Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
In kleinen Schritten zum großen Traum
Lamin Ceesay aus Gambia lebt seit 2015 in Altshausen und macht derzeit eine Schneiderlehre
ALTSHAUSEN - Einem Traum ist Lamin Ceesay schon sehr nah: Sich nach seiner Flucht aus Gambia ein Leben in Deutschland aufzubauen. Sein zweiter Traum: Wieder als Journalist arbeiten. Um auch diesen zu realisieren, macht er eine Ausbildung bei Trigema in Altshausen, lernt fleißig Deutsch.
Lamin Ceesay stammt aus dem Dorf Tankular, lebte zuletzt in der Stadt Serekunda, arbeitete als Schneider und als Journalist. „Theoretisch gibt es auch in Gambia eine Meinungsfreiheit, aber Kritik am damaligen Präsidenten war unerwünscht. Immer wieder verschwanden Kritiker einfach so“, erzählt der 32-Jährige. Der Präsident Yahya Jammeh war nach einem Putsch seit Mitte der 1990er-Jahre an der Macht, hatte einen Polizeistaat errichtet, zelebrierte einen Personenkult um sich, pflegte einen exzessiven Lebensstil.
Die Präsidentschaftswahl im November 2011 war ein Schlüsselerlebnis für den damals 23-Jährigen.
Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft hatte die Präsidentschaftswahlen schon im Vorfeld als „nicht frei, fair und transparent“kritisiert und aufgrund der gegebenen Umstände auf die Entsendung von Wahlbeobachtern verzichtet. Jammeh sicherte sich, wie zu erwarten war, seine vierte Amtszeit.
„Ich habe mich gefragt, ob ich unter solchen Umständen weiter in meiner Heimat bleiben wollte. Meine Antwort war ein klares Nein. Auch wenn ich da noch gar nicht wusste, in was für ein Leben mich die Entscheidung zur Flucht führen würde“, sagt Ceesay.
Vom westafrikanischen Gambia führt der Weg zunächst ins Nachbarland Senegal, weiter über Mali, Burkina Faso, Niger, Algerien und Libyen in kleinen Schritten. Rund drei Jahre lang ist er unterwegs, sitzt 2015 schließlich in einem der überfüllten Boote, das Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Italien bugsiert. Wenige Monate später kommt er nach Deutschland, zieht als einer der ersten in das zur Flüchtlingsunterkunft umfunktionierte Haus am Weiher.
Dort lebt er bis heute, mit rund 20 anderen jungen Männern, überwiegend auch aus Gambia. Seit 2018 macht Ceesay eine Schneiderlehre bei Trigema. Ein Thema, das die Bewohner im Haus am Weiher ständig beschäftigt: die Abschiebung. Ceesay selber hat aktuell einen Duldungsstatus, jederzeit kann er die Nachricht erhalten, dass er zurück nach Gambia muss. „Seit 2016 gibt es einen neuen Präsidenten. Aber im Leben der Menschen hat sich nicht viel verändert. Es gibt sehr viel Kriminalität, 75 Prozent der Menschen sind arbeitslos“, sagt Ceesay.
Verschärft werde derzeit alles durch die Corona-Pandemie. Die
Unsicherheit für sich, aber auch seine zurückgelassene Mutter und die Geschwister quäle ihn. Um seine Angehörigen zu unterstützen, hat er einen zusätzlichen Job im Rewe
angenommen. „Ich verstehe nicht, dass Menschen, die hier arbeiten und sich um sich selber kümmern, das Land wieder verlassen müssen“, sagt Ceesay.
2016 startete der Gambier mithilfe von zwei Deutschen einen Blog „Why How 2016“, um Menschen seine Geschichte zu erzählen. So hofft er auf Verständnis für seine Entscheidung zur Flucht und seinen Wunsch nach einem besseren Leben. „Wir sind auch Menschen, aber eben in eine ganz andere Welt hineingeboren, als sie hier ist“, sagt Ceesay. Wichtig ist ihm, dass er sein Leben selber finanzieren kann und nicht als jemand gilt, der nur vom Staat kassiert. Durch die Schneiderlehre hofft er auf einen festen Job, verfeinert seine Sprachkenntnisse. Denn Deutsch zu beherrschen, sieht er als eine wichtige Hürde, sich einen weiteren Traum zu erfüllen: als Journalist zu arbeiten.