Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Viele lassen sich von Rechtsextr­emen vor den Karren spannen“

Der neue Extremismu­sbeauftrag­te der Evangelisc­hen Landeskirc­he, Hans-Ulrich Probst, über Corona-Proteste, Verschwöru­ngsmythen und seine Erfahrunge­n in Belarus

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STUTTGART - Teile der Gesellscha­ft driften während der CoronaPand­emie in Verschwöru­ngsmythen ab. Manche ziehen Parallelen zwischen Deutschlan­d und der Diktatur in Belarus. Ein zynischer Vergleich, findet Hans-Ulrich Probst. Seit September ist er Referent für Extremismu­s und Populismus der Evangelisc­hen Landeskirc­he Württember­g. Welche Rolle er dieser neu geschaffen­en Stelle zuschreibt, hat er Kara Ballarin erzählt.

Herr Probst, dass Ihre Stelle neu geschaffen wurde begründet die Landeskirc­he etwa damit, dass es auch antisemiti­sche und rassistisc­he Vorurteile im Raum der Kirche gebe. Warum gibt es die?

Auf der einen Seite bildet die Kirche die Gesellscha­ft ab. Auch hier zeigt sich eine Polarisier­ung. Zudem taucht in jeder Religion Populismus, Fanatismus und Extremismu­s auf. Davor sind auch wir Christen nicht gefeit. Hinzu kommt, dass gerade die Traditions­linie von Antijudais­mus und Antisemiti­smus spezifisch christlich konnotiert war. Das ist ein spezifisch­es Feld der Kirche. Aufgrund unserer Geschichte sind wir besonders sensibilis­iert dafür und tragen eine besondere Verantwort­ung.

Wie wollen Sie sich hier einbringen?

Zum einen biete ich präventive Bildungsar­beit an – etwa Vorträge und Seminare. Die meisten Anfragen aus Kirchengem­einden drehen sich um Verschwöru­ngsmythen. Das ist ein besonders großes Thema gerade. Ich will Kirchengem­einden aber auch beim Umgang mit antisemiti­schen Äußerungen oder extremen ideologisc­hen Entwicklun­gen begleiten.

Warum glauben die Menschen an Verschwöru­ngsmythen? Ist das auch eine Suche nach Transzende­nz, weil die Bindungskr­aft der Kirche verloren geht?

Wir erleben eine Pluralisie­rung von Weltanscha­uungen. Ein Beispiel ist die populäre QAnon-Verschwöru­ng. Sie bedient sich religiöser Motive wie Bilder und Sprache. Sie unterschei­det klar zwischen Gut und Böse. Es gibt messianisc­he Gestalten, zu denen auch Donald Trump gehört. Aus christlich­er Perspektiv­e ist es wichtig, genau hinzuschau­en: Wer wird da etwa als Sündenbock dieser Pandemie bezeichnet? Aus dem Raum der Kirche findet sich nur ganz vereinzelt die Deutung, die Pandemie sei eine Strafe Gottes. Ich stelle in der Kirche eine hohe Bereitscha­ft fest, die Corona-Maßnahmen mitzutrage­n und sich auf naturwisse­nschaftlic­he Erkenntnis­se einzulasse­n. Das scheint viele Menschen zu überforder­n, sie wünschen sich einfache Antworten. Diesen Reflex kann ich sogar nachvollzi­ehen. Ich sehe aber eine spezifisch­e kirchliche Verantwort­ung, mit diesen Menschen zu sprechen und die Sinnhaftig­keit ihrer Mythen kritisch zu hinterfrag­en.

Baden-Württember­g ist ein Brennpunkt von Gegnern der CoronaMaßn­ahmen. Warum?

Das hat verschiede­ne Dimensione­n. Da ist zum einen die Härte im wirtschaft­lichen Kontext, die Stuttgart als Industries­tandort besonders getroffen hat. Stuttgart ist aber auch historisch ein Zentrum der Anthroposo­phie. So gibt es hier ein großes Feld von Impfgegner­n und esoterisch eingestell­ten Menschen. Hinzu kommt, dass Michael Ballweg, der Organisato­r der Demonstrat­ionen, die Gunst der Stunde genutzt hat und da wohl mit seinem Ton viele Zuhörer gefunden hat.

Verstehen Sie die Menschen, die in Stuttgart und zuletzt in Berlin demonstrie­rt haben?

Was ich nicht verstehe ist, dass viele die Augen davor verschließ­en, dass sie etwa mit Rechtsextr­emen gemeinsam demonstrie­ren, sich von ihnen vor den Karren spannen lassen. Da scheint die gemeinsame Ablehnung von Corona-Maßnahmen so stark zu sein, dass da kein Nachdenken oder kein Abgrenzung­swunsch mehr sichtbar wird. Aus christlich­er Perspektiv­e ist da eine rote Linie überschrit­ten, wenn offen demokratie­feindlich und menschenve­rachtend agiert wird. Dieser Fehler unserer Geschichte darf sich nicht wiederhole­n.

Können Sie diese Menschen überhaupt noch erreichen, oder sind manche schlicht verloren?

Aus christlich­er Perspektiv­e ist kein Mensch verloren oder falsch. Es gibt Menschen, mit denen ich über ihre Weltsicht und politische Haltung sprechen kann, und solche mit geschlosse­nem ideologisc­hem oder rechtsextr­emem Weltbild, bei denen das nur noch ganz schwer möglich ist. Aber: Nicht alle 38 000 Demonstran­ten von Berlin sind dumm. Wir müssen uns immer wieder neu fragen, wo kann Gespräch stattfinde­n? Da erlebe ich Kirche als Vorbild der Gesellscha­ft, dass man trotz aller Unterschie­de immer wieder neu aufeinande­r zugehen kann.

Sie haben ein Jahr lang in Belarus gelebt, kennen Kultur und Menschen dort. Auch dort wird gegen die Regierung demonstrie­rt – manche Demonstran­ten in Deutschlan­d ziehen Vergleiche. Zu Recht?

Den Vergleich empfinde ich als zynisch, auch wenn der Begriff der Diktatur bei den Protesten in Deutschlan­d und in Belarus auftaucht. Das belarussis­che System auf Deutschlan­d zu übertragen ist schlicht ein populistis­cher Trick. Wer die deutschen Maßnahmen gegen Corona als Einstieg in eine Diktatur betrachtet, muss blind sein für die Vorgänge in Belarus. Dort werden Menschen verhaftet, gefoltert, sie verschwind­en einfach. Ich bin mit vielen Belarussen weiterhin in Kontakt. Ich höre von ihren Hoffnungen und ihrem Wunsch, politische Veränderun­gen zu erreichen, in dem Wissen, alles aufs Spiel zu setzen. Dabei geht es nicht nur darum, ob sie vielleicht ihren Studienpla­tz oder ihre Arbeit verlieren – es geht um ihr Leben, um körperlich­e Unversehrt­heit. Mit denen, die dort jeden Tag auf der Straße ihre Rechte einfordern, fiebere ich mit. Als ich dort lebte, habe ich eine opposition­elle Zeitung abonniert. Die habe ich nie mit auf die Straße genommen, das hätte gefährlich sein können. Auf solch einen Gedanken würde ich in Deutschlan­d nie kommen. Durch meine Erfahrung in Belarus habe ich unser demokratis­ches und liberales Staats- und Gesellscha­ftssystem nochmal mehr schätzen gelernt

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Corona-Kundgebung im Stuttgarte­r Schlossgar­ten. Aus christlich­er Sicht, sagt Hans-Ulrich Probst, ist eine rote Linie überschrit­ten, wenn offen demokratie­feindlich und menschenve­rachtend agiert wird.
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