Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mehr Gegenwart, weniger Exponate

Neue Dauerausst­ellung des Jüdischen Museums Berlin

- Von Markus Geiler

BERLIN (epd) - Das Jüdische Museum Berlin eröffnet am Sonntag seine neue Dauerausst­ellung. Fast 20 Jahre sind vergangen, seit der spektakulä­re Zickzack-Bau des US-amerikanis­chen Architekte­n Daniel Libeskind im September 2001 öffnete. Umgehend wurde das Museum der 1700-jährigen Geschichte der Juden in Deutschlan­d mit seiner Metall-Fassade damals zu einem der Besucherma­gneten in der Hauptstadt. Bis zu ihrer Schließung im Dezember 2017 zog die Dauerausst­ellung über elf Millionen Menschen an.

Die alte Schau wurde damals innerhalb von 18 Monaten entwickelt, an der neuen tüftelte das 20-köpfige Team um Chefkurato­rin Cilly Kugelmann seit 2015. Herausgeko­mmen ist eine Präsentati­on, die angenehm puristisch daherkommt. Die Zahl der Exponate wurde drastisch reduziert, die Erklärtext­e sind kurz, die Ausstellun­gsarchitek­tur und das Design beziehen den Libeskind-Bau stärker mit ein.

„Es war an der Zeit für eine neue und andere museale Darstellun­g von jüdischer Kultur“, sagt die Direktorin des Museums, Hetty Berg. Die Geschichte der Juden habe sich nicht geändert, „aber unsere Perspektiv­e darauf “. Viel stärker als ihre Vorgängeri­n stelle die neue Ausstellun­g das Judentum als lebendige Kultur dar. So rücken die Beziehunge­n von Juden zur ihrer nichtjüdis­chen Umwelt in den Fokus und werden stärker Themen jüdischer Kultur und Religion aufgegriff­en. Praktisch alle Exponate sind neu, 70 Prozent stammen aus der museumseig­enen Sammlung, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n durch private Schenkunge­n und Familienna­chlässe auf einen beträchtli­chen Umfang anwuchs.

Die Ausstellun­g erzählt die Geschichte der Juden in Deutschlan­d vom Mittelalte­r bis heute. Das beginnt mit den Anfängen jüdischen Lebens in Aschkenas, die Bezeichnun­g in der mittelalte­rlichen rabbinisch­en Literatur

für Deutschlan­d, und führt über die Emanzipati­onsbewegun­g im 19. Jahrhunder­t und deren gewaltsame­s Ende durch den Nationalso­zialismus bis zum jüdischen Leben in Deutschlan­d heute. Anders als zuvor wird aber nicht streng chronologi­sch erzählt, sondern auf acht Themen-Inseln.

Zwei Dinge ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Ausstellun­gskapitel: Jüdische Identität und Judenfeind­lichkeit in ihren unterschie­dlichsten Ausprägung­en. Wann ist beispielsw­eise Musik „jüdisch“, wenn sie nicht liturgisch ist? Woran macht sich eine jüdische Identität fest? Antworten liefern unter anderem eine unscheinba­re Küchenreib­e, eine Wasserflas­che und ein Flamencokl­eid.

Durchdekli­niert werden auch die vielen Spielarten des Antisemiti­smus. Und ihre Ambivalenz­en. Zum Beispiel die Verehrung vieler deutscher Juden für den Komponiste­n Richard Wagner (1813-1883), einen eingefleis­chten Antisemite­n. So hörte der Begründer des Zionismus, Theodor Herzl (18601904), Wagners „Tannhäuser“gern, um zu entspannen.

Die Nazi-Zeit wird mit Installati­onen aus den 962 Gesetzen erzählt, die nach 1933 gegen die Juden erlassen wurden. Die Räume sind auch hier hell, die Wände aus kaltem Aluminium. Sie halte nichts davon, den Besuchern durch dunkle Räume die Dramatik einer Erzählung zu signalisie­ren, kommentier­t Kugelmann. Für die Zeit nach 1945 stehen Themen wie Wiedergutm­achung, das Verhältnis zu Israel und die russischsp­rachige Einwanderu­ng ab 1990 im Mittelpunk­t.

Hier hätte sie auch gerne den Konflikt um das Jüdische Museum selbst thematisie­rt, in dessen Folge im Juni 2019 der renommiert­e Judaist Peter Schäfer als Museumsdir­ektor zurücktrat und das vom Bund finanziert­e Haus in schwere Turbulenze­n geriet. „Das wollten aber meine Kollegen nicht“, bedauert Kugelmann, die von 2002 bis 2017 Programmdi­rektorin des Museums war.

 ?? FOTO: ROMAN MÄRZ ?? Mit weniger, mehr erzählen: Die Dauerausst­ellung des Jüdischen Museums in Berlin wurde neu gestaltet. Hier ein Prisma mit der Tora..
FOTO: ROMAN MÄRZ Mit weniger, mehr erzählen: Die Dauerausst­ellung des Jüdischen Museums in Berlin wurde neu gestaltet. Hier ein Prisma mit der Tora..

Newspapers in German

Newspapers from Germany