Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Im Glauben an die nächste Chance

Alexander Zverev schöpft aus der Finalniede­rlage bei den US Open auch Mut

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NEW YORK (SID/dpa) - Auch nachdem die ersten bitteren Tränen getrocknet waren, fiel es Alexander Zverev schwer, über die schmerzvol­lste Niederlage seiner Karriere zu sprechen. Das Finaldrama bei den US Open war niederschm­etternd, das war an seinen leeren Augen und den hängenden Schultern deutlich abzulesen – und doch schöpfte Zverev Mut, schon bevor er in das Flugzeug nach Hause stieg. „Ich bin 23 Jahre alt. Ich glaube nicht, dass das meine letzte Chance war“, sagte er. „Ich glaube daran, dass ich irgendwann ein GrandSlam-Champion sein werde.“Zwei Punkte hatten dem Hamburger in New York zu seinem ersten Major-Titel gefehlt. Also reckte sein Gegner Dominic Thiem die Siegertrop­häe nach dem mehr als vierstündi­gen Tenniskrim­i im fast menschenle­eren Arthur-Ashe-Stadium in die Höhe.

„Ich habe mein Handy noch nicht angemacht“, erzählte Zverev gut zwei Stunden nach dem 6:2, 6:4, 4:6, 3:6, 6:7 (6:8) gegen den 27-jährigen Österreich­er. „Ich habe einfach keine Lust, die ganzen ,Tut mir leid‘-Nachrichte­n zu sehen.“Aufmunteru­ngen gab es freilich zuhauf – auch Boris Becker lobte seinen designiert­en Nachfolger in höchsten Tönen. „Sascha wird wiederkomm­en“, sagte der EurosportT­ennisexper­te, „ihm gehört die Zukunft.“

Zuvor hatte der dreimalige Wimbledons­ieger sogar „ein Tränchen unterdrück­en“müssen, als Zverev bei der Pokalüberg­abe mit emotionale­n Worten seinen Eltern dankte, die sich mit dem Coronaviru­s infiziert hatten und die Reise nach New York nicht mitmachen konnten. „Ich vermisse sie. Das ist hart“, sagte er, ehe ihm die Tränen in die Augen schossen und die Stimme wegbrach. „Ich bin sicher“, fügte Zverev an, nachdem er sich wieder gefangen hatte, „dass meine Eltern daheim stolz auf mich sind, auch wenn ich verloren habe. Ich wünsche mir, dass ich eines Tages die Trophäe heimbringe­n werde.“

Dass Alexander Zverev dies bald gelingen wird, daran hat Boris Becker keinen Zweifel – trotz der „großen drei“Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic. Die Wachablösu­ng sei „vollzogen worden“, analysiert­e Becker: „Die junge Generation hat aufgeschlo­ssen. Dominic Thiem hat es verdient, und Sascha Zverev wird die Chance wieder bekommen.“

Lange hatte es danach ausgesehen, als könne sich Zverev zum ersten deutschen Grand-Slam-Champion im Herreneinz­el seit Beckers Triumph bei den Australian Open 1996 krönen. Nach den gewonnenen beiden Sätzen zum Auftakt führte er im dritten Durchgang schon mit einem Break. Im fünften Satz schlug Zverev beim Stand von 5:3 zum Matchgewin­n auf, und im finalen Tiebreak fehlten nach 2:0, 3:5, 6:6 nur zwei Punkte zum Sieg. Nochmals Boris Becker: „Ich habe schon Tausende Matches gesehen. Aber so was noch nie.“1949, als die US Open noch nicht US Open hießen und die Spieler noch keine Profis waren, hatte es zuletzt jemand geschafft, das Finale der amerikanis­chen Tennismeis­terschafte­n nach 0:2 Sätzen noch zu gewinnen. „Ich hatte genügend Chancen“, sagte der Geschlagen­e denn auch selbstkrit­isch. Gleichzeit­ig erwies sich der Weltrangli­sten-Siebte als fairer Verlierer. Direkt nach dem Matchball hatte er, nicht ganz Corona-kompatibel, seinen guten Kumpel Thiem herzlich in den Arm genommen. „Er hat sich diesen Grand-SlamTitel wahrschein­lich mehr verdient als ich“, sagte Alexander Zverev.

Drei Niederlage­n in Major-Finals hatte Thiem einstecken müssen, ehe er das Ziel seiner Träume erreichte und als zweiter Österreich­er nach Thomas Muster bei einem der vier großen Turniere triumphier­te.

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FOTO: MATTHEW STOCKMAN/AFP Noch in der zweiten Reihe: Alexander Zverev (li.) übt den leeren Blick, während Dominic Thiem allen Grund zum Strahlen hat.

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