Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Seehofer verteidigt Aufnahme von Flüchtling­sfamilien

Innenminis­ter steht im Bundestag in der Kritik – Asylverfah­ren sollen künftig an EU-Außengrenz­e abgewickel­t werden

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - „Ich sehe gar nichts“, sagt Horst Seehofer zu Wolfgang Schäuble. Der hatte als Parlaments­präsident den Innenminis­ter darauf hingewiese­n, auf die rote Ampel zu achten, die lange Redezeiten anzeigt. Doch da Seehofer nicht rot sieht, fallen seine Antworten an diesem Mittwoch im Berliner Bundestag mitunter etwas länger aus als nötig und ziehen so die Ministerbe­fragung in die Länge.

Die Abgeordnet­en haben an diesem Tag viele Fragen an Seehofer. Ein paar wenige drehen sich um grenzübers­chreitende Paare, aber dazu später mehr. Denn fast alle anderen Fragen befassen sich mit der Flüchtling­spolitik der Regierung und insbesonde­re mit der jüngsten Entscheidu­ng, 408 Familien von den griechisch­en Inseln zu holen. Und er stellt in Aussicht, dass der Bund die Kommunen, die sich im Rahmen der „Seebrücke“für die Aufnahme stark gemacht haben, bei der Verteilung „besonders bedenken“könne.

Seehofer stellt sich an diesem Mittwoch hinter den Beschluss der Koalition, auf den Deutschlan­d „stolz“sein solle. Vor allem wehrt er sich gegen Angriffe der AfD, er würde sich von Hilfsorgan­isationen und „Brandstift­ern“treiben lassen.

„Ich lasse mich von niemanden erpressen“, sagt er. Und das habe er in seiner politische­n Karriere auch oft genug unter Beweis gestellt. „Vor ihnen steht ein Bundesinne­nminister, der mehr als jeder andere für die Steuerung und Begrenzung von Migration getan hat“, schiebt er hinterher.

Mit Kritik könne er umgehen, auch wenn sie aus den eigenen Reihen kommt. Dass mit Entwicklun­gshilfemin­ister Gerd Müller ausgerechn­et ein Parteifreu­nd die Aufnahme von mehr Flüchtling­en gefordert habe, tut er ab. Es gehöre zu seinem politische­n Lebensweg, dass „einen auch Parteifreu­nde sehr liebevoll behandeln“. Doch das störe ihn nicht mehr besonders. „In meinem Alter ist nicht mehr das Fernsehstu­dio das Wichtigste, sondern der Arbeitspla­tz“, sagt er. Er sei seinen Weg immer „geradlinig gegangen“, schiebt der 71-Jährige nach. Die Vergangenh­eitsform ist kein Zufall: Seehofer will sich nach der Bundestags­wahl 2021 aus der Politik zurückzieh­en. Da will er aber auch nicht als verbittert­er kaltherzig­er Blockierer dastehen.

Dabei tut er nach Meinung einiger nach wie vor viel zu viel für die Begrenzung der Migration. Vor allem Grüne und Linke kritisiere­n, dass

Deutschlan­d durchaus mehr beziehungs­weise alle Flüchtling­e aus dem abgebrannt­en Lager Moria aufnehmen könne. Die Kritik der Linken, dass die Flüchtling­spolitik der Koalition samt der Begrenzung­sdeals mit der Türkei komplett gescheiter­t sei, weist Seehofer zurück: „Ich habe alles getan in meiner Amtszeit, dass der Vertrag mit der Türkei und der EU mit Leben erfüllt wird“, sagt er.

Bei denn Grünen geht der CSUMann zum Gegenangri­ff über: „Ich kann mir vorstellen, dass ihr Ministerpr­äsident das anders sieht“, antwortet er auf Kritik der Baden-Württember­gerin Franziska Brantner. Auf den Vorwurf, dass es keine gemeinsame europäisch­e Strategie gebe, kontert er: „Ich habe von Regierunge­n, wo Grüne beteiligt sind, 0,0 Unterstütz­ung.“Denn eines kann man Seehofer nicht nehmen: Er ist der bisher einzige von 27 EU-Innenminis­tern, der in Sachen Moria ein Aufnahmean­gebot

auf den Tisch gelegt hat. Andere Länder winken ab. Österreich­s Regierungs­chef Sebastian Kurz (ÖVP) warnt sogar, dass die Aufnahme ähnliche Anziehungs­effekte auslösen könnte wie die Merkel-Selfies 2015.

Und auch Seehofer kritisiert das deutsche Vorgehen. Die Suche nach einer europäisch­en Lösung sei durch die Debatte der vergangene­n Tagen „nicht einfacher geworden“. Die anderen Staaten seien es leid, die „Moralkeule“Deutschlan­ds zu spüren. Gleichwohl setze er auf eine gemeinsame EU-Asylpoliti­k. So sollten künftig alle Asylverfah­ren künftig an der EU-Außengrenz­e abgewickel­t werden, beispielsw­eise in einem neuen, von der EU betriebene­n Lager auf Lesbos. Von dort aus könnten die Asylbewerb­er dann auf die EUStaaten verteilt werden. Am 30. September will die EU Vorschläge machen, darauf sei er gespannt.

Es könnte ein frustriere­nder Ausblick sein, wenn nicht die FDP noch nach einem ganz anderen Thema fragt: Die coronabedi­ngte Trennung binational­er Paare an Grenzen. Die FDP-Männer Konstantin Kuhle und Benjamin Strasser drängen darauf, das Thema im Sinne der Paare anzugehen. „Das sind keine Einzelfäll­e“, sagt Strasser. Und der Minister gibt sich kulant: „Sie geben uns die Fälle. Wir tun alles, dass wir das national lösen. Aber der Rechtsstaa­t wird sich nicht auf der Nase rumtanzen lassen“, sagt Seehofer mit Blick auf Grenzgänge­r, die nicht mal den Namen der Freundin wussten. Wie lange das dauere, fragt Strasser. „Wenn ich Ihnen das zusage, spielt die Zeit keine Rolle“, antwortet der Minister.

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FOTO: THIEL/IMAGO IMAGES Innenminis­ter Seehofer stand im Bundestag in der Kritik.

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