Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wasserstof­f für die Kapitäne der Landstraße

Daimler setzt bei Lastkraftw­agen auf Batterien und Brennstoff­zellen – Bis 2039 soll die Flotte klimaneutr­al fahren

- Von Anne Jethon

STUTTGART/BERLIN - Wenn Martin Daum, Chef der Lkw-Sparte Truck bei Daimler, über die Zukunft der CO2-freien Wirtschaft spricht, denkt er ans Multiplizi­eren. Nimmt man einen Faktor mal null, kommt am Ende auch null heraus. So sei es auch mit den drei Säulen, die für die Zukunft des CO2-freien Lkw-Verkehrs essentiell sind. „Wir brauchen die Produkte aus der Industrie, wir brauchen die Infrastruk­tur und wir brauchen die Kunden“, sagt Daum. Fehlt einer dieser Faktoren, dann wird das auch nichts mit den emissionsf­reien Lkws.

Zumindest bei den Produkten ist Daimler schon einen Schritt vorangekom­men. In den kommenden Jahren will der Konzern einen batterieel­ektrisch betriebene­n 40-Tonner auf den Markt bringen. Außerdem sollen Trucks mit Brennstoff­zellen künftig Diesel-Lkws ersetzen.

Seinen mit Wasserstof­f betriebene­n Truck, der auf den Namen GenH2 hört, hat Daimler am Mittwoch auf einer Pressekonf­erenz in Berlin vorgestell­t. Auch Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) war vor Ort. Mehr als 1000 Kilometer weit soll das Modell fahren, von 2023 an können Kunden den Lkw im Fahrbetrie­b testen. Mit der Serienprod­uktion plant Daimler in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts. Der Wasserstof­fantrieb soll vor allem bei Langstreck­en und schweren Lasten besser funktionie­ren als ein Elektroant­rieb.

Parallel dazu arbeitet der Konzern an einer leistungsf­ähigeren Variante seines batterieel­ektrisch angetriebe­nen Modells eActros. Dieses soll Mitte des Jahrzehnts auf den Markt kommen. An der Reichweite des Lkws von rund 500 Kilometern ändert sich zwar nichts, doch soll er deutlich effiziente­r und flexibler sein als das aktuelle Modell. Er sei für planbare Routen, etwa im Pendelverk­ehr konzipiert, erklärt Daum. Wie bei den Autos auch will Daimler seine komplette Neufahrzeu­gflotte spätestens 2039 CO2-neutral haben.

Mit den vorgestell­ten Fahrzeugen reagiert der Konzern auf die Klimaziele der EU. Stand heute dominiert der Diesel die Nutzfahrze­ugflotten weltweit. Er ist seit Jahren der gängigste und günstigste Antrieb bei Lastkraftw­agen. Lkws und Busse sollen aber von 2025 an durchschni­ttlich 15 Prozent weniger CO2 ausstoßen als im Jahr 2019. Im Jahr 2030 sollen es sogar 30 Prozent weniger sein. So hat es die EU entschiede­n.

Das Problem: Die Anschaffun­gsund Betriebsko­sten von Lkws mit

Elektro- oder Wasserstof­fantrieb sind deutlich höher, als die von Dieselfahr­zeugen. Das werde sich auch in den kommenden Jahren nicht ändern, prognostiz­iert Daum. Damit rechnen sich CO2-neutrale Lastwagen für die Kunden nicht. „Diese Fahrzeuge würde heute keiner kaufen, selbst wenn wir sie im Angebot hätten“, sagt Daum.

Deshalb fordert Daimler Unterstütz­ung von der Politik. Daum macht klar: „Die Politik muss ein Instrument­arium finden, womit die C02-freie Nutzung des Fahrzeugs belohnt wird.“Er schlägt deshalb eine C02-basierte Maut vor – europaweit. Außerdem fehle für mit Wasserstof­f angetriebe­ne Lastkraftw­agen die nötige Infrastruk­tur.

Ein weiteres Problem sei die energieint­ensive Gewinnung von Wasserstof­f. Kommt die dafür notwendige Energie aus Kohlekraft­werken, „ist am Ende noch mehr CO2 in der Luft“, erklärt Daum. Deshalb müsse parallel die Energiewen­de Fahrt aufnehmen, damit der Kunde seine Laster mit grünem Wasserstof­f betanken kann. Die Bundesregi­erung müsse hier klare Impulse setzen.

Die gibt zur Entwicklun­g des Brennstoff­zellen-Lasters rund 17 Millionen Euro an Fördermitt­eln dazu. „Wir unternehme­n sehr viel, damit die Wasserstof­f- und Brennstoff­zelle eine deutsche Erfolgsges­chichte

wird“, sagte Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer am Mittwoch in Berlin. Die Politik müsse aber auch den Anwendern eine Perspektiv­e geben und den Kaufpreis, die Tankund Betriebsin­frastruktu­r im Auge behalten.

Damit die Wasserstof­ftechnolog­ie vorankommt, hat sich Daimler in diesem Jahr mit Volvo zusammenge­schlossen. Die Stuttgarte­r bündeln ihre gesamten Aktivitäte­n im Bereich der Brennstoff­zelle in einer neuen Einheit. Volvo wird sich an dieser Gesellscha­ft mit etwa 600 Millionen Euro beteiligen. Das Ziel: Brennstoff­zellen in Serie zu produziere­n, um sie vor allem in schwere Nutzfahrze­uge einzubauen.

Das Gemeinscha­ftsunterne­hmen reagiert damit auch auf die erstarkend­e Konkurrenz aus Asien und den USA. Einer der Angreifer: Das US-Start-up Nikola Motors, an dem sich jüngst der Autobauer GM mit elf Prozent beteiligt hat und das in Ulm zusammen mit Iveco Elektro- und

Brennstoff­zellen-Lkws bauen will. Ab dem kommenden Jahr, so die Planungen, soll dort der Nikola Tre vom Band laufen, ein batterieel­ektrischer Schwerlast-Lkw.

Am Montag machte Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) den Partnern in Ulm seine Aufwartung und lobte den Zusammensc­hluss der beiden Unternehme­n. „Die Entscheidu­ng war auch deshalb wichtig, weil hier in eine echte Zukunftste­chnologie investiert wird, die neue Arbeitsplä­tze schafft“, sagte Kretschman­n.

Aktuell sorgt der Iveco-Partner aber vor allem für Negativsch­lagzeilen. Ein Finanzinve­stor wirft dem Start-up vor, heiße Luft zu verkaufen und Investoren und Partner zu betrügen. Nach der US-Wertpapier­aufsicht SEC untersucht inzwischen auch das Justizmini­sterium die Vorwürfe gegen Nikola. Das Unternehme­n selbst hat die Anschuldig­ungen scharf zurückgewi­esen.

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FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA Prototyp des neuen Brennstoff­zellen-Trucks GenH2 von Daimler, der für „anspruchsv­olle Fernverkeh­rseinsätze mit Reichweite­n von bis zu 1000 Kilometer“konzipiert ist und in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts in Serie gehen soll.
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FOTO: DPA Martin Daum, Vorstandsc­hef von Daimler Trucks & Buses.

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