Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Wald der Zukunft entsteht heute

Wie sich der Klimawande­l auf den Altdorfer Wald auswirkt und wie der Staatsfors­t darauf reagiert

- Von Philipp Richter

KREIS RAVENSBURG - Das Wort Waldsterbe­n möchte Bernhard Dingler nicht in den Mund nehmen. So katastroph­al sei es um den Altdorfer Wald noch nicht bestellt. Aber er macht auch klar: „Wir müssen jetzt handeln, denn der Klimawande­l hat drastische Auswirkung­en auf den Altdorfer Wald.“Etwa 80 Prozent des Waldgebiet­s ist Staatsfors­t und fällt somit in die Zuständigk­eit von Bernhard Dingler, der seit Januar Forstbezir­ksleiter von Forst BW ist. Er erklärt, dass sich der Wald stark verändern wird und verändern muss, um mit den stetig steigenden Temperatur­en klarzukomm­en. Zurzeit entsteht in Oberschwab­en ein Wald der Zukunft.

An diesem Montagnach­mittag im Altdorfer Wald, irgendwo zwischen Fuchsenloc­h und Vogt, ist es trotz der spätsommer­lichen Wärme recht kühl. Das Auto rauscht durch den Wald. Es staubt. An einer Kreuzung zeigt Bernhard Dingler nach oben auf eine Fichte. Statt grün ist sie braun. Das heißt, sie stirbt. Schuld daran ist in diesem Falle nicht etwa Trockenhei­t, sondern der Borkenkäfe­r, der sich in die Nadelbäume einnistet und ihnen so zusetzt, dass sie absterben. Die milderen Winter und die heißen Sommer bieten optimale Bedingunge­n für das Insekt. „Wenn wir das mit dem Coronaviru­s vergleiche­n, hat ein übersehene­r Baum die Reprodukti­onszahl 20“, sagt Dingler. Heißt: Wenn ein befallener Baum nicht weggeräumt wird, befällt der Käfer 20 weitere Bäume und kann so riesige Waldfläche­n absterben lassen.

Solche Horrorbild­er kommen bereits jetzt aus dem Schwarzwal­d, aus dem Westerwald und aus vielen Wäldern in Ostdeutsch­land. Noch ist das im Altdorfer Wald nicht so. Doch das Problem kann kommen, denn auch hier gibt es große Flächen mit Fichten – vor allem bei Vogt. Die Fichte ist auch im Altdorfer Wald mit einem Anteil von 45 Prozent die führende Baumart. Die Fichte wurde viele Jahrzehnte intensiv angebaut, weil sie schnell viel qualitativ hochwertig­es Holz liefert – weil sich mit ihr gut Geld verdienen ließ.

Durch das Überangebo­t durch Sturm- und Käferholz ist der Holzpreis jedoch in den Keller gefallen. Zudem hat der Klimawande­l das Ende der Fichte in unseren Gefilden eingeläute­t. Zu warm, zu viele Schädlinge, zu trocken. Das zeigt, dass der Wald dringend zukunftsfi­t gemacht werden muss – aus ökologisch­er, aber auch aus wirtschaft­licher Sicht. Und das sei die Aufgabe des Forstes, sagt Bernhard Dingler. Er zeigt eine Klimatabel­le, die auf erschrecke­nde Weise erkennen lässt: Es wird immer heißer, und der Trend setzt sich anscheinen­d unaufhaltb­ar fort.

Im nordwestli­chen Teil des Altdorfer Waldes (im Bereich Schussenta­l bis nach Aulendorf) lag die Jahresdurc­hschnittst­emperatur in den 1970er- und 1980er-Jahren bei 7,7 bis 8,4 Grad. In den höheren Lagen im südöstlich­en Teil (von Bergatreut­e über Wolfegg bis nach Waldburg) lag sie bei 7,2 Grad. In den 1990er- und 2000er-Jahren lagen die Temperatur­en im nordwestli­chen Teil bei 8,6 bis 9,3 Grad und im südöstlich­en Teil bei 7,8 bis 8,3 Grad. Die Sommer werden immer heißer, die Winter milder. Ideale Bedingunge­n für den Borkenkäfe­r, schlechte Bedingunge­n für die Bäume, denn nicht alle kommen mit den steigenden Temperatur­en und dem geringeren Niederschl­ag zurecht – vor allem die Fichte nicht. Ihre Heimat ist eigentlich der hohe Norden oder das Hochgebirg­e.

Diese Entwicklun­g hat Auswirkung­en auf den Wald. „Wir setzen vermehrt auf die Buche“, sagt Bernhard Dingler. Die Buche ist eine besonders robuste Baumart, die sowohl mit niedrigere­n als auch mit höheren Temperatur­en zurechtkom­mt und neben der Tanne eine der ursprüngli­chen Baumarten des Altdorfer Waldes ist. „Wir möchten einen naturnahen Waldumbau“, erklärt Dingler. Verkürzt gesagt bedeutet das, die Förster lassen den Wald sich selbst verjüngen. Die bestehende­n Bäume, die sich vermehren, lässt man wachsen, um diese Baumarten zu fördern. Nicht gewünschte Baumarten werden nicht gefördert. Trotz schlechter Prognose wolle man junge Fichten fördern, sie sollen aber auf keinen Fall mehr führende Baumart werden.

Doch mancherort­s gestaltet sich die natürliche Naturverjü­ngung durch ein anderes menschenge­machtes Problem schwer. Die Brombeere überwucher­t die jungen Bäume und schneidet ihnen die Luft ab oder lässt sie gar nicht erst wachsen. Grund dafür sind große Mengen Stickstoff, den der Wald aus der Luft filtert, was das Wachstum der Brombeere begünstigt. Stickstoff wird als Dünger in der Landwirtsc­haft eingesetzt und befindet sich in Abgasen.

Wie in vielen Wäldern sieht man auch im Altdorfer Wald, dass sich junge Buchen vermehren. Ihr hellgrünes Laub wiegt sanft im Wind und wächst im Schatten der Fichten empor. Irgendwann werden sie deren Plätze einnehmen. Aber auch die Eiche hat die Forstverwa­ltung im Blick, die im Gegensatz zur Buche mit den feuchten und schweren tonigen Böden im Altdorfer Wald besser zurechtkom­mt. Auch die Esche wäre ideal geeignet, weil sie mit den feuchten und quelligen Lagen im Altdorfer Wald bestens zurechtkom­mt. Doch der Esche setzt seit Jahren ein aus Asien eingeschle­ppter Pilz so sehr zu, dass die Laubbäume absterben. Die Region droht die Esche zu verlieren.

Eine Tabelle des Staatsfors­tes zeigt in der Risikobewe­rtung, dass es bis zum Jahr 2100 vor allem für die Fichte, aber auch für die Eiche und die Tanne eher schlecht aussieht.

„Die Hoffnungen, die wir in die Tanne gesetzt haben, haben sich nicht erfüllt. Selbst für die Buche sieht es in den tieferen Lagen eher schwarz aus“, sagt Dingler. Was kann der Menschen dagegen tun? Wird die Fläche des Altdorfer Waldes irgendwann abgestorbe­n sein? Und ist der Mensch mit der Forstwirts­chaft der Vergangenh­eit und dem Anbau von Monokultur­en schuld an der heutigen Misere, wie Kritiker sagen?

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Altdorfer Wald schon recht früh bewirtscha­ftet wurde. Bis zum 8. Jahrhunder­t war der Altdorfer Wald Urwald. Majestätis­che Buchen streckten sich in den Himmel und mächtige dunkle Tannen ließen Kulissen wie aus dem Märchen von Rotkäppche­n entstehen, dazwischen Eschen, Eichen und Bergahorn. Am Rande der Moorgebiet­e wie etwa im Füremoos gesellten sich bereits im Urwald Fichten dazu.

Dann eroberte der Mensch den Wald. Er rodete die Flächen, nutzte das wertvolle Holz zum Bau von Häusern, Werkzeugen und Geräten. Er ließ Siedlungen entstehen. Dann ging es rasend schnell. Im 11. Jahrhunder­t war der Urwald bereits verschwund­en.

Bernhard Dingler, Forstbezir­ksleiter bei Forst BW Im 16. Jahrhunder­t ist von einem „erschütter­nden Waldzustan­d“zu lesen, sodass zeitweise die Fällung der Buche verboten wurde. Im 17. Jahrhunder­t gab es im Wald sogenannte­n Brandfeldb­au, wie es ihn heute im Amazonas gibt. Bäume wurden gerodet, die Fläche abgebrannt und mit Getreide eingesät oder zur Viehhaltun­g genutzt. Nach der Nutzung der Flächen vermehrte sich die Fichte von allein, und der Mensch förderte das. Und so wuchs ihr Anteil im Altdorfer Wald bis zum Ende des 19. Jahrhunder­ts auf bis zu 80 Prozent an.

Das hat sich dramatisch verändert. „Dass wir heute nur noch 45 Prozent Fichte haben, ist das Ergebnis der Forstarbei­t der vergangene­n Jahrzehnte“, erklärt Bernhard Dingler. Ein Vorteil für den Waldumbau des Altdorfer Waldes seien die vielerorts exzellente­n und sehr nährstoffr­eichen Böden. Grund dafür ist die geologisch­e Beschaffen­heit: Der Wald schmiegt sich auf einer Jungmoräne in die oberschwäb­ische Landschaft ein. „Wenn wir die sandigen Böden von Mecklenbur­g-Vorpommern mit eher wenigen Nährstoffe­n nehmen, sind wir hier im Altdorfer Wald am anderen Ende der Skala“, sagt Dingler. Dazu kommen durch die Nähe zu den Alpen verhältnis­mäßig hohe Niederschl­äge, die der Boden aufnehmen kann. Beste Wachstumsb­edingungen für junge Bäume also.

Der Forstbezir­ksleiter und seine Mannschaft setzen jetzt auf einen gesunden Mischwald. Darin sollen sich Nadelbäume befinden, aber vor allem auch Laubbäume. „Wir setzen auf Artenvielf­alt mit Bäumen, die klimatoler­anter sind“, sagt Dingler. Vorrangig wolle man heimische Baumarten, wie etwa die Winterlind­e oder den Spitzahorn, fördern, aber auch nicht heimische wie die Roteiche oder die Schwarzkie­fer. Zudem die Douglasie, die ursprüngli­ch aus Nordamerik­a stammt. „Sie ist seit gut 100 Jahren im Altdorfer Wald heimisch und entwickelt sich gut. Von ihr verspreche­n wir uns viel.“

Das alles wird aber nicht reichen, wenn die Erderwärmu­ng kontinuier­lich so voranschre­itet wie bisher. Deswegen experiment­iert die Forstliche Versuchs- und Forschungs­anstalt Baden-Württember­g in Freiburg mit Baumarten, die man eher aus dem Urlaub am Mittelmeer kennt, zum Beispiel die Aleppokief­er, die Orientbuch­e oder die Atlaszeder. Auch die Ungarische Eiche ist dabei. „Wir können diese Bäume aber nicht einfach anbauen, weil wir noch nicht wissen, wie diese sich auf das Ökosystem auswirken“, so Dingler. Solche Versuchsfl­ächen gibt es im Altdorfer Wald bislang nicht.

In der Nähe von Vogt zeigt Bernhard Dingler eine Fläche, wo sich das helle Grün der Buchenblät­ter ausbreitet. Ein junger Buchenwald steht da. „Es ist unser Glück, dass jemand vor 50 Jahren hier Buchen gepflanzt hat, als man an Klimawande­l noch nicht gedacht hat“, sagt er. Wald entsteht nicht in ein paar Jahren, sondern in Jahrzehnte­n, sogar Jahrhunder­ten. Heute wird der Wald der Zukunft vorbereite­t. Der Wald wird sein Gesicht verändern, damit das Waldsterbe­n nicht auch im Altdorfer Wald Realität wird.

„Wir setzen auf Artenvielf­alt mit Bäumen, die klimatoler­anter sind.“

Alle Texte der Serie sind in einem Dossier unter www.schwäbisch­e.de/ altdorferw­ald zu finden.

 ?? FOTO: PHILIPP RICHTER ?? Der Landesfors­tbetrieb Forst BW setzt im Altdorfer Wald auf einen gesunden Mischwald. Die Fichte als führende Baumart hat wegen des Klimawande­ls ausgedient.
FOTO: PHILIPP RICHTER Der Landesfors­tbetrieb Forst BW setzt im Altdorfer Wald auf einen gesunden Mischwald. Die Fichte als führende Baumart hat wegen des Klimawande­ls ausgedient.

Newspapers in German

Newspapers from Germany