Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Superspreader sind fast immer junge Menschen“
RAVENSBURG - Immer wieder kommt es zu sogenannten „Superspreader-Ereignissen“, bei denen einzelne Infizierte besonders viele Menschen mit dem Coronavirus anstecken – kürzlich etwa in Garmisch-Partenkirchen. Redakteurin Theresa Gnann hat den Ulmer Virologen Professor Thomas Mertens gefragt, was die Wissenschaft bislang über die Superspreader weiß.
Eine infizierte Frau hat die Corona-Fälle in Garmisch-Partenkirchen sprunghaft ansteigen lassen. Die 26-Jährige war trotz Symptomen feiern und steckte als sogenannte Superspreaderin vermutlich viele weitere Menschen an. Warum stecken manche Infizierte mehr Menschen an als andere?
Es ist zwar ziemlich sicher, dass 80 Prozent der Sars-CoV-2- Infektionen von wenigen einzelnen Virusausscheidern ausgehen, aber es ist noch nicht klar, wie und warum dies so ist. Es gibt derzeit keine
Daten, die darauf hindeuten, dass es sich um besondere
Virusmutanten handelt. Es ist aber bekannt, dass verschiedene
Infizierte unterschiedlich viel Virus ausscheiden. Es spricht viel dafür, dass es auch die Umstände sind, die solche „Superspreader-Ereignisse“begünstigen. Es sind nach der Studie von Hitoshi Oshitani (Japan) fast immer junge Menschen, die (noch) keine oder wenig Symptome haben und die sich in der Phase der maximalen Virusausscheidung befinden. Hinzu kommt, dass es vielfach in geschlossenen Räumen mit nicht ausreichender Belüftung und bei Anwesenheit vieler Menschen passiert (zum Beispiel Disco, Karaoke Bar, Krankenhäuser). Unter solchen Bedingungen reichen wohl die Minimalabstände von 1,5 Metern nicht aus, im Gegenteil es erfolgen viele Kontakte. Demzufolge ist es unverantwortlich, wenn sich die junge Frau trotz bestehender Symptome so verhalten hat. Es ist aber auch anzunehmen, dass die anderen „Party-Teilnehmer“gegen die Vorsichtmaßnahmen verstoßen haben.
Sind Personen, die von einem Superspreader infiziert wurden, eher gefährdet selbst zum Superspreader zu werden?
Nein, dafür gibt es keine Hinweise.
Einer japanischen Studie zufolge sind Frauen im Alter unter 30 Jahren besonders häufig Superspreader. In 22 von 61 Fällen ging das Ausbruchsgeschehen demnach von jungen infizierten Frauen aus, die selbst kaum oder keine Symptome zeigten. Wie erklären Sie sich das?
Wenn wir annehmen, dass es ganz wesentlich das Verhalten und die Umstände sind, dann kann es immer noch sein, dass es nicht die Eigenschaft „weiblich“, sondern das Verhalten in der Gemeinschaft ist, zusammen mit der Tatsache häufiger asymptomatischer Infektionen. Die weitaus interessanteste Schlussfolgerung der Autoren ist, dass es ausreichen könnte, derartige „Superspreading-Ereignisse“zu verhindern, um die Ausbreitung von Sars-CoV-2 effektiv zu kontrollieren. Das würde bedeuten, dass man gezielt die Voraussetzungen für solche Ereignisse unterbinden müsste. Möglicherweise könnte man dann auch die Anzahl notwendiger Testungen auf VirusRNA deutlich reduzieren.