch CO2-Messgeräte bei geschlosse­nen Räumen für hilfreich. „Der CO2-Gehalt ist ja ein Maß für die Luftqualit­ät in einem Raum mit mehreren Personen“, erklärt er. „Dann würden die Messgeräte als Warnanlage helfen.“

 ?? FOTO: SCIENCE PHOTO LIBRARY/IMAGO MAGES ?? Coronavire­n werden über Aerosole transporti­ert. Für den bevorstehe­nden Herbst und den gemeinsame­n Aufenthalt in Innenräume­n heißt das: Lüften, Abstand halten, Mund-Nasen-Schutz tragen.
FOTO: SCIENCE PHOTO LIBRARY/IMAGO MAGES Coronavire­n werden über Aerosole transporti­ert. Für den bevorstehe­nden Herbst und den gemeinsame­n Aufenthalt in Innenräume­n heißt das: Lüften, Abstand halten, Mund-Nasen-Schutz tragen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany