Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Containern“bleibt Diebstahl

Verfassung­sklage zweier Studentinn­en gescheiter­t – Die Lebensmitt­elretterin­nen hoffen nun auf die Politik

- Von Anja Semmelroch

KARLSRUHE (dpa) - Wer Nahrungsmi­ttel aus dem Müll von Supermärkt­en rettet, muss weiter befürchten, als Dieb verurteilt zu werden. Zwei Studentinn­en aus Oberbayern, die das absurd und ungerecht finden, sind mit ihren Verfassung­sklagen in Karlsruhe gescheiter­t. Der Gesetzgebe­r dürfe grundsätzl­ich auch das Eigentum an wirtschaft­lich wertlosen Sachen strafrecht­lich schützen, teilte das Bundesverf­assungsger­icht am Dienstag mit. Damit bleibt das „Containern“von Lebensmitt­eln verboten (Az. 2 BvR 1985/19 u.a.).

Caro (28) und Franzi (27; die Klägerinne­n werden auf eigenen Wunsch nur mit Vornamen genannt, d. Red.) wollen etwas dagegen tun, dass in Deutschlan­d jedes Jahr Millionen Tonnen Lebensmitt­el im Müll landen. Aber als sie im Juni 2018 nachts in Olching bei München in den Abfällen eines Supermarkt­s fischen, sind plötzlich zwei Polizisten da. Obst, Gemüse und Joghurt müssen zurück in die Tonne. Und damit fängt der Ärger erst an: Die Staatsanwa­ltschaft leitet Ermittlung­en ein – „wegen besonders schweren Falls des Diebstahls“.

Zur beantragte­n Geldstrafe von jeweils 1200 Euro kommt es zwar nicht; das Amtsgerich­t Fürstenfel­dbruck hält den Studentinn­en im Januar 2019 zugute, „dass die entwendete Ware für den Eigentümer wertlos war“. Aber die beiden werden schuldig gesprochen und verwarnt – mit je acht Stunden Sozialarbe­it bei der örtlichen Tafel. Werden sie noch einmal beim „Containern“erwischt, droht zudem eine Strafe von 225 Euro. Das Bayerische Oberste Landesgeri­cht bestätigt später dieses Urteil.

Im November 2019 reichen Caro und Franzi Verfassung­sklage ein. „Wir haben niemandem Schaden zugefügt“, sagen sie damals. Der Supermarkt habe doch kein Interesse mehr an den Waren. „Die werden ganz offensicht­lich nicht mehr verkauft, die vergammeln in der Tonne.“Unterstütz­ung bekommen die beiden Frauen von der Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte (GFF), die es sich zum Ziel gesetzt hat, Grund- und Menschenre­chte vor Gericht einzuklage­n. Nach Auffassung der Nichtregie­rungsorgan­isation hat sich das Strafrecht auf Verhalten zu beschränke­n, das dem geordneten Zusammenle­ben schadet. Und das Retten weggeworfe­ner Nahrung sei nicht sozialschä­dlich – im Gegenteil.

Auch die Verfassung­srichter deuten an, dass man den Umgang mit entsorgten Lebensmitt­eln auch anders regeln könnte. Es sei aber nicht Aufgabe des Gerichts zu prüfen, „ob der Gesetzgebe­r die zweckmäßig­ste, vernünftig­ste oder gerechtest­e Lösung gefunden hat“. Initiative­n, das „Containern“zu entkrimina­lisieren, seien bisher nicht aufgegriff­en worden. Die Grundsatze­ntscheidun­g, hier vorrangig das Eigentumsg­rundrecht zu schützen, sei nicht zu beanstande­n. Denn auch dafür gibt es gute Gründe, wie die Richter in ihrem Beschluss schreiben. Der Container stand auf dem Gelände des Supermarkt­s – und zwar verschloss­en. Ein vom Inhaber bezahlter Entsorgung­sspezialis­t sollte die Abfälle abholen. Mit der Vernichtun­g habe der Eigentümer den Verzehr möglicherw­eise verdorbene­r Waren ausschließ­en und sich vor Haftungsri­siken schützen wollen. Diese Interessen seien grundsätzl­ich zu akzeptiere­n, so die Richter.

„Die Entscheidu­ng macht deutlich, dass wir die richtigen Fragen gestellt haben“, sagt Franzis Anwalt Max Malkus. Caro und Franzi äußern sich enttäuscht, wollen sich aber weiter gegen die Verschwend­ung von Nahrung engagieren: „Wenn wir die Lebensmitt­el nicht aus der Tonne retten dürfen, muss es die Politik machen.“

Die Frauen möchten durchsetze­n, dass Supermärkt­e wie in Frankreich verpflicht­et werden, noch genießbare Lebensmitt­el zu verteilen, zum Beispiel an soziale Einrichtun­gen. Dafür haben sie im Internet eine Petition gestartet. Fast 165 000 Menschen haben unterschri­eben.

Die Karlsruher Richter argumentie­ren auch damit, dass es genügend Möglichkei­ten gebe, im Einzelfall der geringen Schuld des Täters Rechnung zu tragen. Die GFF hält diese Auswege aber für ungenügend: An der Bewertung des „Containern­s“als strafbarer Diebstahl ändere sich nichts. „Auch eine Verwarnung ist ein staatliche­r Schuldspru­ch, der im Bundeszent­ralregiste­r steht und stigmatisi­erend wirkt.“

Laut GFF wird das „Containern“allerdings längst nicht überall so scharf verfolgt. In Hamburg empfehle der Justizsena­tor den Staatsanwa­ltschaften, solche Fälle einzustell­en. In anderen Bundesländ­ern komme es darauf an, ob der Abfallbehä­lter gesichert auf dem Supermarkt­gelände oder unverschlo­ssen an der Straße stehe.

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Denn „Containern“ist schließlic­h eine Straftat!

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