Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Eine frische Brise tut not
Wie das Infektionsrisiko im Corona-Herbst auch in Innenräumen verringert werden kann
BERLIN/HAMBURG (dpa) - Eines der einfachsten Mittel zum Schutz gegen Corona: ab an die frische Luft. Im Freien wirbelt – vereinfach gesagt – der Wind die Viren davon, was eine Ansteckung unwahrscheinlicher macht. Jetzt im Sommer ist das Draußensein kein Problem. Aber spätestens im Herbst, wenn es kälter wird, die Fenster geschlossen bleiben, man wieder mehr drinnen ist, dürfte das Ansteckungsrisiko steigen.
Mittlerweile ist das Gros der Forschergemeinde der Überzeugung, dass neben Schmierinfektionen – etwa beim Nutzen derselben Türklinke – Tröpfchen und die noch kleineren Aerosolpartikel eine entscheidende Rolle bei der Übertragung von SarsCoV-2 spielen. Aerosolteilchen können Stunden bis Tage in der Luft schweben. Der frühere Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin, Gerhard Scheuch, sagt mit Blick auf symptomlose Infizierte, die nachweislich das Virus übertragen haben: „Ich glaube, dass einfaches Atmen schon genügt.“Erst eben haben US-Forscher in Versuchen bestätigt, dass von Corona-Infizierten ausgestoßene Aerosole intakte Viruspartikel enthalten können.
Und genau hier liegt das Problem: In einem geschlossenen Raum atmet, hustet, niest ein Erkrankter immer wieder schubweise Virenwolken. Weht kein Wind, verteilen die Viren sich im Raum, die Corona-Konzentration steigt. Daher warnt das RobertKoch-Institut (RKI), bei längerem Aufenthalt in kleinen, schlecht oder nicht belüfteten Räumen könne sich die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz als zwei Meter erhöhen. Dabei spielen natürlich auch andere Faktoren eine Rolle – etwa wie viele virushaltige Partikel der Infizierte ausstößt und wie lange sich andere im selben Raum aufhalten.
Wie viel höher ist die Gefahr in Innenräumen als draußen? Das lasse sich nicht so genau beziffern, erklärt eine RKI-Sprecherin. Gerhard Scheuch verweist auf eine Studie aus China, nach der von untersuchten 318 Ausbrüchen mit drei oder mehr Infektionsfällen ein einziger im Freien stattgefunden hat. Die Auswertung bezieht sich auf Daten von Januar und Februar – erhoben also bei potenziellem Lieber-Drinbleiben-Wetter.
Scheuch macht eine Beispielrechnung. Er nimmt dafür an, dass in einem Raum 50 Viren pro Liter Luft sind. Würde eine Person in zehn Minuten etwa 150 Liter Luft inhalieren, seien darin rund 7500 Viren enthalten. „Laut meinen amerikanischen Kollegen von der Harvard University reichen wahrscheinlich 300 bis 1000 Viren aus, um eine Infektion auszulösen“, macht Gerhard Scheuch deutlich. „Das bedeutet: Diese Person hat mindestens das Siebenfache der Grenzdosis abbekommen.“
Doch Innenraum ist nicht gleich Innenraum, wie Mediziner Scheuch erläutert: „In Fitnessstudios kann natürlich durch die körperlichen Anstrengungen die Produktion der Aerosole durchs Atmen deutlich erhöht werden.“In einem Klassenzimmer mit vielen schreienden, durcheinanderlaufenden Kindern sei die Gefahr auch größer als in einem Büro mit wenigen gesittet sitzenden Erwachsenen. Im Wirtshaus wiederum könnten lautes Sprechen, Lärmen und Singen die Ausbreitung verstärken.
Die Lösung lautet auch hier: Wind. Und die Luft sollte so frisch wie möglich sein. Der Leiter des HermannRietschel-Instituts, des Instituts für Energietechnik an der TU Berlin, Martin Kriegel, hat mit seinem Team untersucht, wie sich die Partikel im Raum verteilen. Er kommt zu dem Ergebnis: „Ganz grundsätzlich kann man festhalten, dass bei typischen
Luftwechselraten in Wohn- und Bürogebäuden die Erreger über Stunden im Raum verbleiben. Die Sinkgeschwindigkeit und auch die Lufterneuerung dauern sehr lange. Jede Erhöhung der Außenluftzufuhr ist daher generell sinnvoll.“
Ähnlich argumentiert Dieter Scholz vom Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Eine Querlüftung mit geöffneten Fenstern – an gegenüberliegenden Seiten einer Wohnung beispielsweise – sei das Beste. Auch gekippte Fenster brächten noch mehr als eine eingebaute Lüftungsanlage, so Scholz. Das Problem dabei gerade mit Blick auf den Herbst: Genauso schnell, wie dann mögliche Viren herausgeweht werden, verschwindet auch die Wärme. Was tun?
Ein Team vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik an der Universität der Bundeswehr München hat einen Raumluftreiniger untersucht, mit dessen Filterkombination selbst sehr kleine Aerosolpartikel zu 99,995 Prozent aus der Raumluft abgeschieden werden. In einem 80 Quadratmeter großen Raum könne die Aerosolkonzentration in sechs Minuten halbiert werden. Weil die
Aerosole rausgefiltert werden, würden die Geräte auch nicht zur Virenschleuder, hält das Team um Christian J. Kähler fest. Es empfiehlt Raumluftreiniger etwa für Schulen, Büros, Geschäfte, Wartezimmer, Vereinshäuser, Aufenthalts- und Essensräume. Doch ein solches Gerät kostet mehrere Tausend Euro. Hinzu kommt in der Regel ja eine konstante Virenquelle – etwa ein infizierter Kollege. Dieter Scholz: „Ein Kranker hustet, niest oder atmet ja weiter. Es kommen also immer wieder neue Coronaviren nach.“Daher empfehlen auch die Wissenschaftler der BundeswehrUniversität Mund-Nasen-Schutz: Raumluftreiniger könnten das Infektionsrisiko durch direktes Anhusten oder beim langen Unterhalten über kurze Distanz nicht verringern. Daher seien ausreichend große Abstände zu anderen, Mund-Nasen-Bedeckungen oder partikelfiltrierende Atemschutzmasken wichtig.
Aerosol-Experte Gerhard Scheuch hält auch CO2-Messgeräte bei geschlossenen Räumen für hilfreich. „Der CO2-Gehalt ist ja ein Maß für die Luftqualität in einem Raum mit mehreren Personen“, erklärt er. „Dann würden die Messgeräte als Warnanlage helfen.“