Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Staatsanwa­lt: Schüsse waren gerechtfer­tigt

Ermittlung­en gegen Polizisten eingestell­t – Neue Erkenntnis­se zum Fall in Tettnang bekanntgeg­eben

- Von Linda Egger

TETTNANG - Die beiden Polizisten, die am 16. Oktober 2019 bei einer Festnahme in der Tettnanger Seestraße einen Mann angeschoss­en und lebensgefä­hrlich verletzt haben, haben rechtmäßig gehandelt – zu diesem Schluss ist die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg nun gekommen. Der Anwalt des durch die Schüsse getroffene­n Mannes hat bereits Beschwerde gegen diese Entscheidu­ng eingelegt – die jedoch abgelehnt wurde.

Gegen zwei Polizeibea­mte wurde nach dem Vorfall im Oktober vergangene­n Jahres ein Ermittlung­sverfahren wegen Verdachts der Körperverl­etzung im Amt eingeleite­t. Das sei nun „nach umfangreic­hen und aufwändige­n Ermittlung­en“Mitte Juni eingestell­t worden, wie die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg mitteilt.

Sechs Zivilfahnd­er der Polizei Friedrichs­hafen hatten sich am Tag des Vorfalls auf den Weg nach Tettnang gemacht, um einen Mann festzunehm­en, der seine Haftstrafe nicht angetreten hatte. Der damals 43-Jährige hatte in der Vergangenh­eit wegen Drogen- und Körperverl­etzungsdel­ikten schon mehrfach vor Gericht gestanden. Zum Tatzeitpun­kt hätte er eigentlich bereits seit rund einer Woche in Haft sein sollen.

An seinem Tettnanger Wohnort trafen die Beamten den Mann nicht an, sie machten ihn jedoch gegen 14 Uhr an der Bushhaltes­telle in der Tettnanger Seestraße aus. Im weiteren Verlauf waren die Schüsse gefallen. Der Mann wurde dadurch schwer verletzt, er wurde noch in der selben Nacht notoperier­t und überlebte nur knapp. Fast alle inneren Organe des Bauchraums wurden durch die Schüsse stark beeinträch­tigt, unter anderem musste der komplette Magen des Mannes entfernt und seine Bauchmusku­latur neu vernäht werden. Dadurch habe er bleibende, schwere Beeinträch­tigungen, etwa beim Essen, wie er einige Monate nach der Tat in einem Gespräch schilderte.

Als Grund für die Schüsse war im Polizeiber­icht damals von einer „Bedrohungs­situation“für die Beamten die Rede. Die Ermittlung­en hätten nun ergeben, dass der Mann, als die Beamten ihn festnehmen wollten, „ein Messer sowie ein Pfefferspr­ay aus seiner Hosentasch­e gezogen und dieses zumindest drohend eingesetzt“habe, erklärt ein Sprecher der Staatsanwa­ltschaft auf SZ-Nachfrage. Der Aufforderu­ng, das Messer wegzulegen und sich selbst auf den Boden zu legen, habe er keine Folge geleistet.

Auch habe der Mann seine Rottweiler­hündin von der Leine gelassen und ihr den Befehl „Fass!“gegeben, so die Aussage der Staatsanwa­ltschaft. Trotz der Aufforderu­ng „Stopp, Polizei! Stehen bleiben!“und Warnschüss­en, die einer der Polizisten abgegeben habe, sei der Mann seitlich an der Bushaltest­elle eine Böschung hinauf in Richtung Schlossgar­ten weggerannt. Auf dieser Anhöhe wurde der Mann dann von Schüssen getroffen.

Zwei Polizisten hätten geschossen, wobei einer der beiden lediglich einen Schuss abgegeben habe und nicht zweifelsfr­ei geklärt werden konnte, ob dieser den Mann getroffen habe oder nicht. Der zweite Polizist

soll nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft insgesamt fünf Schüsse abgegeben haben, darunter auch Warnschüss­e. Die Polizisten hätten dabei die normalen Dienstpist­olen mit Kaliber neun Millimeter verwendet. Der festzunehm­ende Mann erlitt zwei Durchschüs­se von hinten am Oberkörper sowie am rechten Oberschenk­el. „Nach den durchgefüh­rten Ermittlung­en hatte der Schusswaff­engebrauch den Zweck, den Mann angriffs- und fluchtunfä­hig zu machen“, teilt die Staatsanwa­ltschaft mit. Das Handeln des zweiten Polizisten, der mehrere Schüsse abgegeben habe, sei gerechtfer­tigt gewesen, da die Voraussetz­ungen für den Schusswaff­engebrauch „nach den einschlägi­gen gesetzlich­en Vorschrift­en des Landespoli­zeigesetze­s“vorlagen, heißt es weiter. Demnach dürfen Polizisten unter anderem dann ihre Schusswaff­e gegen einzelne Personen gebrauchen, wenn diese „zur Vereitelun­g der Flucht oder zur Wiederergr­eifung einer Person (...) zur Verbüßung einer Freiheitss­trafe wegen einer Straftat“dient. Wenige Wochen nach dem

Vorfall fand am Tatort in Tettnang eine Tatrekonst­ruktion der Polizei statt, für die dieser Abschnitt der Seestraße über mehrere Stunden hinweg gesperrt wurde.

Das Geschehen sei dabei mehrfach durchgespi­elt worden. Auch Zeugen seien dabei am Tatort vernommen worden. „Die Abläufe bei der Festnahmea­ktion sowie die Situation vor Ort“habe dadurch besser nachvollzo­gen werden können, „als es eine lediglich aufgrund Aktenlage und Lichtbilde­rn vorgenomme­ne“Einschätzu­ng ermöglicht habe, so die Staatsanwa­ltschaft.

Süleyman Yildirin, der Anwalt des durch die Schüsse verletzten hatte bei der Generalsta­atsanwalts­chaft Stuttgart bereits Beschwerde gegen die Entscheidu­ng der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg eingelegt. Diese wurde jedoch Ende Juli als unbegründe­t zurückgewi­esen. „Wir prüfen, ob wir nach der Zustimmung der Generalsta­atsanwalts­chaft Stuttgart zur Einstellun­g eine gerichtlic­he Entscheidu­ng erwirken können“, erklärt Yildirim auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

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