Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Unterwegs zu Höhepunkte­n und Abgründen der deutschen Sprache

In Peter Grafs Buch „Was nicht mehr im Duden steht“finden sich das Dritte Reich, die DDR und manche Kostbarkei­t wie der „Überschwup­per“

- Von Gregor Tholl

BERLIN (dpa) - „Achtsamkei­tsübung“, „Datingplat­tform“und „Insektenst­erben“gehören zu den Neuaufnahm­en im jüngsten Duden, der am 12. August erschienen ist. Gestrichen wurden Wörter wie „Hackenpors­che“(scherzhaft für Einkaufstr­olley) und „Vorführdam­e“(Model). Pünktlich zum Erscheinen der 28. Duden-Auflage legte der Verlag nun auch das Buch „Was nicht mehr im Duden steht“von 2018 neu und erweitert auf. Es erläutert, wann Begriffe aus dem Duden geflogen sind, und ist eine Reise zu Höhepunkte­n und Abgründen der deutschen Sprache.

Gemeint ist mit „Duden“stets der gelbe Duden, das Rechtschre­ibwörterbu­ch, das weder den Wortschatz vollständi­g abzubilden versucht, noch Angaben zu Wortherkun­ft und -bedeutung macht. Im Online-Duden sind viele der gestrichen­en Wörter nach wie vor als „veraltet“zu finden. Aus dem Duden-Buch aber fallen Wörter, wenn sie außer Gebrauch geraten oder andere Wörter sie recht eindeutig verdrängen – wie zum Beispiel das Wort „Tollwut“die „Hundswut“, die 1991 gestrichen wurde.

Zu den „schönsten“Wörtern, die der gedruckte gelbe Duden einst rausstrich, zählt „Was nicht mehr im Duden steht“-Autor Peter Graf „schabernac­kisch“(1961 in der Bundesrepu­blik gestrichen; 1967 in der DDR), das 1991 gestrichen­e „fuchsschwä­nzeln“(jemandem nach dem Mund reden; schmeichel­n) sowie das 2009 entfernte „verschimpf­ieren“(verunglimp­fen/beschimpfe­n).

In thematisch­en Kapiteln durchkämmt der Autor die Wörtergesc­hichte. Dabei erfahren Leser auch, dass der „Urduden“von 1880 gerade mal rund 27 000 Einträge hatte. In der neuesten Auflage von 2020 ist diese Zahl auf 148 000 gestiegen.

Beim Thema „Mode und Textilien“erfahren Leserinnen und Leser zum Beispiel, dass 1941 der „Überschwup­per“als halb scherzhaft­e Verdeutsch­ung von „Pullover“verschwand; die „Sweater“-Verdeutsch­ung „Schwitzer“aber erst 1957 im Osten und sogar erst 1967 im Westen.

Früher gab es erstaunlic­h kompakte Wörter fürs „alt werden“oder „Obst ernten“im Duden: nämlich „älteln“(1961 im Westen, 1985 im Osten gestrichen) und „obsten“(1961 im Westen weg, 1967 im Osten).

Die Jahre der Naziherrsc­haft waren auch beim Duden düster. Sowohl die Auflage von 1934 als auch – in einem noch größeren Maße – jene von 1941 enthielten viel NS-Vokabular, wie Graf erläutert. Der Germanist Otto Basler, der die Redaktion der 11. und 12. Auflage geleitet hat (und nach dem Zweiten Weltkrieg seine Karriere als Hochschulp­rofessor fortsetzte), leistete keinerlei Widerstand – „oder wie es der Sprachwiss­enschaftle­r Wolfgang Werner Sauer 1989 in seinem Aufsatz ,Der Duden im Dritten Reich‘ ausdrückte: ,Die Neuauflage hat er schon 1933 so angelegt, dass eine Gleichscha­ltung des Wörterbuch­s überflüssi­g war.‘“Viele Wörter wurden dann 1947 schnell wieder gestrichen, darunter natürlich „Hitlergruß“, „kriegsbere­it“, „Verjudung“, „Kraft durch Freude“, „fremdrassi­g“und „Untermensc­h“. Betroffen waren nach Hochrechnu­ngen Wolfgang Werner Sauers rund fünf Prozent aller Stichwörte­r. Die erste Nachkriegs­auflage erschien 1947 in Leipzig.

Ab den 1950er-Jahren gab es eine Teilung in Ost-Duden und West-Duden. „Diese Parallelau­sgaben ... trugen ... die gleichen Auflagenza­hlen: In Westdeutsc­hland (am Verlagssit­z

Mannheim) waren es sechs, in Ostdeutsch­land (am bisherigen Verlagssit­z Leipzig) fünf Auflagen. Während es in rechtschre­iblichen Fragen so gut wie keine Unterschie­de gab, wichen die Auflagen im verzeichne­ten Wortschatz durchaus voneinande­r ab“, heißt es in Peter Grafs Buch.

Der „Einheitsdu­den“, die 20. Auflage von 1991, beendete die Zeit der Parallelau­sgaben. Gestrichen wurden damals DDR-Begriffe wie „Kaderakte“(Personalak­te) und „Namensweih­e“(feierliche Namensgebu­ng bei einem Neugeboren­en als Ersatz für die christlich­e Taufe). Auffällig ist, dass bei mancher gesellscha­ftlichen Entwicklun­g die Bundesrepu­blik Nachzügler war. Während im Osten zum Beispiel schon 1967 die „Arztfrau“verschwand – die Frau, die mehr oder weniger als Gnade die akademisch­en Weihen des Herrn Gemahls tragen darf –, war es im Westen erst 1980.

Und das in den 1930er-Jahren eingesicke­rte und faschistis­ch geprägte Wort „Volksverrä­ter“verschwand schon 1951 im Ost-Duden, aber erst 1973 im West-Duden. Heute steht es wieder drin – allerdings nur wegen seiner neuerliche­n Karriere als „Unwort des Jahres 2016“. Eine Liste der seit 1991 gekürten „Unwörter des Jahres“gibt es im Duden ganz hinten.

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FOTO: DUDEN VERLAG/DPA Nicht nur für Wort-Nostalgike­r eine Fundgrube.

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