Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Polizeiska­ndal in Nordrhein-Westfalen

29 Beamte wegen Nazi-Chats suspendier­t – Innenminis­terium spricht von Schande für die Polizei

- Von Frank Christians­en

DÜSSELDORF (dpa) - Adolf Hitler, Hakenkreuz­e, Reichskrie­gsflaggen und ein Flüchtling in der Gaskammer: Der nordrhein-westfälisc­he Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) und seine Mitarbeite­r werden sehr deutlich bei der Bewertung dessen, was in fünf Chatgruppe­n von fast 30 nordrhein-westfälisc­hen Polizisten entdeckt wurde: Da hätten sich „Abgründe aufgetan“, es sei „eine Schande“und treffe die Polizei „ins Mark“.

Nun sind alle 29 Beamte vom Dienst suspendier­t, müssen Ausweise und Waffen abgeben, dürfen ihre Uniformen nicht mehr tragen und ihre Dienststel­len nicht mehr betreten. Es war eher ein Zufall, der den Skandal ans Licht brachte. Gegen einen 32jährigen Polizisten war ermittelt worden, weil er Dienstgehe­imnisse an einen Journalist­en verraten haben soll. Als die Ermittler sich sein Handy ansahen, stießen sie auf WhatsAppGr­uppen mit einem Sammelsuri­um neonazisti­scher, rassistisc­her, rechtsextr­emer Dateien.

14 Beamte, die als Absender auftauchen, sollen nun für immer aus dem Polizeidie­nst entfernt werden. 15 Empfänger der braunen Post, die dazu schwiegen, müssen sich in Disziplina­rverfahren verantwort­en. Gegen mehrere Beamte wird auch strafrecht­lich ermittelt: wegen Verbreitun­g verfassung­sfeindlich­er Symbole und Volksverhe­tzung. Fast alle Verdächtig­en seien Polizistin­nen und Polizisten in Mülheim/Ruhr, unter ihnen ist auch ein Dienstgrup­penleiter. Bei einer großen Durchsuchu­ngsaktion am Mittwoch wurden weitere, noch nicht ausgewerte­te Mobiltelef­one sichergest­ellt. Sie bergen das Potenzial, dass sich der Fall noch deutlich ausweiten könnte.

Reul kündigte eine Sonderinsp­ektion für das Polizeiprä­sidium Essen an, zu dem Mülheim gehört. Dort ist der ehemalige Landeschef der Polizeigew­erkschaft GdP, Frank Richter, Polizeiprä­sident – und seine Ehefrau Extremismu­sbeauftrag­te der Polizei. Es habe keine Hinweise und keine Auffälligk­eiten gegeben, beteuert Richter. So etwas habe bislang „außerhalb meiner Vorstellun­gskraft gelegen“, bekannte er.

Alle Geräte, auf denen der verfassung­sfeindlich­e Inhalt gesichert wurde, seien Privatgerä­te gewesen. „Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, diese Menschen aus dem

Dienst zu entfernen. Da darf es kein Mitleid, keine falsch verstanden­e Kameradsch­aft geben. Das dürfen die Verfassung­sfeinde in unseren Reihen durchaus als Drohung empfinden“, kündigte der Innenminis­ter an. Die auch für den sprachgewa­ltigen Reul ungewöhnli­ch martialisc­hen Worte gelten etwaigen weiteren Mitläufern, die von ähnlichen Umtrieben wissen und sich bislang noch nicht offenbart haben. Nun sei es höchste Zeit für sie, ihren „falsch verstanden­en Korpsgeist“aufzugeben. Nun sei auch klar, dass man es nicht nur mit Einzelfäll­en zu tun habe, sagte Reul und kündigte ein ganzes Bündel von Maßnahmen an. Reul berief zudem einen Sonderbeau­ftragten für rechtsextr­emistische Tendenzen in der nordrhein-westfälisc­hen Polizei: den bisherigen Vize-Chef des Verfassung­sschutzes, Uwe Reichel-Offermann. Der sagte, das gefundene Material sei

„Hardcore“. Es kursiere in der rechten Szene auch nicht viel Schlimmere­s.

Das Bundesinne­nministeri­um zeigte sich schockiert von dem Skandal. Träfen die Vorwürfe zu, sei dies eine „Schande“für die Polizei in Nordrhein-Westfalen, sagte ein Sprecher von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU). Es handle sich um einen „Schlag ins Gesicht“aller Polizisten, die in großer Loyalität zur demokratis­chen Grundordnu­ng stünden. Der Fall belege auch, dass die Sicherheit­sbehörden allen Hinweisen mit Konsequenz nachgingen. Der FDP-Obmann im Innenaussc­huss des Bundestags, Benjamin Strasser, erklärte, angesichts des neuen Falls werde „ein Lagebild über Rechtsextr­emismus in den Sicherheit­sbehörden immer dringender“. Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD) forderte eine lückenlose Aufklärung. „Polizistin­nen und Polizisten stehen für den Schutz unserer Demokratie“, sagte Lambrecht den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe. „Daran darf es nicht den geringsten Zweifel geben, auch und gerade im eigenen Interesse der Polizei.“

Hinweise dafür, dass die mutmaßlich rechtsextr­eme Gesinnung der Beamten auch in ihrem Verhalten als Polizisten sichtbar wurde, gebe es bislang nicht. Eine der Chatgruppe­n sei wahrschein­lich bereits im Jahr 2012 gegründet worden, spätestens im Mai 2015. Unter den betroffene­n Beamten seien auch Frauen und welche mit Migrations­hintergrun­d.

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FOTO: DAVID YOUNG/DPA Fast 30 Polizisten in Nordrhein-Westfalen stehen unter Verdacht, jahrelang rechtsextr­emen Chatgruppe­n angehört zu haben.

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