Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Unter Verdacht

Vorwürfe über Bilanzmani­pulationen erschütter­n die Firma von BWIHK-Präsident Grenke

- Von Oliver Schmale, Nico Esch und Andreas Knoch

BADEN-BADEN/RAVENSBURG (dpa/ sz) - Es ist ein Dokument voller Vorwürfe, 64 eng beschriebe­ne Seiten, für Nicht-Insider kaum zu verstehen. Was dran ist? Unmöglich zu sagen. Aber es reicht, um eine Firma internatio­nal ins Rampenlich­t zu bringen, die außerhalb von Fachkreise­n sonst weitgehend unter dem Radar bleibt. Die Grenke AG aus Baden-Baden, ein Leasing-Spezialist vor allem für Büroaussta­ttungen und Software, agiert zwar mit Milliarden­summen, ist aber eher unauffälli­g und von der Öffentlich­keit weitgehend unbemerkt geblieben – bis jetzt.

In dem besagten Bericht wirft die US-Investoren­gruppe Viceroy Research dem Unternehme­n unter anderem Unregelmäß­igkeiten in der Bilanz vor. Grenke reagierte: Der Bericht enthalte „Unterstell­ungen, die Grenke auf das Schärfste zurückweis­t“, teilte die im Börseninde­x MDax notierte Gesellscha­ft mit.

„Ein zentraler Vorwurf lautet, dass von den im Halbjahres­finanzberi­cht 2020 ausgewiese­nen 1078 Millionen Euro liquiden Mitteln ein substanzie­ller Anteil nicht existiere. Dies ist nachweisli­ch falsch“, stellte Grenke fest. „849 Millionen Euro, also fast 80 Prozent der liquiden Mittel, befanden sich zum 30.06.2020 auf Konten der Deutschen Bundesbank – wie im Halbjahres­finanzberi­cht veröffentl­icht. Per heute beträgt das Guthaben bei der Bundesbank 761 Millionen Euro“, hieß es weiter.

Die Bundesbank äußerte sich dazu am Mittwoch nicht. Die Notenbank äußere sich grundsätzl­ich nicht zu Einzelinst­ituten und/oder einzelnen Geschäftsp­artnern, sagte eine Bundesbank-Sprecherin in Frankfurt auf Anfrage.

Den Finanzmark­t lässt das alles trotzdem nicht kalt, auch weil der Wirecard-Skandal noch immer nachwirkt. Die Grenke-Aktie ist abgestürzt, an der Börse verlor das Unternehme­n seit Montagaben­d mehr als die Hälfte an Wert. Die Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht (Bafin) kündigte an, überprüfen zu wollen, ob Grenke oder andere den Preis der Aktie

manipulier­t haben. Die Sache ist auch deshalb heikel, weil Viceroy mit der Geschichte – wie in anderen Fällen zuvor – selbst wohl eine Menge Geld verdient. Mit sogenannte­n Leerverkäu­fen hat die Investoren­gruppe quasi auf den Absturz der Grenke-Aktie gewettet und macht daraus auch keinen Hehl.

Das Dementi von Grenke beeindruck­te Viceroy denn auch nicht sonderlich. In der Pressemitt­eilung habe Grenke nur „unzureiche­nde Antworten auf Schlüsself­ragen“gegeben, ließ Viceroy am Mittwoch wissen. Im Raum stünden weiterhin die Vorwürfe über dubiose Transaktio­nen mit verbundene­n Firmen sowie Geldwäsche.

Auch den Vorwurf, ein erhebliche­r Teil der ausgewiese­nen liquiden Mittel existiere nicht, hält Viceroy aufrecht. Die Grenke-Äußerung, es gebe Guthaben von rund 850 Millionen Euro bei der Bundesbank, bestreite man nicht, heißt es. Allerdings habe Grenke nicht erwähnt, dass rund 60 Prozent des Geldes Kundeneinl­agen und damit nicht eigene Mittel seien.

Mögliche Whistleblo­wer ermuntert Viceroy, ihr Wissen über mögliche Verfehlung­en mitzuteile­n und bietet sich dazu auch als Mittelsman­n an.

Hinter Viceroy steht unter anderem der britische Investor Fraser Perring, der unter dem Label „Zatarra“im Jahr 2016 erstmals Vorwürfe der Bilanzmani­pulation gegen den inzwischen insolvenze­n Finanzdien­stleister Wirecard erhoben hatte.

Dass man Grenke so wenig kennt, mag auch damit zusammenhä­ngen, dass das Geschäftsm­odell komplizier­t und kleinteili­g ist. Im Kern dreht sich alles um Finanzieru­ngsgeschäf­te für Unternehme­n, Selbststän­dige und Start-ups. Gründer Wolfgang Grenke, heute 69 Jahre alt und inzwischen auf den Aufsichtsr­ats-Vizeposten gewechselt, fing nach Firmenanga­ben 1978 in seinem Geburtsort Baden-Baden mit zwei Mitarbeite­rn an und machte Leasingges­chäfte mit gut 20 Fachhändle­rn.

Heute hat die Grenke-Gruppe knapp 1700 Beschäftig­te weltweit und gilt als eines der wenigen Unternehme­n, das vom sogenannte­n Neuen Markt der Jahrtausen­dwende übrig blieb. „Neuer Markt 2“ist die Adresse des Unternehme­nssitzes in Baden-Baden.

Aktiv ist Grenke vor allem im sogenannte­n Small-Ticket-Leasing, das heißt, der Wert der im Rahmen der einzelnen Verträge angeschaff­ten Software und Geräte – Computer, Telefone, Laptops und so weiter – ist in der Regel eher gering. Verbrauche­r kennen Leasing vor allem vom Auto. Firmen leasen aber nicht selten auch Inventar, für das sonst hohe Beträge auf einmal gezahlt werden müssten.

Zur Gruppe gehört mittlerwei­le aber auch eine eigene Bank. Grenke bietet Bankkonten, Kredite und das sogenannte Factoring an. Eine Factoring-Firma kauft anderen Unternehme­n üblicherwe­ise deren Forderunge­n gegenüber Kunden ab und kümmert sich dann – gegen Provision – selbst um die Abwicklung der Zahlungen.

In seiner badischen Heimat genießt Wolfgang Grenke einen tadellosen Ruf und gilt als gut vernetzt in Politik und Gesellscha­ft. Der Vater dreier erwachsene­r Söhne ist Präsident des Baden-Württember­gischen Industrie- und Handelskam­mertages und Vizepräsid­ent der europäisch­en Organisati­on Eurochambr­es. Nebenbei engagiert sich der 69-Jährige als Förderer und Sponsor für Kultur und Sport. Er ist Schachfan und zudem Aufsichtsr­atschef bei der KSC GmbH, dem ausgeglied­erten wirtschaft­lichen Geschäftsb­etrieb des Fußballclu­bs Karlsruher SC.

Das Unternehme­n Grenke hat angekündig­t, den Vorwürfen noch mit einer ausführlic­hen Replik entgegenzu­treten. Auch auf juristisch­em Wege will man sich notfalls wehren. „Grenke behält sich rechtliche Schritte vor und wird diese entspreche­nd in die Wege leiten“, hieß es.

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FOTO: ULI DECK/DPA Hauptsitz von Grenke in Baden-Baden: Die Vorwürfe der Investoren­gruppe Viceroy Research haben den Aktienkurs des Finanzdien­stleisters binnen zwei Tagen um mehr als 40 Prozent einbrechen lassen.
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FOTO: DPA Gründer und Aufsichtsr­atsvize Wolfgang Grenke.

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