Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ferrari ist 1000 – und immer Emotion
Trotz aktueller Durststrecke bleibt die Scuderia der erfolgreichste Rennstall der Formel 1 – Ein Rückblick in Episoden
José Froilán González galt als begnadeter Schwimmer. Einer der besten Argentiniens. „El Cabezón“nannten ihn seine Landsleute, was wohlwollend übersetzt „dicker Kopf “heißt. Als „Pampas-Stier“kannte man José Froilán González in England, das europäische Festland sprach gerne vom „argentinischen Puma“. Geschuldet waren die Spitznamen 125 Kilogramm Lebendgewicht, einer gewissen Angriffslust des Sportlers González – und dessen Schnelligkeit ...
... im Formel-1-Auto. José Froilán González hatte dem Wasser den Asphalt vorgezogen und sein zweites, offenbar noch ausgeprägteres Talent forciert. So eindrucksvoll, dass der große Enzo Ferrari ihn („mich Bauernbengel aus Arrecifes“) in seine Scuderia holte, 1951, im zweiten Jahr der Formel-1-Weltmeisterschaft. Im vierten Saisonlauf debütierte der 28-Jährige für den Rennstall aus Maranello, in den fünften – den Großen Preis von England in Silverstone – startete er von der Pole-Position. Gehörig nervös, wie er Jahrzehnte später „Auto Motor und Sport“gestehen sollte: „Das Fünf-Minuten-Signal wirkte auf mich wie die Posaunen von Jericho. Ich verspürte ein dringliches menschliches Rühren, lief los und landete aus Versehen in der Damentoilette.“
Fortan aber wusste José Froilán González, wo er hinwollte. Und wie: Sein Ferrari 375F1 hatte den Vorteil, dass dessen 4,5-Liter-V12-Saugmotor weniger Benzin verbrauchte als der Antrieb im Alfa Romeo seines ärgsten Konkurrenten und Landsmanns Juan Manuel Fangio. Zudem verzichtete Ferrari-Platzhirsch Alberto Ascari nach einem Getriebeschaden auf den seinerzeit probaten teaminternen Wagentausch; für José Froilán González bedeutete dies: Beherzt gefahrene 90 Runden belohnte ein Sieg. Ferraris erster. In Ferraris elftem von seit Sonntag 1000 Grands Prix.
Enzo Ferrari bestellte José Froilán González daraufhin nach Maranello:
„In seinem Büro gab es ein großes Foto des Sieges gleich hinter seinem Schreibtisch. Er bat mich, es zu unterschreiben und ihm jedes kleine Detail über das Rennen zu erzählen. Dann gab er mir eine goldene Uhr mit dem Ferrari-Logo darauf.“So generös war „Il Commendatore“selten. 2000 Dollar Jahresgage soll er José Froilán González für 1951 zugesichert haben – „nur bekommen habe ich sie nie“.
Das Finanzielle dürfte mit Grund dafür gewesen sein, dass Ferrari in der Stunde null der Formel 1 fehlte. 1950 in Silverstone, so geht die Geschichte, sei den Italienern das Antrittsgeld nicht hoch genug gewesen – WM-Einstieg folglich erst in Rennen Nr. 2. So wurde Monaco am 21. Mai 1950 der Ort, an dem das „Cavallino rampante“zu springen begann. Drei 125F1 trugen das Emblem mit dem sich aufbäumenden Pferd, Alberto
Ascari, Luigi Villoresi und Raymond Sommer lenkten sie. Rang zwei für Alberto Ascari war erster Fingerzeig auf sieben Jahrzehnte Erfolgsgeschichte. Ferraris Kenndaten Stand 15. September 2020 lesen sich so: 1000 WM-Läufe, 15 Fahrer- und 16 Konstrukteurstitel, 238 Siege, 228-mal Pole-Position, 254 schnellste Runden.
Zahlen allein begründen keinen Mythos. Einer wie Enzo Anselmo Ferrari hingegen schon. Charisma und Passion („Ich habe in der Tat kein Interesse an einem Leben außerhalb von Rennautos“) paarte der Mann, der erst Journalist, dann Opernsänger werden wollte, schließlich für AlfaRomeo Rennen fuhr und 1929 die Scuderia Ferrari gründete, mit kühler Distanz zu seinen gasgebenden Mitarbeitern: „Rennautos sind loyal, Fahrer oft nicht.“Der Erfolg der Marke – nicht des Menschen – heiligte für Enzo Ferrari die Mittel. Und die Marke war erfolgreich; Weltmeister 1952 und 1953 wurde Alberto Ascari. Mit einer Dominanz, die bemerkenswert war. Ebenfalls bemerkenswert: Der Mailänder sollte der bis heute letzte italienische Weltmeister bleiben ...
Was es heißt, den Titel nach Maranello zu holen, beschrieb wohl Jody Scheckter, Weltmeister 1979, am trefflichsten: „Wenn du für Ferrari fährst“, hat der Südafrikaner festgestellt, „fährst du für ganz Italien – das macht den Zauber aus.“Wenn du für Ferrari hinterherfährst, leidet ganz Italien – diese Erfahrung musste Jody Scheckter 1980 machen, als er im fatal fehlkonstruierten Ferrari 312T5 bescheidene zwei WM-Pünktchen gewann und 19. der Saisonhierarchie wurde. Platz zehn in der Team-Weltmeisterschaft (Stallgefährte Gilles Villeneuve
steuerte auch nur sechs Zähler bei) ist noch immer Tiefpunkt in Ferraris Historie; Durststrecken indes kennen sie in Maranello zu Genüge.
So finden sich im Skurrilitätensammelsurium in Rot etwa zwei Nürburgring-Gastspiele ohne Ferrari-Beteiligung (1969 und 1973) – man war schlicht nicht in der Verfassung, in Sachen Auto nicht gewünscht konkurrenzfähig. Auch Alain Prost machte diesbezüglich Erfahrungen: Kam 1990 als dreimaliger Weltmeister, schlug sich erst recht, im zweiten Jahr schlecht. Vor allem aber verglich er sein Dienst- mit einem Nutzfahrzeug. Schwergängig sei der Ferrari „wie ein fürchterlicher Truck“, wurde der Franzose nach der Zieldurchfahrt in Japan zitiert – und sogleich entlassen. Das Lkw-Bild wollte er auf die Folgen eines Stoßdämpferdefekts für die Lenkung bezogen haben, nicht auf den Ferrari 643. Keine Chance! Das nächste Rennen fuhr Testpilot Gianni Morbidelli, der Dreijahresvertrag war Makulatur. Die (stolze) Marke blieb größer als der (kritische) Chauffeur.
Enzo Ferrari war da bereits drei Jahre tot, Michael Schumacher noch viereinhalb Jahre von Ferrari entfernt. Der Kerpener sollte es auf fünf Weltmeistertitel und 72 erste Plätze für und im Ferrari bringen, der treueste Fahrer in inzwischen 71 WM-Saisons werden mit seinen 180 Grands Prix. Geliebt wurde er auch für Sätze wie diese: „Als Kind sagte mir der Name ,Ferrari‘ gar nichts ... verbunden habe ich damit kaum etwas. Autos waren für mich Mittel zum Zweck, mehr nicht. Ein Gebrauchsgegenstand, austauschbar. Dass ein Auto eine Seele und Charakter haben kann, dass ein Auto ein ästhetisches Kunstwerk sein kann: Das alles habe ich erst durch Ferrari gelernt.“
Ferrari ist 1000. Das schützt, Mugello hat es erneut gezeigt, nicht vor Enttäuschungen. Frag’ nach bei Sebastian Vettel. Zehnter war der am Sonntag im Ziel, konsternierter Zehnter: „Es gab nicht viele, die langsamer waren als wir. Das war alles, was geht.“Manchmal ist Ferrari Drama. Gerne auch großes. Ad multos annos!