Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Spannende Fragen nach Kämnas Lehrbuch-Solo
MERIBEL (SID/dpa) - Bei Sekt, alkoholfreiem Bier und mit einem zünftigen „Zickezacke, zickezacke“ließ die gesammelte Bora-hansgrohe-Belegschaft Lennard Kämna hochleben. Der Tour-Triumphator von Villardde-Lans gab – gewohnt bescheiden – die Meriten an sein zuvor so gebeuteltes Team zurück. „Danke an alle. Jeder bis hin zum Koch war heute Teil dieses Sieges“, sagte Kämna im typisch norddeutschen Understatement.
Diese Bescheidenheit, die der 24-Jährige auch nach dem größten Sieg seines jungen Sportlerlebens ausstrahlte, soll Basis für die nächsten Karriereschritte sein. Die grandiose Vorstellung Kämnas, die nach einem 20-Kilometer-Soloritt aus dem Lehrbuch am Dienstag im Sieg auf der schweren 16. Etappe mündete, ließ die Radsportszene debattieren, ob da ein kommender Toursieger heranwächst. Der Hochgelobte aber will sich mit solchen Gedankenspielen nicht beschäftigen. „Ob ich da jemals hinkommen werde, steht in den Sternen. Man kann nie sagen, ich werde mal gut genug sein, um die Tour zu gewinnen. Es wäre schwachsinnig, das zu behaupten. Das kann auch nicht jeder.“Wohin der Weg führt, dahin wird er eben führen. Das weiß auch Kämnas Teamchef Ralph Denk, der sein Juwel deshalb in jeder Hinsicht unterstützen, aber nicht drängen will.
„Lennard hatte große Erfolge im Nachwuchsbereich, in den ersten Jahren als Berufsradfahrer dann aber Motivationsprobleme“, sagte Denk, der Kämna zur Saison 2020 vom Sunweb-Rennstall verpflichtet hat, nach dem ersten Etappenerfolg seiner Mannschaft. „Ich bin super happy, dass wir ihn zurück in die Erfolgsspur bringen konnten. Der Aufwärtstrend ist klar zu sehen. Aber wo der hinführt, ob Lennard mal ein Klassementfahrer für dreiwöchige Rundfahrten werden kann, das wird spannend.“
Eigentlich bringt Kämna, der am Mittwoch bei der schweren Bergankunft am Col de la Loze trotz eines erneuten Fluchtversuches mit müden Beinen auf Platz 37 ins Ziel kam, dazu alles mit: Mit 65 Kilo auf 1,81 Meter Größe ist er perfekt gebaut, ein starker Kletterer und ein guter Zeitfahrer. „Generell bin ich ein Mann für das Gesamtklassement“, sagte Kämna, „aber ob das über drei Wochen gilt?“
Im Moment sind es die kleinen, aber wichtigen Schritte, die Kämna geht. 2018 hatte er, gesundheitlich am Boden, mehrere Monate pausiert. „Ich bin von einer Krankheit zur nächsten gelaufen. Ich habe mich dann selbst verheizt und war mental erschöpft“, sagte er. Er biss sich durch („Es stand nie zur Debatte, dass ich aufhöre“). Und wurde belohnt.
Das Gelbe Trikot verteidigt hat auf der Königsetappe der Tour der Slowene Primoz Roglic als Tageszweiter. Den Etappensieg sicherte sich der Kolumbianer Miguel Angel Lopez.