Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Abstrich und etwas Blut für die Allgemeinheit
Ravensburger Medizinstudent hilft bei bundesweiter Corona-Studie mit – Redaktionsassistentin aus Friedrichshafen ist eine von 11 000 Probanden
RAVENSBURG/FRIEDRICHSHAFEN Melanie Häder, Redaktionsassistentin der „Schwäbischen Zeitung“in Friedrichshafen, ist eine von insgesamt 11 000 Probanden einer bundesweiten Corona-Studie. Es ist die erste flächendeckende und repräsentative Erhebung in Deutschland. Auch der Ravensburger Medizinstudent Lucca Schlegel unterstützt die Wissenschaftler von der Charité Berlin bei dieser Studie. Sie wollen erforschen, wie sich die Pandemie in Deutschland entwickelt, wie viele Bundesbürger betroffen sind und wie viele Menschen das Virus schon hatten und Antikörper entwickelt haben. Das Bundesministerium für Gesundheit finanziert die Studie.
Die Wissenschaftler wollen einerseits herausfinden, wie sich die Pandemie ausbreitet. Ihr Ziel sind Erkenntnisse über die reale Infektionsrate und Immunisierung ohne Dunkelziffer. Andererseits wollen sie wissen, welche sozioökonomischen, sozialpsychologischen und medizinischen Folgen die Krise nach sich zieht und wie sich diese Faktoren auf die Infektionsrate und die Schwere des Krankheitsverlaufs auswirken. Dazu testen sie die Probanden darauf, ob bei ihnen eine akute SARS-CoV-2-Infektion besteht oder ob sie bereits Antikörper entwickelt haben. Die Studie wird unter anderem von der Charité Berlin, dem Cologne Center for Genomics in Köln und der Forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen in Berlin erarbeitet.
Ausgewählt wurde Melanie Häder, nachdem sie an einer Umfrage des privaten Meinungsforschungsinstituts Forsa teilgenommen hatte. „Es ging darum, wie man die CoronaZeit und die Ausgangsbeschränkungen
erlebt hat und wie man mit den Beschränkungen umgegangen ist“, sagt sie. Auf Grundlage der Daten von 30 000 Teilnehmern ermittelten die Wissenschaftler die 11 000 Probanden. Sie nehmen freiwillig an der Studie teil und bekommen kein Geld dafür.
Mitarbeiter, dazu zählen Pflegekräfte und Medizinstudenten, besuchen die Probanden zu Hause. Zu Melanie Häder nach Brochenzell kommt Lucca Schlegel. Der 25 Jahre alte Ravensburger studiert eigentlich in Cluj-Napoca in Rumänien Medizin. „Wegen der Corona-Beschränkungen hatten wir in den vergangenen Monaten Online-Unterricht. Deswegen bin ich zurzeit in meiner Heimat und kann an der Studie mitarbeiten“, sagt er. Während der Studie untersucht Lucca Schlegel täglich neun bis zwölf Probanden. Sein Testgebiet reicht vom Bodensee bis Tuttlingen, Biberach und Memmingen.
Unter Einhaltung der Schutzvorkehrungen – also ausgestattet mit Mundschutz, Schutzanzug, Schutzbrille und Handschuhen – macht er bei ihr im Wohnzimmer zuerst einen Rachenabstrich. Dazu fährt er mit einem etwas größeren Wattestäbchen in ihren Rachen. „Achtung, ich muss das Stäbchen ziemlich weit nach hinten stecken“, sagt er zu ihr. Das gehe zwar schnell, sei aber trotzdem ziemlich unangenehm.
Der Rachenabstrich dient dazu, herauszufinden, ob die Studienteilnehmer aktuell mit dem Coronavirus infiziert sind. Anschließend nimmt er ihr Blut ab. Das Blut wird auf Antikörper untersucht und soll Rückschlüsse darauf zulassen, ob die Testperson in der Vergangenheit an Covid-19 erkrankt war. Für die beiden Tests benötigt er nur wenige Minuten. Nachdem er alles wieder eingepackt hat, ist Lucca Schlegel auch schon unterwegs zum nächsten Probanden.
Geplant ist, dass die Probanden in einem Zeitraum von viereinhalb Monaten mindestens zweimal befragt und untersucht werden. Die erhobenen Daten sollen umgehend aufbereitet, analysiert und den Entscheidungsträgern zur Verfügung gestellt werden, heißt es im Merkblatt zu der Studie. Dadurch könnten die Daten als Grundlage für vielfältige Steuerungsmöglichkeiten auf Bundesebene – und bei hinreichend großer Stichprobe auch auf regionaler Ebene – dienen. Folgen können demnach gezielte Lockerungen oder Verschärfungen von Verhaltensregeln sein, genauso wie eine Intensivierung oder ein Zurückfahren der Unterstützung für Bevölkerung, Wirtschaft und medizinische sowie soziale Institutionen der öffentlichen Versorgung.
Außerdem wollen die Wissenschaftler Erkenntnisse über Risikofaktoren gewinnen, die einen Einfluss auf die Ausbreitung und den Verlauf der Pandemie in der Bevölkerung sowie auf den individuellen Krankheitsverlauf ausüben. „Aus der Kenntnis dieser Risikofaktoren ergeben sich wiederum gezielte Steuerungsmöglichkeiten für die Entscheidungsträger“, heißt es im Merkblatt.
Als Melanie Häder von Forsa für die Teilnahme an der Studie angefragt wurde, war ihr sofort klar, dass sie mitmachen würde. „Ich finde, es ist eine gute Sache“, sagt die 36-Jährige. Schließlich dienten die Erkenntnisse der Allgemeinheit und der Aufwand für die Teilnehmer sei überschaubar. „Das Unangenehmste war der Rachenabstrich“, sagt sie. „Aber der war auch nicht so schlimm.“