Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Der Stadtsee eignet sich besonders gut“
Claudia Höhnke erklärt, was das Forschungsprojekt in Bad Waldsee so besonders macht
BAD WALDSEE - Der Stadtsee in Bad Waldsee ist nicht nur ein beliebtes Ausflugsziel, sondern auch begehrtes Forschungsobjekt. Das zeigt ein großangelegtes Forschungsprojekt, das dieser Tage startet. Claudia Höhnke arbeitet als Doktorandin am Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Tübingen am Projekt mit und hat Wolfgang Heyer die in mehrerer Hinsicht besondere Untersuchung näher gebracht.
Frau Höhnke, um was für ein Forschungsprojekt handelt es sich genau? Was ist der Inhalt?
Es handelt sich um ein Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wird. Hierbei werden die Auswirkungen einer mittelalterlichen bis frühneuzeitlichen Stadtentwicklung auf die Umwelt am Beispiel von Bad Waldsee im Zeitraum zwischen circa 1200 bis 1800 untersucht, wobei die langfristige Beziehung zwischen Mensch und Umwelt im Vordergrund steht. Sowohl anthropogene Einflüsse als auch natürlich klimatische Ereignisse lassen sich anhand von historisch schriftlichen sowie natürlichen Archiven erforschen. Bei diesem Projekt werden daher Seesedimentkerne aus dem Stadtsee geochemischbiologisch, dendrochronologisch sowie palynologisch untersucht. Durch die Auswertung schriftlicher Quellen – vor allem aus dem Stadtarchiv Bad Waldsee – wird eine bevölkerungs-, klima- und wirtschaftsgeschichtliche Analyse vorgenommen.
Und warum ist der Stadtsee in Bad Waldsee hierfür der ideale Forschungsboden?
Der Stadtsee in Bad Waldsee eignet sich besonders gut für das Forschungsvorhaben, da seine Sedimentabfolge laminiert und damit teilweise jahresgenau datierbar erhalten ist.
Warum handelt es sich aus Ihrer Sicht um ein besonderes Projekt, das hier umgesetzt wird?
Der besondere Reiz des Projekts besteht in der interdisziplinären Zusammenarbeit von Geowissenschaften, der Geschichtswissenschaft sowie der Archäobotanik. Hierbei arbeiten jeweils Wissenschaftliche Mitarbeiter von der Technischen Universität Braunschweig, der Technischen Universität Darmstadt und der Universität Tübingen sowie Mitarbeiter vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg gemeinsam an diesem Forschungsvorhaben. Wirtschafts-, sozial- und umweltgeschichtliche Phänomene werden erstmals gemeinsam von Geistes- und Naturwissenschaften untersucht und interpretiert.
Wie sehen die nächsten Projektschritte aus?
Im Bereich der Geschichtswissenschaft werden aktuell Literatur und Quellen ausgewertet. Es folgt eine Archivreise ins Stadtarchiv Bad Waldsee und ins Fürstlich WaldburgWolfeggsche Gesamtarchiv Schloss Wolfegg. Die jeweiligen naturwissenschaftlichen Projektstellen starten ab Oktober.
Es soll auch Projektvorstellungen und Workshops geben. Sind hierzu schon genaue Termine bekannt? Aufgrund der aktuellen Situation ist leider noch kein genauer Termin bekannt. Auch ist bisher unklar, ob zeitnah Treffen in Bad Waldsee möglich sind oder ausschließlich online stattfinden können. Auf jeden Fall werden Infoveranstaltungen, Vorträge und Workshops stattfinden und alle Termine bekannt gegeben, sobald es die Situation wieder zulässt. Alle Beteiligten an diesem Projekt hoffen sehr, dass schon bald konkret geplant werden kann.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft bezuschusst das Projekt mit mehreren Hunderttausend Euro. Wofür wird das Geld eingesetzt? Vor allem werden durch die Fördermittel der DFG jeweils eine Doktorandenstellen für die Dauer von 36 Monaten an der Technischen Universität Darmstadt, der Technischen Universität Braunschweig und der Universität Tübingen finanziert. Hinzu kommen eine Mitarbeiterstelle für 24 Monate am Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg sowie Sachmittel für Hilfskräfte. Darüber hinaus werden bei den naturwissenschaftlichen Projektstellen spezielle Geräte und Labormaterial zur Untersuchung der Sedimentkerne sowie Computersoftware benötigt. Die geschichtswissenschaftliche Projektstelle wird insbesondere für Archivreisen bezuschusst.
Wie lange wird die Forschungsarbeit in Bad Waldsee andauern und welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich am Ende?
Das Projekt begann im Juli beziehungsweise beginnt im Oktober 2020 und ist für drei Jahre bis 2023 angesetzt. Nach Erhebung und Auswertung der historischen und naturwissenschaftlichen Daten, deren Abgleich, einer gemeinsamen Analyse und Interpretation sollen die Erkenntnisse zu einem Modell des mittelalterlichen bis frühneuzeitlichen Mensch-Klima-Umweltsystems für Bad Waldsee und seine Umgebung zusammengeführt werden.
Wer arbeitet an dem Projekt eigentlich alles mit?
Die Projektleiterinnen sind Professorin Sigrid Hirbodian vom Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Tübingen, Archivdirektor Professor Peter Rückert vom Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Professor Matthias Hinderer vom Institut für Geowissenschaften im Fachgebiet Angewandte Sedimentgeologie an der Technischen Universität Darmstadt, Professor Antje Schwalb vom Institut für Geosysteme und Bioindikation an der Technischen Universität Braunschweig sowie Doktor Elena Marinova-Wolff vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg. Außerdem besteht eine enge Kooperation mit Michael Wild, dem Leiter des Stadtarchivs Bad Waldsee. Herr Wild hat bereits seine Hilfe und Unterstützung angekündigt. Alle Projektbeteiligten freuen sich sehr auf die Zusammenarbeit.