Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Neue Befugnisse für die Polizei
Durchsuchungen bei Festen und Weihnachtsmärkten – Experten kritisieren Pläne scharf
STUTTGART - Darf die Polizei künftig Besucher von Fußballspielen oder Volksfesten durchsuchen? Darf sie in Wohnungen, Kneipen und Büros filmen? Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagt Ja. Am Montag haben sich Innenpolitiker im Landtag die Meinung von Praktikern und Juristen angehört.
Welche Kritikpunkte nennen Rechtsexperten grundsätzlich? Alle gehörten Rechtswissenschaftler halten den Entwurf in Teilen für verfassungswidrig. Er greife zu tief in die Freiheit der Menschen ein. Oft sei nicht genau geregelt, unter welchen Bedingungen Polizisten ihre neuen Befugnisse nutzen dürfen. Ein Beispiel: die drohende Gefahr. Ein Polizist müsse letztlich spekulieren, was eine Person in den nächsten Minuten vorhabe. Statt Anhaltspunkte zu liefern, was Anzeichen für eine Eskalation sein könnten, bleibe der Gesetzesentwurf hier im Ungefähren. Am Ende würden Gerichte klären müssen, was gemeint sei – bis dahin herrsche Unsicherheit für Polizisten und Bürger.
Welches Lob gab es?
Vertreter der Polizei sowie der Opferschutzbeauftragte des Landes lobten den Entwurf. Er gebe den Sicherheitsbehörden notwendige Werkzeuge an die Hand, um die Bürger vor Kriminalität zu schützen. Baden-Württembergs oberster Staatsanwalt Achim Braunsein, begrüßte die Pläne ebenfalls: „Ich kann keine unangemessene Beeinträchtigung von Bürgerrechten sehen, es handelt sich um eine maßvolle Erweiterung des polizeilichen Instrumentarium.“Diese sei angesichts weiterhin drohender Anschläge von Islamisten und der steigenden Gefahr rechtsextremistischer Attacken angezeigt.
Warum soll die Polizei Bodycams in Gebäuden nutzen?
Seit 2019 tragen Polizisten im Südwesten eine Kamera an ihrer Uniform. Die Filme sollen an öffentlichen Orten Konflikte dokumentieren, etwa wenn Polizisten attackiert werden. Nun soll das auch in Wohnungen und Geschäftsräumen erlaubt werden. Der Polizeigewerkschafter Ralf Kusterer oder die Kriminalhauptkommissarin Tanja Kramper befürworten das. Laut Innenministerium finden 30 Prozent der Angriffe auf Polizisten in Gebäuden statt. Kameras ausgerechnet dort nicht zu nutzen, sei widersinnig. Außerdem könne die Bodycam bei häuslicher Gewalt gute Dienste leisten, so Kramper. Die Kameras könnten helfen, eine Situation zu beruhigen – etwa weil aggressive Täter sich nicht bei Übergriffen filmen lassen wollten. Auch Polizisten selbst reagierten ruhiger, wenn sie wüssten, dass der Film ihre Handlungen dokumentiere.
Was stört Kritiker daran?
Vor allem die geladenen Rechtswissenschaftler halten das Gesetz in diesem Punkt für verfassungswidrig. Denn die Wohnung eines Bürger ist streng vor den neugierigen Augen des Staates geschützt. „Ich habe in mehreren Bundesländern an Gesetzen zur Bodycam mitgearbeitet. Das in Baden-Württemberg geplante ist leider das am deutlichsten misslungene“, sagte Professor Mark Zöller von der Universität Trier. „Niemand hat irgendeine Sympathie für Täter häuslicher Gewalt“, betonte der Jurist. Doch die Verfassung lasse den Einsatz der Bodycams in Wohnungen, Büros oder Clubs nicht zu. Der Entwurf bleibe viel zu unbestimmt und benenne zum Beispiel keine Kriterien, wann Polizisten die Kameras in Wohnungen starten dürften. Schon zuvor hatte es an diesem Punkt erhebliche Kritik von Bürgerrechtsorganisationen gegeben. Deswegen haben CDU und Grüne nachgebessert: Ein Richter soll entscheiden, ob ein Film aus einer Wohnung vor Gericht genutzt werden darf. „Unsinnig“, urteilt Andreas Nachbaur, Professor an der Polizeihochschule Villingen-Schwenningen. Strittig bleibt, wie gut die Bodycams helfen, Gewalttaten zu verhindern.
Das Innenministerium verweist auf eine eigene Studie zu bisherigen Erfahrungen. „In einem Großteil der Fälle“habe die Ankündigung der Polizisten, zu filmen, die Lage beruhigt. Mehrere der Sachverständigen zitieren dagegen Studien etwa aus der Schweiz mit anderen Ergebnissen. Strobl setze auf ein Instrument, dessen Nutzen für Polizisten und Opfer nicht belegt sei und greife dafür tief in die Bürgerrechte ein.
Was ist für Veranstaltungen geplant – und wie lautet die Kritik? Ohne Anlass darf die Polizei Bürger nicht kontrollieren oder gar durchsuchen. Schon jetzt gibt es aber Ausnahmen, die in Einzelfällen auch für Volksfeste, Konzerte oder Fußballspiele gelten. Grüne und CDU wollen die Regeln nun präzisieren. Zu Recht, so Polizeigewerkschafter Kusterer: „Zu oft fragen Bürger, warum die Polizei erst handelt, wenn etwas passiert ist. Diese Befugnisse helfen in solchen Fällen.“Kritiker sprechen dagegen von einer unnötigen, verfassungswidrigen Ausweitung. Die Voraussetzungen, wann die Polizei etwa Besucher eines Weihnachtsmarktes durchsuchen darf, sind vielen Rechtsexperten zu schwammig. Der Entwurf besagt: Es muss ein „besonderes Gefährdungsrisiko“vorliegen und schwere Straftaten zu erwarten sein. „Das wäre jedes Volksfest, jede Kirmes“, so der Strafverteidiger Eren Basar. Das verstoße gegen Auflagen des Bundesverfassungsgerichtes. „Das geht deutlich zu weit“, sagt auch Jurist Nachbaur. Ähnliches erlaube kein Bundesland. Die Regeln könnten Bürger abhalten, zu Veranstaltungen zu gehen. Sie sollen nicht für Demonstrationen gelten.
Wie geht es weiter?
Die Statements fließen in weitere Beratungen ein, das Gesetz soll möglichst bald beschlossen werden. Naturgemäß äußerten sich die Regierungsparteien Grüne und CDU zufrieden – von ihnen stammen die Pläne. „Die Praktiker und der Generalstaatsanwalt Brauneisen waren sich einig: Der Gesetzesentwurf ist maßvoll und trägt zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger bei“, so CDU-Politiker Thomas Blenke. Der Grüne Ulli Sckerl betonte: „Wir werden die Vorschläge, wie das Gesetz besser gemacht werden kann, überprüfen und in der Koalition beraten.“Die Opposition aus AfD, SPD und FDP lehnt die Pläne ab. Sie seien offenkundig verfassungswidrig.