Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mangelnder Respekt trifft vor allem Polizisten
Gewalt gegen Polizei nimmt zu – Feuerwehr und Rotes Kreuz werden im Landkreis seltener angegangen
KREIS RAVENSBURG - Eigentlich wollen sie helfen, doch dann richtet sich die Aggression plötzlich gegen sie selbst. Die Gewalt gegen Mitglieder der sogenannten „Blaulichtfamilie“, bestehend aus Einsatz- und Rettungskräften von Polizei, Feuerwehr, Rotem Kreuz und anderen Organisationen nimmt weiter zu – besonders stark im Landkreis Ravensburg. Vor allem Polizeibeamte werden im Einsatz immer häufiger angegriffen. Feuerwehr und Rotes Kreuz bewahren trotz statistisch steigender Zahlen die Ruhe.
Im Einsatz sind besonders Polizisten von Anfeindungen und tätlichen Angriffen betroffen. Insgesamt 304 Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamte hat das Polizeipräsidium Ravensburg über drei Landkreise verteilt im vergangenen Jahr gezählt. 33 mehr als im Vorjahreszeitraum. 155 davon wurden im Landkreis Ravensburg registriert, 18 davon in der Stadt Wangen.
Die Beamten des Präsidiums Ravensburg spüren zunehmend „Gewaltvorfälle“und „Respektlosigkeit“gegenüber Polizisten: „Da verändert sich was“, erklärte Polizeipräsident Uwe Stürmer vor Kurzem. Hintergrund dieser Äußerungen waren Bilder aus Ravensburg, wo ein Verdächtiger einem Beamten bei einer Kontrolle sein Knie an den Kopf gerammt und ihn dadurch schwer verletzt hatte. Wenige Tage zuvor waren die Aufnahmen eines jungen Mannes durch die nationale Presse gegangen, auf den zu sehen ist, wie er in der Krawallnacht zum 21. Juni in Stuttgart einem Polizisten mit Anlauf in den Rücken tritt.
Die Gewalt gegen Polizeibeamte im Bereich des Polizeipräsidiums Ravensburg habe im Schnitt der letzten Jahre kontinuierlich zugenommen. Auch wenn die Zahlen schwanken, zeige die Tendenz deutlich nach oben, so der Polizeipräsident. Demnach waren es 2010 noch 201 erfasste Fälle, 2019 schon 304. „Das entspricht einer Zunahme in zehn Jahren um mehr als 50 Prozent“, rechnet Stürmer im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“vor.
Allerdings sind nicht alle in der Statistik festgehaltenen Angriffe Fälle schwerer körperlicher Gewalt. Neben den tatsächlichen körperlichen Angriffen werden beispielsweise auch Delikte wie das Anspucken eines Beamten in die Statistik der Gewalt gegen Polizeibeamte aufgenommen. „Es muss nicht immer eine Handgreiflichkeit, ein Tritt oder Schlag sein“, erklärt ein Sprecher des Präsidiums.
Dennoch steige nach Ansicht des Polizeipräsidenten auch die Brutalität der Angriffe deutlich. „Selbst wenn diese Einschätzung subjektiv ist und ich keine konkreten Zahlen nennen kann, ist festzustellen, dass Polizeibeamte nach Angriffen immer öfter, zumindest zeitweilig, dienstunfähig sind“, erklärte Stürmer im SZ-Interview und machte seinen Standpunkt klar: „Ich sage es ganz deutlich: Jeder Angriff auf Polizeibeamte ist ein Angriff auf unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie – und ist nicht tolerierbar, egal wie schwer die Folgen sein mögen.“
Nicht ganz so dramatisch sieht die Situation bei Feuerwehr und Rotem Kreuz aus. Zumindest nicht im Landkreis Ravensburg, wenn man Kreisbrandmeister Oliver Surbeck und Robert Hohl, Fachbereichsleiter „Einsatzdienst und Organisation“des DRK-Rettungsdienstes Allgäu-Bodensee-Oberschwaben,
Gehör schenkt. Sie sprechen im Bezug auf Gewalttaten gegen die eigenen Mitarbeiter von „überschaubaren Zahlen“sowie „Einzelfällen“und relativieren damit indirekt die CDU-Landtagsabgeordneten Raimund Haser und August Schuler. Diese hatten mit Blick auf die Statistik unlängst in einer eigenen Pressemitteilung davon gesprochen, dass „unseren Einsatzkräften immer häufiger Hass, Beleidigungen und Gewalt entgegenschlägt.“
Die Abgeordneten bezogen sich mit ihrer Aussage auf eine Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der CDU-Landtagsfraktion, wonach im Jahr 2019 insgesamt 190 Angriffe auf Rettungskräfte in BadenWürttemberg statistisch registriert wurden. Das waren laut der Pressemitteilung fast viermal so viele Angriffe wie noch 2011.
Elf dieser Fälle wurden demnach im Landkreis Ravensburg registriert, der dritthöchste Wert im Land. Mehr Angriffe gab es nur im Stadtkreis Stuttgart (18) und im Stadtkreis Mannheim (14). Alarm schlagen möchten die Führungen von Feuerwehr und Rettungskräften im Landkreis aber dennoch nicht.
„Bis auf ganz wenige Einzelfälle sind die Kameraden im Landkreis Ravensburg bislang von Pöbeleien, Beschimpfungen oder Anfeindungen verschont geblieben“, beschreibt Kreisbrandmeister Oliver Surbeck die alltägliche Situation der Feuerwehrleute auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Tätliche Angriffe kommen demzufolge fast gar nicht vor, und wenn doch, sei sehr wahrscheinlich Alkohol im Spiel gewesen, so Surbeck weiter.
Viel eher spüre man, dass gegebene Anweisungen, mit denen versucht wird, Zivilisten von den Einsatzstellen fernzuhalten, mittlerweile häufiger ignoriert werden. Befolgt werden diese laut Surbeck oft erst dann, wenn die Polizei sie wiederholt. „Wir spüren also eher ein Abrutschen des Hoheitsdenkens“, so Surbeck.
Dass die aktiven Kameraden im Landkreis in der Regel von Anfeindungen verschont bleiben, macht der Kreisbrandmeister an der Tatsache fest, dass alle Feuerwehrkräfte im Landkreis ehrenamtlich arbeiten. Gerade im ländlichen Raum kenne fast jeder jemanden, der bei der Feuerwehr ist. „Es ist fast immer ein Freund, der vor einem steht, oder zumindest der Freund eines Freundes. Daher ist die Feuerwehr im Landkreis bei diesem Problem nahezu komplett außen vor“, fasst es Surbeck zusammen.
Auch für Robert Hohl vom DRKRettungsdienst Allgäu-BodenseeOberschwaben, sind die Zahlen der Anfeindungen gegen die Rettungskräfte noch nicht besorgniserregend. Bisher habe das DRK in einer eigenen Statistik im Jahr 2020 insgesamt 28 Fälle im Kreis Ravensburg und Bodenseekreis erfasst, wobei sich die Fälle auf beide Landkreise ungefähr gleich verteilen. „Bei über 60 000 Einsatzfahrten im gleichen Zeitraum ist der Anteil glücklicherweise nach wie vor gering“, ordnet Hohl die Zahlen ein.
Das DRK erfasst seit 2019 systematisch die Fälle von Gewalt, sowohl körperlich als auch verbal, gegen die eigenen Leute. Eine signifikante Zunahme der Fälle kann Hohl nicht bestätigen. „Obwohl wir die Fälle erst seit 2019 systematisch erfassen, wissen wir auch, dass es „schon immer“derartige Vorfälle gab. Die Anzahl war aber auch „schon immer überschaubar“, so Hohl. Der eigenen Statistik nach gäbe es sowohl verbale als auch körperliche Anfeindungen, wobei körperliche Angriffe deutlich seltener auftreten. „Schwere Verletzungen gab es bisher bei uns nicht“, stellt Hohl klar.
Die meisten Anfeindungen erfolgen laut DRK-Sprecher während der Patientenversorgung und durch die Patienten selbst. Überwiegend seien diese dann alkoholisiert oder unter Drogeneinfluss. „Anfeindungen durch alkoholisierte oder unter Drogeneinfluss stehende Personen wie auch durch psychisch Erkrankte oder Beeinträchtigte lassen sich selten vollständig vermeiden.“Durch Fortbildungen versuche man allerdings, die Einsatzkräfte bestmöglich vorzubereiten. Deeskalierende Kommunikation gehöre bereits zur Ausbildung von Notfallsanitätern. „Die Folgen von auftretenden Anfeindungen versuchen wir unter anderem durch eine interne Gruppe zur psychosozialen Notfallversorgung von Einsatzkräften abzumildern und bei Bedarf können wir im Akutfall auch immer auf die Unterstützung der Polizei zählen“, so Hohl.