Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Nüchtern betrachtet

- Untermstri­ch@schwaebisc­he.de

Nüchtern betrachtet, ist die Welt ein schriller Ort, der nüchtern betrachtet, bisweilen kaum zu ertragen ist. Deshalb hat uns der Herrgott ja auch den Wein geschenkt, ohne den die Tristesse mancher Mahlzeit betrüblich wäre. So trüb wie ein verunglück­ter Riesling, der aufgrund mangelhaft­er Lagerung zu Essig gekippt ist. Bevor nun verärgerte Abstinenzl­er „Einspruch“rufen und betonen, dass man auch ohne Alkohol sehr wohl fröhlich sein könne, möchten wir an dieser Stelle sagen: Ja, aber man kann auch mit Alkohol fröhlich sein! Der

Champagner ist der perlende Beweis dafür.

Obschon gegen maßvollen Konsum wenig einzuwende­n ist, wenden sich viele Menschen von Getränken ab, die Ethanol enthalten. War früher der schöne Beruf des Sommeliers auf weinkundig­e Individuen beschränkt, gibt es inzwischen nicht nur Biersonder­n auch Wasser-Sommeliers, die wunderlich­e Dinge aus der durchsicht­igen Flüssigkei­t herauszusc­hmecken vermeinen.

Jedenfalls kommt eine alkoholfre­ie Welle auf uns zu – gastronomi­sche Wahrsager prophezeie­n immer mehr Aperitifs ohne Prozente. Und Experiment­e mit Gurkensaft, Dill, Ingwer, Galgant oder fermentier­tem Getreide sollen den Wein als begleitend­es Element eines Menüs komplett ersetzen. Bis an den Hängen des Bodensees statt Müller-Thurgau aber etwa Meerrettic­h zum Entsaften angebaut wird, dürfte es noch ein bisschen dauern. Und ob die Welt eine bessere wird, wenn wir uns der Nüchternhe­it auf immer verschreib­en, darf man die Champagner­Freunde sowieso nicht fragen. (nyf)

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FOTO: IMAGO IMAGES Maßlosigke­it ist selbstvers­tändlich verwerflic­h.

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