Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Corona als Schulgespenst
Lehrer wie Schüler müssen sich wegen des Virus mit Hygienekonzepten arrangieren – Schwierigkeiten tun sich eher abseits der pädagogischen Verantwortung auf
WEINGARTEN - Auf den Fluren der Talschule im oberschwäbischen Weingarten kleben schwarz-gelbe Abstandsmarkierungen, Behälter mit Desinfektionsmittel wurden an Eingängen und anderen Orten aufgestellt. Schilder fordern auf: „Hygiene beachten“. Am Dienstagmorgen strömen die Schüler brav mit Masken auf Mund und Nase auf den Pausenhof. Es ist der zweite Tag des Schuljahres. Unterrichtsstart zu Corona-Zeiten – eine Herausforderung für Rektoren und die ganze Lehrerschaft. Aber ebenso für die Träger der Schulen und des Schulbusverkehrs, meist Kommunen.
Ob diese Herausforderung tatsächlich in all ihren Verzweigungen bewältigt werden kann, ist offen. Zumindest fühlt man sich aber in Weingarten gerüstet. „Für die Vorbereitungen haben wir die ganzen Sommerferien gebraucht“, sagt Hans-Ulrich Widmaier, Rektor dieser Grundund Werkrealschule sowie gleichzeitig geschäftsführender Rektor der örtlichen Schulen. Viel Arbeit, erschwert dadurch, dass das badenwürttembergische Kultusministerium die neue Hygieneverordnung erst am 31. August bekannt gab – zwei Wochen vor Ferienende.
Aber auch damit sei man zurechtgekommen, sagt Widmaier. Am sichtbarsten ist die Maskenpflicht außerhalb der Klassenzimmer. Sie gilt ab der fünften Jahrgangsstufe und damit an der besagten Weingartener Bildungsstätte für die weiterführende Werkrealschule. Von den Lehrern sind alle betroffen. 50 Pädagogen zählt die Talschule. Sie unterrichten insgesamt 550 Grund- und Werkrealschüler. Ihr Lehr-Domizil sind typische Gebäude aus den 1960er-Jahren mit Flachdächern, großzügigen Fensterfronten und ausgedehntem Pausenhof. Ziemlich zentral in der Stadt gelegen. Wenn nicht gerade Pause ist, wirkt alles beschaulich ruhig. Nur manchmal klingt durch geöffnete Fenster Unterrichtsgemurmel aus Klassenzimmern. Widmaier blickt beim Gang übers Gelände entspannt in die Runde. Sein Signal: bisher alles im grünen Bereich. Er berichtet, die größte Herausforderung des Hygienekonzepts seien „die Schnittstellen“gewesen. Damit meint Widmaier vor allem Pausen. Dabei wurde weniger befürchtet, dass
Schüler die auf den Schulhöfen bestehende Maskenpflicht unterlaufen. Das Problem liegt woanders. „In den Pausen neigen die Schüler eben dazu, sich zu mischen“, sagt Widmaier.
Anders ausgedrückt: Klassen bleiben nicht unter sich. Dies ist aber ein zentraler Punkt des Hygienekonzepts aus dem baden-württembergischen Kultusministerium. „Kohortengedanke“nennt sich dies. Die Schüler sollen sich nur in ihrer Gruppe bewegen. Immer und überall ist das zwar sowieso nicht durchführbar. So wird in der gymnasialen Oberstufe im Kurssystem unterrichtet. Aber das Kultusministerium hält den Gruppenansatz für das Gros der Schülerschaft für höchst vernünftig.
Im Falle einer Corona-Infektion wären die Auswirkungen auf die Schule begrenzt. Es müsste nur die Gruppe für eine Quarantäne aus dem Verkehr gezogen werden. Die Schule könnte aber offen bleiben. Wie Widmaier erklärt, würde nun versucht, Pausen und Schulhof so zu strukturieren, dass eine Vermischung weitgehend vermieden werde.
Als Mittel dafür gelten etwa festgelegte Zonen und die Aufsicht der Lehrer. „Der Abstand muss halt gewährleistet sein“, betont der Weingartener Rektor. Jedenfalls gibt er sich am Morgen des zweiten Schultags in Baden-Württemberg zuversichtlich. „Wenn wir die nächsten 14 Tage gut über die Runden kommen, ist viel geschafft“, glaubt er.
Der Hinweis auf die Zwei-Wochen-Frist bezieht sich auf Urlaubsrückkehrer. Die Befürchtung: Erst kurz vor Schulbeginn zurückgekommene Kinder könnten das Coronavirus in die Klassenräume einschleppen. Als möglicher Infektionszeitraum gelten zwei Wochen. Der Gedanke an eine Maskenpflicht auch während des Unterrichts läge deshalb nahe. Die Landesregierung hat aber am Dienstag einmal mehr bekräftigt, dass sie dies gegenwärtig für unnötig hält.
In Bayern hat sich die Staatsregierung hingegen anders entschieden. Sie ordnete in den Klassenräumen für die ersten zwei Schulwochen ab der fünften Jahrgangsstufe eine allgemeine Maskenpflicht an – und nicht nur auf Fluren, Klos oder Pausenhöfen wie in Baden-Württemberg. Worauf sofort Proteste von Elternund Lehrerverbänden losbrachen. Der Tenor: Das Maskentragen erschwere den Austausch zwischen Schülern und Lehrern. Man sehe kein Gesicht und kein Minenspiel. Des Weiteren würden sich lernschwache Schüler mit dem Tuch vor dem Mund womöglich noch seltener melden als zu normalen Zeiten, bemängelte Susanne Arndt, Vorsitzende des Landeselternvereins der Gymnasien Bayerns.
Die Staatsregierung mit ihrem obersten Anti-Corona-Kämpfer Markus Söder blieb bei der Maskenpflicht. Am 8. August, knapp eine Woche vor Baden-Württemberg, rückten die bayerischen Schüler entsprechend in ihre Klassenzimmer ein. Manuel Streubert, Rektor des Valentin-Heider-Gymnasiums in der Bodenseestadt Lindau, erzählt von den Erfahrungen: „Das ständige Maskentragen ist sehr beschwerlich und schränkt alle Beteiligten ein. Dennoch kommen die Kinder und auch die Lehrkräfte damit weitestgehend zurecht, weil alle Beteiligten damit zurechtkommen müssen, um Infektionsmöglichkeiten so gering wie möglich zu halten.“
Schüler des Gymnasiums drücken sich ähnlich aus. Die Maske sei zwar lästig, aber es gehe. Nach dem
Hans-Ulrich Widmaier, Rektor der Weingartener Talschule
Ende des Unterrichts und dem Verlassen des Schulgeländes rissen jedoch die meisten Schüler schnellstmöglich die Maske vom Gesicht – nach stundenlangem Unterricht menschlich durchaus nachvollziehbar, für den Corona-Schutz aber eher bedenklich.
Auf der Straße sind dann dicht gedrängte Schülergruppen zu sehen. Ein Teil davon zwängt sich zudem noch in Schulbusse. Sie wirken teilweise wie Sardinenbüchsen – praktisch ein geradezu idealer Verbreitungsraum für das Virus, selbst wenn im öffentlichen Nahverkehr auch eine Maskenpflicht gilt. Der Abstand fehlt jedoch. Bayerns Staatsregierung hat das Problem durchaus rasch erkannt. Sie finanziert bis zu den Herbstferien zusätzliche Schulbusse. 15 Millionen Euro sind dafür im Topf. „Der Landkreis Lindau erhält 89 000 Euro und wird mit diesen Mitteln sechs zusätzliche Fahrzeuge an den Schulstandorten in Lindau und Lindenberg einsetzen“, erklärt Landrat Elmar Stegmann.
Dass die Schulbus-Situation in Baden-Württemberg nicht anders sein würde, war absehbar. Nach dem ersten Schultag am Montag berichteten beispielsweise erschütterte Eltern aus Oberschwaben, dass ihre Kleinen im Bus eng eingezwängt gewesen seien. Wobei wohl noch viele Schüler das schöne Wetter ausnützen und in die Schule radeln. Was ist aber, wenn es regnet und die Busse noch voller sind? Die Lage würde sich zuspitzen, befürchten Eltern.
Wobei die Landesregierung wie ihr Pendant in München bereits reagiert hat. Landkreise können Verstärkerbusse bestellen. Das Verkehrsministerium will 80 Prozent der Kosten tragen. Insgesamt stünden dafür zehn Millionen Euro zur Verfügung, heißt es aus der Behörde.
Bei der Bus-Frage gibt es jedoch einen Haken: Zwar mögen genug Fahrzeuge aufzutreiben sein, aber eventuell nicht genug Fahrer. Allein im Südwesten würden fast 1000 Busfahrer fehlen, hat kürzlich der Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmer gemeldet.
Die Schulen können auf diesem Gebiet wenig bewirken. Dies gilt ebenso für das Kultusministerium.
Salopp ausgedrückt sind die Busse eine andere Baustelle, nämlich jene der Landkreise, Kommunen oder Verkehrsverbände. Ähnlich sieht es auf folgenden Feldern aus, wegen denen in Baden-Württemberg die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft verärgert ist: Lüftung und Reinigung. Die Landesvorsitzende Doro Moritz macht darauf aufmerksam, dass laut Hygienekonzept alle möglichen Flächen teilweise mehrmals täglich gereinigt werden sollten. „Das geht nicht ohne zusätzliches Reinigungspersonal“, meint sie. Fürs Aufstocken der Putzkolonnen seien aber die Schulträger zuständig, meist Kommunen. Bei der Lüftung ist es dasselbe. Moritz bemängelt, dass zahlreiche Schulen überhaupt nicht die Möglichkeit zum vorgeschriebenen Stoß- oder Querlüften hätten – schon weil sich Fenster vielleicht nur kippen lassen. „Die Lüftungsfrage
ist ungelöst“, sagt Moritz. Nun könnte das Anschaffen von beweglichen Raumlüftern ein Ausweg sein. Der Stückpreis: rund 2000 Euro. Zahlen müssten die Schulträger.
Aus dem Kultusministerium in Stuttgart ist zu hören: „Wenn wir im neuen Schuljahr wieder Unterricht in vollständigen Klassen anbieten wollen, dann müssen sich die Räume zwingend belüften lassen. Es ist Aufgabe der Kommunen als Schulträger zu gewährleisten, dass sich die Fenster an den Schulen dafür auch öffnen lassen.“Ressortchefin Susanne Eisenmann betonte daraufhin nochmals, dass „die Schulträger ihrer Verantwortung“nachkommen sollten. Gudrun Heute-Bluhm, Vorstandsmitglied im Städtetag Baden-Württemberg, hat dazu kürzlich dem Südwestrundfunk gesagt, all das benötige jetzt eine Prioritätenverschiebung und könnte nicht „von heute auf morgen“geschehen. Bisher hätte der Fokus auf der Digitalisierung gelegen – was in der Corona-Ära ebenfalls wichtig sei.
Wenigstens die Fenster müssen an der Weingartener Talschule nicht die Sorge von Rektor Widmaier sein. Vom Alter der Gebäude her sind sie nach guter Väter Sitte weit öffenbar. „Was ist aber, wenn es kälter wird?“, fragt der Pädagoge rhetorisch. Man kann die dahinter steckende Sorge nachvollziehen. Stoßlüften bei zehn Grad minus wäre sicher gewöhnungsbedürftig. Vielleicht beschert der Klimawandel Deutschland aber den nächsten milden Winter. „Wir müssen jetzt einfach schauen, wie sich alles entwickelt“, meint Widmaier fast schon schicksalsergeben.
In diesem Zusammenhang hilft nochmals ein Blick hinüber nach Bayern. Vier Schulen sind dort gerade mal eine Woche nach Unterrichtsbeginn wegen Corona wieder komplett geschlossen. Dazu kommen noch 120 Klassenverbände, die nun daheimbleiben müssen – und das trotz aller Hygienemaßnahmen.
Doro Moritz, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
„Wenn wir die nächsten 14 Tage gut über die Runden kommen, ist viel geschafft.“
„Das geht nicht ohne zusätzliches Reinigungspersonal.“
Wichtige Tipps und Tricks zum Maskenschutz finden Sie im Netz unter www.schwaebische.de/ maskenschutz