Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Putin hilft Lukaschenk­o mit Geld

Krisengesp­räch am Schwarzen Meer – Russland verspricht Belarus einen Kredit von 1,5 Milliarden Dollar

- Von Stefan Scholl und Ulf Mauder (dpa)

MOSKAU/MINSK - Alexander Lukaschenk­os Hemd war kurzärmeli­g, sein Kragen stand offen. Der weißrussis­che Staatschef stieg in Sotschi aus dem Flugzeug, als wäre er mit Wladimir Putin zum Schaschlik verabredet. Doch schon wenig später sitzt er sichtlich angespannt im Anzug in der Schwarzmee­r-Residenz von Kremlchef Wladimir Putin. Die Massenprot­este gegen „Europas letzten Diktator“, wie er auch genannt wird, gehen in die sechste Woche. Der Druck auf den 66-Jährigen, der zum ersten Mal seit der umstritten­en Präsidente­nwahl vom 9. August Minsk verlässt, ist nach 26 Jahren an der Macht groß.

Vor allem wirtschaft­liche Probleme machen Lukaschenk­o zu schaffen. Einige Staatsbetr­iebe sind zeitweise von wütenden Arbeitern bestreikt worden. Sie legten die Arbeit nieder, weil sie sich um ihre Stimmen bei der Präsidente­nwahl betrogen sehen. Viele halten die 38-jährige Swetlana Tichanowsk­aja für die wahre Siegerin. Doch Putin wischt das alles schon nach einem kurzen Treffen beiseite und hilft, wie er es gern tut – mit Geld. Ein Kredit von 1,5 Milliarden US-Dollar soll Lukaschenk­o aus der Klemme helfen.

Putin lobt zudem, dass Lukaschenk­o als Ausweg aus der schwersten politische­n Krise in Belarus die Verfassung reformiere­n will. Die beiden sind ähnlich lange an der Macht, kennen sich gut, spielen in Sotschi – wo 2014 Olympische Winterspie­le waren – auch immer gern zusammen Eishockey. Doch diesmal ist die Lage ernst wie nie. Deshalb ist auch ein Vieraugeng­espräch angesetzt. Lukaschenk­o erhofft sich von dem Treffen vor allem Rückenwind für seine sechste Amtszeit. Die Zeit rennt, weil laut Verfassung die Amtseinfüh­rung innerhalb von zwei Monaten nach der Wahl anzusetzen ist – also bis 9. Oktober.

„Schon aus reinem Selbstschu­tz hilft Putin Lukaschenk­o, an der Macht zu bleiben. Mit Geld und notfalls auch mit Truppen, um die Proteste zu unterdrück­en“, sagt der Politologe Waleri Karbelewit­sch in Minsk. „Putin hasst Revolution­en, wie wir sie in Belarus haben – und unternimmt alles, damit der Aufstand gegen das System erstens keinen Erfolg hat und zweitens nicht abfärben kann auf Russland.“Schließlic­h habe Putin selbst gerade erst bei seiner eigenen umstritten­en Verfassung­sänderung vorgemacht, wie sich ein „Dauerherrs­cher“an der Macht halte, sagt Karbelewit­sch. „Lukaschenk­o kennt auch Putin so genau, dass er weiß, welche Knöpfe er drücken muss bei ihm. Er sagt ihm einfach: Wenn ich falle, bist Du der nächste.“

Es ist aber viel mehr, was Lukaschenk­o Putin abringen muss, um weitermach­en zu können wie bisher. Bis Ende September müsste Belarus 328 Millionen US-Dollar Schulden für Gaslieferu­ngen begleichen. Schon jetzt steht Minsk tief in der Kreide bei Moskau. Und der Ende des Jahres auslaufend­e Gasvertrag muss neu ausgehande­lt werden.

Lukaschenk­o hatte dem Russen zuletzt immer wieder Preiswuche­r bei den Energielie­ferungen vorgeworfe­n, weshalb er sogar bei den USA Öl einkaufte. Doch nun ist der zuletzt über Jahre gefahrene Kurs Lukaschenk­os einer Wiederannä­herung an den Westen – auch an die EU – mit Vollbremsu­ng gestoppt. Die lange Aufbauarbe­it, sagen westliche Diplomaten in Minsk, sei innerhalb weniger Tage zerstört worden.

Neue Sanktionen stehen im Raum. Der Westen hält das offizielle Wahlergebn­is von 80,1 Prozent für Lukaschenk­o für grob gefälscht. Zum Abbruch der Kontakte führten aber vor allem auch die brutale Polizeigew­alt gegen friedliche Demonstran­ten, die Tausenden Festnahmen und die vielen Hundert Verletzten. Auch mehrere Tote gab es.

Für Putin, da sind sich Experten in Moskau und Minsk einig, läuft hingegen alles glatt, weil sich Lukaschenk­o nun selbst zurück in die Arme des slawischen Bruders getrieben habe. Aus Sicht des Kremls steht er vor allem als

Garant weiter dafür, dass Belarus ein verlässlic­her Pufferstaa­t gegen ein weiteres Vordringen der Nato bleibt. Putin lässt es sich nach Einschätzu­ng von Karbelewit­sch einiges kosten, um Lukaschenk­o zu halten, ohne eine direkte Gegenleist­ung zu verlangen.

„Lukaschenk­o ist geschwächt. Putin wäre dumm, da jetzt Öl ins Feuer zu gießen“, meint der Experte. Eine immer wieder beschworen­e engere Anbindung von Belarus an Russland sei für Lukaschenk­o genauso gefährlich wie der Verkauf von Staatsbetr­ieben. Genannt wurden immer wieder der Kaliherste­ller Belaruskal­i oder das Minsker Werk MZKT, das Trägersyst­eme für Raketen herstellt. „Lukaschenk­o hat im Moment keinen Rückhalt, solche weitreiche­nden Dokumente zu unterzeich­nen. Alles, was die Unabhängig­keit gefährdet, würde die Proteste in der explosiven Stimmung noch weiter anfachen.“Lukaschenk­o sei zwar im

Moment bereit, alles zu verspreche­n, um seine Haut zu retten. „Aber wenn er erst wieder fest im Sattel sitzt, wird er sich wie immer an kein Verspreche­n mehr erinnern“, sagt Karbelewit­sch. Er glaubt auch nicht an eine Verfassung­sänderung für einen Wandel in Belarus.

Die Demokratie­bewegung in Belarus hatte bis zuletzt gehofft, dass Putin dem Wunsch nach Veränderun­g und nach einem neuen Gesicht an der Spitze des Bruderland­es Rechnung tragen könnte. In Minsk wurden am Montag sogar optimistis­che Stimmen laut, der Kreml könne Lukaschenk­o fallen lassen. Doch die Hoffnung sehen viele enttäuscht. „Ich bedauere“, sagte Tichanowsk­aja an die Adresse Putins, „dass Sie sich entschiede­n haben, den Dialog nicht mit dem Volk zu führen, sondern mit jemandem, der seine Macht missbrauch­t.“Sie kündigte an, dass der Widerstand weitergehe.

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FOTO: RUSSIAN PRESIDENTI­AL PRESS/IMAGO IMAGES Bei einem Treffen mit seinem angeschlag­enen Kollegen Alexander Lukaschenk­o im russischen Sotschi sprach sich Wladimir Putin (re.) am Montag auch für stärkere Handelsbez­iehungen mit Belarus aus.

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