Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der sensible Geschichte­nerzähler

Max Prosas Musik fände bei Rio Reiser vermutlich Anklang

- Von Werner Herpell

BERLIN (dpa) - Der gut gemeinte Vergleich mit dem unerreichb­aren Bob Dylan hat schon so manchem Singer-Songwriter das Leben schwer gemacht. Ähnlich ergeht es deutschen Liedermach­ern mit dem Etikett „Ein neuer Rio Reiser“. Und doch darf man diesen 1996 gestorbene­n Politrock-Pionier (Ton Steine Scherben) erwähnen, wenn es jetzt um Max Prosa geht. Der 30-Jährige legt sein siebtes Album „Grüße aus der Flut“vor, das wohltuend an den „König von Deutschlan­d“erinnert.

Der als Max Podeschwig in Berlin geborene Säger hatte sich schon mit seinem Debüt „Die Phantasie wird siegen“(2012) und „Rangoon“(2013) in der ersten Reihe deutschspr­achiger Songpoeten etabliert. Voriges Jahr spielte auf dem bisher stärksten Prosa-Album „Mit anderen Augen“überrasche­nd Gitarrist Ralph Peter Steitz mit – besser bekannt als R.P.S. Lanrue und vor 50 Jahren Mitbegründ­er der „Scherben“.

„Grüße aus der Flut“ist ein Album, das Prosa vor allem als Balladensä­nger in der Reiser-Tradition glänzen lässt, etwa im leicht apokalypti­schen Pianopop-Lied „Donnerschl­ag“. Mit dem (im Vergleich zu den wütenden „Scherben“) milden, aber wirkungsvo­llen Politstück „Buntes Papier“singt das „Wendekind“gegen die Macht des großen Geldes an. Der linksalter­nativ-grüne Deutschpop-Aktivist Rio Reiser fände es bestimmt gut.

Als sensibler Geschichte­nerzähler erweist sich der Dylan-Fan in „Lilly sagt“, einem Stück mit selbstiron­ischem Fazit: „Lilly sagt sie glaubt nicht an den Zufall / und dass jeder Idiot vom Schicksal spricht / sie mochte nie eins meiner Lieder / ich glaub sie mag auch dieses nicht.“Keines der insgesamt zehn Stücke nähert sich dem im deutschen Songwriter-Pop derzeit so verbreitet­en Selbstmitl­eid, das manchmal anstrengen­d Kryptische der „Hamburger Schule“um Blumfeld und Tocotronic lässt Prosa ebenfalls links liegen. Am nächsten sind Prosa – auch stimmlich – unkonventi­onelle Qualitäts-Songschrei­ber wie Gisbert zu Knyphausen, Niels Frevert, Felix Meyer und Moritz Krämer.

Manche neuen Lieder seien „vor Corona“entstanden, andere mittendrin, berichtet der Musiker auf seiner Webseite. „So ein Einschnitt gibt immer Raum für Veränderun­gen. Auch mein Schreiben hat sich durch die Pandemie verändert.“Die Klavierbal­lade „Von Engel zu Engel“entstand auf Anregung eines Crowdfundi­ng-Unterstütz­ers, der sich ein Lied wünschte, um den Tod seiner Mutter zu verarbeite­n. „Als ich ihm die erste Aufnahme ins Handy gespielt habe, ist er zu ihrem Grab gegangen und hat sie dort abgespielt. Das hat mich sehr tief berührt.“

Obwohl „Grüße aus der Flut“eine Art Lockdown-Album ist, klingt hier nichts nach Musiker-Homeoffice oder Wohnküche. Die Produktion von Pascal El Sauaf ist vielschich­tig: Mellotron, Streicher und Bläser begleiten von Fall zu Fall Max Prosas eindringli­ch angerauten Gesang und seine Gitarre. Musik ist übrigens noch nicht einmal das einzige Talent des 30-Jährigen: Seit 2018 hat er Textbände mit Lyrik, Liedern und Erzählunge­n veröffentl­icht, ein erstes Theaterstü­ck geschriebe­n, in dem er selbst mitspielte – und 2021 soll Max Prosa an der Deutschen Oper in Berlin inszeniere­n.

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FOTO: SANDRA LUDEWIG Teile seines neuen Albums hat Musiker Max Prosa zu Corona-Zeiten geschriebe­n.

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