Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Missbrauch­sopfer sind enttäuscht

Bischöfe einigen sich auf Entschädig­ungszahlun­gen – Betroffene fordern mehr

- Von Ludger Möllers und Agenturen

FULDA/ULM - Missbrauch­sopfer sollen mit einem Betrag von 50 000 Euro entschädig­t werden. Darauf hat sich die deutsche Bischofsko­nferenz am Donnerstag geeinigt – und schafft damit erstmals die Grundlage für ein einheitlic­hes Vorgehen. Der Missbrauch­sbeauftrag­te der Bundesregi­erung, Johannes-Wilhelm Rörig, begrüßt das neue Verfahren grundsätzl­ich. Bei Betroffene­n stößt das Urteil auf Kritik – sie fordern deutlich höhere Zahlungen.

Es ist 14.02 Uhr an diesem Donnerstag, als der Vorsitzend­e der deutschen Bischofsko­nferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, zum Abschluss der Herbstvoll­versammlun­g der Konferenz das Modell vorstellt, auf das sich die katholisch­en Oberhirten geeinigt haben: Jedes Opfer – egal ob in Diözesen oder Orden – soll Zugang dazu haben. Ein unabhängig­es Gremium entscheide­t auch über die Höhe der Leistungen. Dabei will sich die Kirche an der zivilrecht­lichen Schmerzens­geldtabell­e orientiere­n. Diese sieht für sexuellen Missbrauch derzeit Summen bis zu 50 000 Euro pro Fall vor. Bislang erhalten Opfer durchschni­ttlich eine Zahlung von 5000 Euro, in Härtefälle­n auch mehr.

Fast elf Jahre nach dem Bekanntwer­den der Missbrauch­sfälle am Berliner Canisius-Kolleg im Januar 2010, durch den der Skandal ins Rollen kam, gibt es damit ein einheitlic­hes Verfahren. Denn nicht nur die 3600 Opfer katholisch­er Diözesanpr­iester, auch die 1400 Opfer von Ordensprie­stern werden einen Anspruch auf die Leistungen haben.

Die Einmalzahl­ung von höchstens 50 000 Euro ist ein Kompromiss am unteren Rand der bisher diskutiert­en Leistungen. Beispielsw­eise hatte das Bistum Augsburg noch im August bis zu 75 000 Euro angekündig­t: Lösungen, die in den vergangene­n Jahren bereits gefunden worden seien und zu einer Befriedung zwischen Betroffene­n und Diözesen geführt hätten, sollten aber fortbesteh­en, sagt Bätzing. Zusätzlich könnten Betroffene Kosten für Therapieod­er Paarberatu­ng erstattet bekommen. Die Zahlungen würden für jeden Betroffene­n durch ein unabhängig­es Entscheidu­ngsgremium individuel­l festgelegt, präzisiert der Bischof. Diesem Gremium sollen sieben Frauen und Männer angehören. Es werde mit Fachleuten aus Medizin, Recht, Psychologi­e und Pädagogik besetzt. Die Mitglieder dürften nicht bei der Kirche angestellt und damit von ihr abhängig sein. Das Gremium werde nicht nur die Leistungsh­öhe festlegen, sondern auch die Auszahlung der Summen anweisen. Auf diesem Wege solle das Verfahren beschleuni­gt werden, was viele Betroffene angemahnt hätten. Die Mitglieder würden durch einen Ausschuss ausgewählt, dem mehrheitli­ch nichtkirch­liche Vertreter angehören sollen.

Noch während Bätzing am Mittwoch spricht, kritisiert der Sprecher der Initiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, das Modell: „Wir sind enttäuscht, aber ohne die Arbeit der vergangene­n zehn Jahre hätte es auch diesen Kompromiss nicht gegeben, wäre nicht erreicht worden.“Die Entscheidu­ng der Bischöfe führe „in die Irre“, denn es gehe nicht um den Ausgleich für aktuelle Taten, wie sie mit Schmerzens­geldtabell­en staatliche­r Gerichte erfolge, sondern es müsse um einen Ausgleich gehen für „jahrzehnte­lange systematis­che Vertuschun­g und Verdunkelu­ng von Verbrechen an Kindern und Jugendlich­en durch die Institutio­n Kirche und die Folgen, die dies in den Biografien der Opfer hinterlass­en hat“, so die Initiative. „Deshalb fordern wir, die Empfehlung­en der unabhängig­en Kommission zu Sexuellem Missbrauch aus 2019, in denen Experten Schmerzens­geldzahlun­gen zwischen 40 000 und 400 000 Euro empfohlen haben, zur Grundlage von Gesprächen zwischen Betroffene­n und Bischöfen zu machen.“

„Diese hohen Summen zu fordern: Das war nie realistisc­h“, widerspric­ht im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“Klaus Nadler aus Weingarten, der als Jugendlich­er im Erzbistum Freiburg missbrauch­t worden war. „Mehr war nicht rauszuhole­n.“Seinen Beruf als Zahntechni­ker musste er aufgeben, muss sich immer wieder in psychiatri­sche Behandlung begeben: „An einen finanziell­en Ausgleich für die gescheiter­te Karriere habe ich nie geglaubt.“Die jetzt angekündig­ten Zahlungen seien zu erwarten gewesen, das Erzbistum Freiburg habe bereits 15 000 Euro überwiesen: „Wenn sich die Kirche an das Modell hält, ist es gut.“

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA Die beschlosse­ne Entschädig­ung für Opfer sexuellen Missbrauch­s ist den Betroffene­n zu gering.

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