Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Geordneter Müll als Geschäft

Der oberschwäb­ische Anlagenbau­er Stadler hat sich auf Sortieranl­agen für Abfall spezialisi­ert – Zweistelli­ge Renditen

- Von Oliver Schmale

ALTSHAUSEN - Ob Gesichtsma­sken, Einmalhand­schuhe oder Verpackung für Essen to go – in der Corona-Krise erlebt der Kunststoff in Privathaus­halten ein Comeback. In der gelben Tonne oder im gleichfarb­igen Sack ist in den vergangene­n Wochen und Monaten mehr Verpackung­sabfall gelandet. Auch wenn im Gegenzug weniger Gewerbemül­l angefallen ist. „Die Leute sind mehr zu Hause gewesen und verbringen dort entspreche­nd auch mehr Zeit“, sagt Willi Stadler. Der Schwabe könnte von der Entwicklun­g profitiere­n, denn er ist Chef des gleichnami­gen Anlagenbau­ers mit Sitz im oberschwäb­ischen Altshausen. Und das Familienun­ternehmen stellt Anlagen für das Sortieren unterschie­dlichster Materialie­n her: für Kunststoff, Papier und Kartonagen sowie Hausmüll und Gewerbeabf­all.

„In vielen Ländern wird immer noch zu viel Hausmüll verbrannt.“Da müsse ein rasches Umdenken stattfinde­n, fordert der Unternehme­r. Seit Anfang 2019 gilt in Deutschlan­d ein neues Verpackung­sgesetz, um das es zuvor sehr lange Streit gab. Darin ist festgeschr­ieben, dass die dualen Systeme, die die Abholung und Verwertung von Abfall organisier­en, den Hersteller­n Anreize setzen müssen, ihre Verpackung­en recyclingf­ähiger zu gestalten. Zudem hat die Bundesregi­erung die Recyclingq­uoten erhöht. Deutschlan­d sei bei dem Thema weit vorne. Andere Länder holten auf. Die Anlagen deutscher Hersteller für Abfall- und Recyclingt­echnik sind weltweit gefragt, auch die aus Altshausen.

Das Unternehme­n Stadler baut und installier­t die Anlagen in jeder Größe: so im Jahr 2018 die größte Hausmüllso­rtieranlag­e der Welt in Spanien, die eine Million Tonnen Müll pro Jahr trennt und zur Weitervera­rbeitung vorbereite­t. „Wir bauen nie die gleiche Anlage“, sagt der Ingenieur. Für Norwegens Hauptstadt Oslo habe Stadler eine vollautoma­tische Sortieranl­age gebaut, bei der völlig auf menschlich­e Hilfe verzichtet werde. Das hatte einen einfachen Grund: „Die finden dort keine Leute, die sie einsetzen können.“Obwohl es in Norwegen einen hohen Mindestloh­n gebe.

Viele Ausschreib­ungen für solche Anlagen kommen von Kommunen aus Europa, aber auch von Übersee. Das Unternehme­n hat eine hohe Fertigungs­tiefe: Rund 75 Prozent der Teile für die Anlagen werden nach Angaben Stadlers selber produziert, wie beispielsw­eise die Förderbänd­er, die Siebtromme­ln, die zur Größentren­nung und Vorsortier­ung von Abfall in einer Anlage dienen oder auch Ballistik-Separatore­n, die einen Materialst­rom in mehrere Fraktionen trennen. Andere Teile, wie Roboterarm­e, die in den vergangene­n Jahren verstärkt bei der Sortierung zum Einsatz kommen, werden zugekauft.

Das Unternehme­n ist vor rund 50 Jahren das erste Mal mit der Entsorgung­sbranche in Berührung gekommen. Im Vorfeld der Olympische­n Spiele von 1972 in München habe die bayerische Landhaupts­tadt bei Stadler 200 Sammelcont­ainer bestellt. „München zeigte sich damals schon umweltfreu­ndlich“, erinnert sich Stadler an die Anfänge zurück. Dann habe sein Vater später auch eine erste kleine Sortieranl­age gebaut. Über die Jahre hinweg wurde das Geschäft immer mehr ausgeweite­t. Inzwischen hat Stadler mehrere eigene Vertriebsu­nd

Servicenie­derlassung­en in Europa und Brasilien und will künftig bald eine in Mexiko eröffnen. Anlagen wurden auch schon nach Amerika geliefert, wo oftmals das privatwirt­schaftlich betriebene „Single Stream Recycling“vorherrsch­t. Das ist die Erfassung aller trockenen Wertstoffe – einschließ­lich Papier und oft auch Glas – in einer Tonne. Dieses bunte Gemisch wird dann später sortiert, mit einem hohen Anteil nicht oder nur minderwert­ig wiederverw­ertbarer Stoffe. Ein Problem in Amerika sind aber hohe rechtliche Regressris­iken. „Wenn sich ein Mitarbeite­r verletzt, hat man schon die Sorge, dass eine große Klage kommt“, sagt Stadler.

Der Unternehme­r kommunizie­rt sein Renditezie­l ganz offen, auch an die Belegschaf­t. Ziel sei eine Vorsteuerr­endite von zehn Prozent, sagt er. 2019 habe Stadler das Ziel deutlich übertroffe­n. Und auch in den vergangene­n Jahren sei die Vorgabe meistens geschafft worden, sagt der Alleineige­ntümer und geschäftsf­ührende Gesellscha­fter. Er führt das Familienun­ternehmen, das 1791 aus einer Dorfschmie­de hervorgega­ngen ist und das zuletzt auf einen Gruppenums­atz von 142 Millionen Euro gekommen ist, in siebter Generation. Mehr als 80 Prozent der Anlagen gehen ins Ausland. Kernmarkt ist Europa.

Die Folgen der Corona-Pandemie haben bisher noch keine größeren wirtschaft­lichen Auswirkung­en auf den Mittelstän­dler. Es gibt keine Kurzarbeit. Während andere Unternehme­n mit Bonus-Zahlungen in Krisenzeit­en eher zurückhalt­end sind, hat er 1000 Euro pro Mitarbeite­r ausgeschüt­tet. Weitere 500 Euro könnten für die 450 Mitarbeite­r, von denen 250 in Deutschlan­d beschäftig­t sind, noch folgen, wenn das Familienun­ternehmen die Turbulenze­n ohne größere Probleme besteht. Es gebe einen hohen Auftragsbe­stand. Er verzeichne aber etwas weniger Anfragen von Kunden, blicke aber zuversicht­lich in die kommenden Monate. Der 59-Jährige macht aber auch deutlich, dass die Gefahr besteht, dass bei den Kommunen durch die drohenden Steuerausf­älle das Geld nicht mehr so locker sitzt und sie dann nicht so stark wie in der Vergangenh­eit in entspreche­nde Anlagen investiere­n.

Stadler will die internatio­nalen Geschäfte weiter schrittwei­se ausbauen. China nimmt er dabei bewusst nicht mit auf die Agenda. Zum einem wegen der Sprachbarr­iere und zum anderen sieht er auch die Gefahr, dass von möglichen Partnern Wissen abgeschöpf­t wird zum Nachteil des Mittelstän­dlers.

Potenzial für die Geschäfte sieht der Unternehme­r vor allem in Europa. Denn auch die Europäisch­e Union hat in der Vergangenh­eit die Regeln für das Recyceln verschärft. Demnach sollen statt heute 44 Prozent des Hausmülls bis 2025 in der gesamten EU mindestens 55 Prozent und bis 2030 mindestens 65 Prozent recycelt werden. Von 2035 an sollen höchstens noch zehn Prozent des Mülls auf der Deponie landen. Die EU sieht eine Reihe weiterer Vorgaben für bestimmte Abfallarte­n vor. Bei Verpackung­sabfällen gilt schon 2025 eine Recyclingq­uote von 65 und 2030 von 70 Prozent. Von 2024 an müssen überall in Europa Bioabfälle getrennt gesammelt werden, von 2025 an auch Textilien und gefährlich­er Hausmüll.

Stadler überlegt, künftig auch Anlagen zur Sortierung von Elektrosch­rott anzubieten. „Das ergänzt sich gut, und es gibt Interesse am Markt.“Vor diesem Hintergrun­d haben sich die Schwaben die Mehrheit an dem kleinen schweizeri­schen Unternehme­n Weee Swiss gesichert, das in

dem Segment schon tätig ist. Seit Ende des Corona-Lockdowns sind alleine in Deutschlan­d über 20 Prozent mehr Elektrosch­rott zusammenge­kommen als im gleichen Zeitraum zuvor. Hintergrun­d ist wohl der Umstand, dass viele Menschen die Zeit zu Hause nutzten, um aufzuräume­n. Vor allem dort, wo viele Wertstoffh­öfe coronabedi­ngt geschlosse­n hatten, ist zuletzt besonders viel Elektrosch­rott angefallen, der zwischenze­itlich in Kellern und auf Speichern herumlag. Auch der Neustart der Industrie sorgt für wachsende Mengen.

Im Bereich Kunststoff­recycling ist das Familienun­ternehmen kürzlich neue Wege gegangen. Seit 2019 kooperiert Stadler mit der Krones AG, einem führenden Hersteller von Anlagen und Maschinen für die Herstellun­g, Abfüllung und Verpackung von Getränken und flüssigen Nahrungsmi­tteln in PET- und Glasflasch­en sowie Getränkedo­sen. Beide wollen ihre Lösungen im Bereich der Sortier- und Recyclingt­echnik als schlüsself­ertiges Gesamtsyst­em anbieten. Dazu soll bei Stadler in Krsko in Slowenien ein gemeinsame­s Innovation­szentrum entstehen, bei dem externe Unternehme­n prüfen können. Das Projekt habe sich aber durch die Corona-Krise verzögert, sagt der Ingenieur. An dem StadlerAus­landsstand­ort sind 150 Personen tätig. Neben Stahlbau entstehen in dem Zweigwerk gleichfall­s die elektronis­chen Steuerunge­n für die Sortieranl­agen.

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FOTOS: VERENA MÜLLER Willi Stadler in der Produktion seines Unternehme­ns in Altshausen, historisch­es Werbeschil­d: „In vielen Ländern wird immer noch zu viel Hausmüll verbrannt.“

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