Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Wald der Zukunft entsteht heute
Wie sich der Klimawandel auf den Altdorfer Wald auswirkt und wie der Staatsforst darauf reagiert
KREIS RAVENSBURG - Das Wort Waldsterben möchte Bernhard Dingler nicht in den Mund nehmen. So katastrophal sei es um den Altdorfer Wald noch nicht bestellt. Aber er macht auch klar: „Wir müssen jetzt handeln, denn der Klimawandel hat drastische Auswirkungen auf den Altdorfer Wald.“Etwa 80 Prozent des Waldgebiets ist Staatsforst und fällt somit in die Zuständigkeit von Bernhard Dingler, der seit Januar Forstbezirksleiter von Forst BW ist. Er erklärt, dass sich der Wald stark verändern wird und verändern muss, um mit den stetig steigenden Temperaturen klarzukommen. Zurzeit entsteht in Oberschwaben ein Wald der Zukunft.
An diesem Montagnachmittag im Altdorfer Wald, irgendwo zwischen Fuchsenloch und Vogt, ist es trotz der spätsommerlichen Wärme recht kühl. Das Auto rauscht durch den Wald. Es staubt. An einer Kreuzung zeigt Bernhard Dingler nach oben auf eine Fichte. Statt grün ist sie braun. Das heißt, sie stirbt. Schuld daran ist in diesem Falle nicht etwa Trockenheit, sondern der Borkenkäfer, der sich in die Nadelbäume einnistet und ihnen so zusetzt, dass sie absterben. Die milderen Winter und die heißen Sommer bieten optimale Bedingungen für das Insekt. „Wenn wir das mit dem Coronavirus vergleichen, hat ein übersehener Baum die Reproduktionszahl 20“, sagt Dingler. Heißt: Wenn ein befallener Baum nicht weggeräumt wird, befällt der Käfer 20 weitere Bäume und kann so riesige Waldflächen absterben lassen.
Solche Horrorbilder kommen bereits jetzt aus dem Schwarzwald, aus dem Westerwald und aus vielen Wäldern in Ostdeutschland. Noch ist das im Altdorfer Wald nicht so. Doch das Problem kann kommen, denn auch hier gibt es große Flächen mit Fichten – vor allem bei Vogt. Die Fichte ist auch im Altdorfer Wald mit einem Anteil von 45 Prozent die führende Baumart. Die Fichte wurde viele Jahrzehnte intensiv angebaut, weil sie schnell viel qualitativ hochwertiges Holz liefert – weil sich mit ihr gut Geld verdienen ließ.
Durch das Überangebot durch Sturm- und Käferholz ist der Holzpreis jedoch in den Keller gefallen. Zudem hat der Klimawandel das Ende der Fichte in unseren Gefilden eingeläutet. Zu warm, zu viele Schädlinge, zu trocken. Das zeigt, dass der Wald dringend zukunftsfit gemacht werden muss – aus ökologischer, aber auch aus wirtschaftlicher Sicht. Und das sei die Aufgabe des Forstes, sagt Bernhard Dingler. Er zeigt eine Klimatabelle, die auf erschreckende Weise erkennen lässt: Es wird immer heißer, und der Trend setzt sich anscheinend unaufhaltbar fort.
Im nordwestlichen Teil des Altdorfer Waldes (im Bereich Schussental bis nach Aulendorf) lag die Jahresdurchschnittstemperatur in den 1970er- und 1980er-Jahren bei 7,7 bis 8,4 Grad. In den höheren Lagen im südöstlichen Teil (von Bergatreute über Wolfegg bis nach Waldburg) lag sie bei 7,2 Grad. In den 1990er- und 2000er-Jahren lagen die Temperaturen im nordwestlichen Teil bei 8,6 bis 9,3 Grad und im südöstlichen Teil bei 7,8 bis 8,3 Grad. Die Sommer werden immer heißer, die Winter milder. Ideale Bedingungen für den Borkenkäfer, schlechte Bedingungen für die Bäume, denn nicht alle kommen mit den steigenden Temperaturen und dem geringeren Niederschlag zurecht – vor allem die Fichte nicht. Ihre Heimat ist eigentlich der hohe Norden oder das Hochgebirge.
Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf den Wald. „Wir setzen vermehrt auf die Buche“, sagt Bernhard Dingler. Die Buche ist eine besonders robuste Baumart, die sowohl mit niedrigeren als auch mit höheren Temperaturen zurechtkommt und neben der Tanne eine der ursprünglichen Baumarten des Altdorfer Waldes ist. „Wir möchten einen naturnahen Waldumbau“, erklärt Dingler. Verkürzt gesagt bedeutet das, die Förster lassen den Wald sich selbst verjüngen. Die bestehenden Bäume, die sich vermehren, lässt man wachsen, um diese Baumarten zu fördern. Nicht gewünschte Baumarten werden nicht gefördert. Trotz schlechter Prognose wolle man junge Fichten fördern, sie sollen aber auf keinen Fall mehr führende Baumart werden.
Doch mancherorts gestaltet sich die natürliche Naturverjüngung durch ein anderes menschengemachtes Problem schwer. Die Brombeere überwuchert die jungen Bäume und schneidet ihnen die Luft ab oder lässt sie gar nicht erst wachsen. Grund dafür sind große Mengen Stickstoff, den der Wald aus der Luft filtert, was das Wachstum der Brombeere begünstigt. Stickstoff wird als Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt und befindet sich in Abgasen.
Wie in vielen Wäldern sieht man auch im Altdorfer Wald, dass sich junge Buchen vermehren. Ihr hellgrünes Laub wiegt sanft im Wind und wächst im Schatten der Fichten empor. Irgendwann werden sie deren Plätze einnehmen. Aber auch die Eiche hat die Forstverwaltung im Blick, die im Gegensatz zur Buche mit den feuchten und schweren tonigen Böden im Altdorfer Wald besser zurechtkommt. Auch die Esche wäre ideal geeignet, weil sie mit den feuchten und quelligen Lagen im Altdorfer Wald bestens zurechtkommt. Doch der Esche setzt seit Jahren ein aus Asien eingeschleppter Pilz so sehr zu, dass die Laubbäume absterben. Die Region droht die Esche zu verlieren.
Eine Tabelle des Staatsforstes zeigt in der Risikobewertung, dass es bis zum Jahr 2100 vor allem für die Fichte, aber auch für die Eiche und die Tanne eher schlecht aussieht.
„Die Hoffnungen, die wir in die Tanne gesetzt haben, haben sich nicht erfüllt. Selbst für die Buche sieht es in den tieferen Lagen eher schwarz aus“, sagt Dingler. Was kann der Menschen dagegen tun? Wird die Fläche des Altdorfer Waldes irgendwann abgestorben sein? Und ist der Mensch mit der Forstwirtschaft der Vergangenheit und dem Anbau von Monokulturen schuld an der heutigen Misere, wie Kritiker sagen?
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Altdorfer Wald schon recht früh bewirtschaftet wurde. Bis zum 8. Jahrhundert war der Altdorfer Wald Urwald. Majestätische Buchen streckten sich in den Himmel und mächtige dunkle Tannen ließen Kulissen wie aus dem Märchen von Rotkäppchen entstehen, dazwischen Eschen, Eichen und Bergahorn. Am Rande der Moorgebiete wie etwa im Füremoos gesellten sich bereits im Urwald Fichten dazu.
Dann eroberte der Mensch den Wald. Er rodete die Flächen, nutzte das wertvolle Holz zum Bau von Häusern, Werkzeugen und Geräten. Er ließ Siedlungen entstehen. Dann ging es rasend schnell. Im 11. Jahrhundert war der Urwald bereits verschwunden.
Bernhard Dingler, Forstbezirksleiter bei Forst BW Im 16. Jahrhundert ist von einem „erschütternden Waldzustand“zu lesen, sodass zeitweise die Fällung der Buche verboten wurde. Im 17. Jahrhundert gab es im Wald sogenannten Brandfeldbau, wie es ihn heute im Amazonas gibt. Bäume wurden gerodet, die Fläche abgebrannt und mit Getreide eingesät oder zur Viehhaltung genutzt. Nach der Nutzung der Flächen vermehrte sich die Fichte von allein, und der Mensch förderte das. Und so wuchs ihr Anteil im Altdorfer Wald bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auf bis zu 80 Prozent an.
Das hat sich dramatisch verändert. „Dass wir heute nur noch 45 Prozent Fichte haben, ist das Ergebnis der Forstarbeit der vergangenen Jahrzehnte“, erklärt Bernhard Dingler. Ein Vorteil für den Waldumbau des Altdorfer Waldes seien die vielerorts exzellenten und sehr nährstoffreichen Böden. Grund dafür ist die geologische Beschaffenheit: Der Wald schmiegt sich auf einer Jungmoräne in die oberschwäbische Landschaft ein. „Wenn wir die sandigen Böden von Mecklenburg-Vorpommern mit eher wenigen Nährstoffen nehmen, sind wir hier im Altdorfer Wald am anderen Ende der Skala“, sagt Dingler. Dazu kommen durch die Nähe zu den Alpen verhältnismäßig hohe Niederschläge, die der Boden aufnehmen kann. Beste Wachstumsbedingungen für junge Bäume also.
Der Forstbezirksleiter und seine Mannschaft setzen jetzt auf einen gesunden Mischwald. Darin sollen sich Nadelbäume befinden, aber vor allem auch Laubbäume. „Wir setzen auf Artenvielfalt mit Bäumen, die klimatoleranter sind“, sagt Dingler. Vorrangig wolle man heimische Baumarten, wie etwa die Winterlinde oder den Spitzahorn, fördern, aber auch nicht heimische wie die Roteiche oder die Schwarzkiefer. Zudem die Douglasie, die ursprünglich aus Nordamerika stammt. „Sie ist seit gut 100 Jahren im Altdorfer Wald heimisch und entwickelt sich gut. Von ihr versprechen wir uns viel.“
Das alles wird aber nicht reichen, wenn die Erderwärmung kontinuierlich so voranschreitet wie bisher. Deswegen experimentiert die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg in Freiburg mit Baumarten, die man eher aus dem Urlaub am Mittelmeer kennt, zum Beispiel die Aleppokiefer, die Orientbuche oder die Atlaszeder. Auch die Ungarische Eiche ist dabei. „Wir können diese Bäume aber nicht einfach anbauen, weil wir noch nicht wissen, wie diese sich auf das Ökosystem auswirken“, so Dingler. Solche Versuchsflächen gibt es im Altdorfer Wald bislang nicht.
In der Nähe von Vogt zeigt Bernhard Dingler eine Fläche, wo sich das helle Grün der Buchenblätter ausbreitet. Ein junger Buchenwald steht da. „Es ist unser Glück, dass jemand vor 50 Jahren hier Buchen gepflanzt hat, als man an Klimawandel noch nicht gedacht hat“, sagt er. Wald entsteht nicht in ein paar Jahren, sondern in Jahrzehnten, sogar Jahrhunderten. Heute wird der Wald der Zukunft vorbereitet. Der Wald wird sein Gesicht verändern, damit das Waldsterben nicht auch im Altdorfer Wald Realität wird.
„Wir setzen auf Artenvielfalt mit Bäumen, die klimatoleranter sind.“
Alle Texte der Serie sind in einem Dossier unter www.schwäbische.de/ altdorferwald zu finden.