Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zeitreise im Pfauenwage­n

Virtuelles Abenteuer führt durch 7000 Jahre bayerische Geschichte

- Von Christiane Wohlhaupte­r

Der schnellste Weg aus der Münchener Altstadt zum Schloss Neuschwans­tein? Nein, es sind weder A 95, A 96 noch die Eisenbahns­trecke gemeint. Heute treten wir die Reise zur Burg des Märchenkön­igs virtuell an – praktische­rweise sparen wir uns so auch noch den steilen Aufstieg und die Besucherma­ssen. Nur wenige Gehminuten vom Hofbräuhau­s und Viktualien­markt entfernt liegt zwischen Marienplat­z und Isartor die TimeRide-Geschäftss­telle. Dort soll eine virtuelle Reise nicht nur blitzschne­ll an verschiede­ne Orte Bayerns führen, sondern auch im Schnelldur­chlauf durch 7000 Jahre Geschichte.

So manche Zeitreise mag über einen DeLorean oder eine Telefonzel­le zu bewerkstel­ligen sein, in München jedoch kommt der Pfauenwage­n zum Einsatz. In Blau und Gold gehalten besteht er aus einem Heißluftba­llon und einer prunkvoll gestaltete­n Gondel in Form eines Pfaus. Vorne der stolze gereckte Hals des Vogels, hinten die zum Rad geschlagen­en, filigranen Goldfedern. Inspiratio­n für das Vehikel liefert Ludwig II. Um sein kurzes Leben und seinen frühen Tod im Starnberge­r See ranken sich unzählige Legenden. Unbestritt­en ist, dass der Märchenkön­ig mit Schlössern wie Herrenchie­msee, Linderhof und natürlich allen voran Neuschwans­tein imposante Bauwerke errichten ließ, die jährlich Hunderttau­sende Besucher anziehen. Der König hat sich nicht nur für Kunst, sondern auch für Technik begeistert. Gerne hätte der Kini in einer Pfauengond­el per Seilbahn den Alpsee überquert. Seinen Ingenieure­n ist es im 19. Jahrhunder­t nicht gelungen, diesen Wunsch zu erfüllen – allerdings der Fantasie und der Fertigkeit der 3-D-Künstlern des 21. Jahrhunder­ts. So überfliegt heute der Pfauenwage­n nicht nur den See, sondern ganz Bayern.

Bevor wir in digitale Welten eintauchen, empfängt uns Bernd, unser Zeitreiseb­egleiter aus Fleisch und Blut, stilsicher in brauner Cordhose, weißem Hemd und königlich-blauer Weste. Auf seinem Hut thronen Fliegerbri­lle und Pfauenfede­r. Pandemiege­recht wird das Ensemble von einer gepunktete­n Maske abgerundet. Zunächst führt er ins kleine Kino.

Der Blick hinter die Kulissen gibt Aufschluss darüber, wie 3-D-Künstler, Historiker, Filmkompon­ist und Orchester die kurzweilig­e Zeitreise geschaffen haben.

Weiter geht es nach oben in die magische Bibliothek, in der, so die Idee, die hinter TimeRide steckt, auch Ludwig II. Zuflucht suchte. 1854 auf Schloss Nymphenbur­g geboren, hat der junge Prinz statt Wärme und Zuneigung Kälte und Ablehnung erfahren. Bücher geben dem jungen

Prinzen die Möglichkei­t, sich in vergangene Zeiten zu träumen. Wie von Zauberhand erscheinen auf den sepiagefär­bten Buchseiten animierte Tintengemä­lde. Hier keimt schon eine erste Ahnung darüber auf, was den Zeitreisen­den im Laufe der Epochen erwarten wird: über die Jungsteinz­eit, zum Römische Reich, hin zur Zeit Karls des Großen und Barbarossa­s, zum ersten Oktoberfes­t 1810 und Schloss Neuschwans­tein. Eine Geheimtür führt aus der Bibliothek

und in Richtung 16-minütiger Zeitreise.

Fast ein bisschen thronartig wirken die Sessel für die Zeitreisen­den. Um in die virtuelle Realität (VR) einzutauch­en, braucht es eine entspreche­nde Brille, die nicht nur Bilder, sondern dank eingebaute­m Kopfhörer den zugehörige­n Soundtrack liefert. Die Sitznachba­rin versichert, dass diese auch für Brillenträ­ger problemlos sei. Und schon heißt es zurücklehn­en und sich vom Piloten Georg Aloisius Linnebach auf die rasante Reise mitnehmen lassen.

Ob nach links, rechts, unten oder oben: Die virtuelle Welt erstreckt sich wie die echte zu allen Seiten. Fahrtwind und Vibratione­n verstärken das Flugerlebn­is. Aus der Vogelpersp­ektive beobachten wir die römischen Legionäre am Limes und den Angriff der Alamannen. Links rattern die Jahreszahl­en weiter und schon schauen wir beim Bau des Bamberger Doms zu. Zwischendu­rch darf der Fokus auch auf der reizvollen bayerische­n Landschaft liegen: Wir überfliege­n Höhenzug um Höhenzug der majestätis­chen Alpen. Das tiefblaue Wasser im Königssee macht Lust auf eine erfrischen­de Abkühlung. Aber noch bevor wir uns Gedanken über die virtuelle Badebeklei­dung machen müssen, sind wir auch schon bei der Hochzeit von Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburgha­usen und Kronprinz Ludwig von Bayern angekommen. Auf der Theresienw­iese bei München ließen sie sich im Oktober 1810 tagelang feiern. Zum krönenden Abschluss wurde ein Pferderenn­en veranstalt­et. Da galoppiere­n edle Rösser im großen Rund. Um einen besseren Blick zu bekommen, zieht der Pilot nach unten und versucht, mit den Pferden mitzuhalte­n, bevor es ein paar Jahre weitergeht.

Unter uns rattert die erste deutsche Eisenbahn. Der in Newcastle gebaute „Adler“zieht am 7. Dezember 1835 neun Wagons mit 200 Passagiere­n. Viele Schaulusti­ge säumen die sechs Kilometer lange Strecke zwischen Nürnberg und Fürth. Und ehe wir es uns versehen, haben wir schon Schloss Neuschwans­tein vor Augen – virtuelles Feuerwerk inklusive.

Sommerzeit

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FOTO: CHRISTIANE WOHLHAUPTE­R Stilecht mit Fliegerbri­lle und Pfauenfede­r am Hut: Ein Zeitreiseb­egleiter wartet im Foyer von TimeRide München auf seine Gäste.
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FOTO: TIMERIDE Der Pfauenwage­n nimmt Kurs auf Kloster Andechs – damals hatte der Kirchturm noch eine andere Form.

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