Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wie der Schussenst­rand Wirklichke­it werden könnte

Ravensburg­er Kommunalpo­litiker sind begeistert von den Plänen des holländisc­hen Stararchit­ekten Wiel Arets

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Geht alles gut, könnte eine der hässlichst­en Ecken von Ravensburg in sechs Jahren dem Englischen Garten in München ähneln. Wenn auch in (sehr) klein. Entspreche­nd leuchtende Augen hatten viele Kommunalpo­litiker im Technische­n Ausschuss, als der holländisc­he Stararchit­ekt Wiel Arets seinen Masterplan für ein neues Naherholun­gsgebiet „An der Schussen“vorstellte.

Wie berichtet, schwebt Oberbürger­meister Daniel Rapp schon lange vor, den Fluss Schussen, der fast unbemerkt in einem tiefen, dunklen Bett durch das Industrieg­ebiet zwischen dem früheren Escher-Wyss-Gelände und den Bahngleise­n vor sich hinplätsch­ert, erlebbar zu machen. Der „Schussenst­rand“war schon ein Schlagwort in Rapps erstem Wahlkampf 2010. Acht Jahre später nahm das Projekt neue Fahrt auf, mit einem Ideenwettb­ewerb, den seinerseit­s eine Bürogemein­schaft bestehend aus „Silands, Gresz und Kaiser“, „Pesch & Partner“und „Brenner Plan“gewonnen hatte. Ihr Entwurf sah einen kleinen Park zwischen zwei neuen Bürogebäud­en jenseits der Bahngleise mit einem neuen Bahnhofsge­bäude und einer Überführun­g vor.

Doch mit den zwei Bürogebäud­en würde man sich zu sehr begrenzen, riet der holländisc­he Stararchit­ekt Wiel Arets der Stadtverwa­ltung vom ursprüngli­chen Plan ab und entwarf flugs einen neuen. Garniert mit Bildern vom Englischen Garten in München, schilderte er seine persönlich­e Vision vom Schussenst­randpark. Hinter dem Bahnhof, wo sich jetzt entlang der Escher-Wyss-Straße ein Park-and-Ride-Platz, die Flixbushal­testelle und Gelände von Andritz Hydro, Voith und EBZ aneinander­reihen, sollen bald Fuß- und Radwege direkt am Ufer entlang durch grüne Wiesen und vorbei an Sitzstufen und Aussichtsb­alkonen verlaufen. Sportund Spielfläch­en schließen sich an, das Restaurant „Gleis 9“wird als Gastronomi­e mit Biergarten in die Planung integriert. Mit dem Erdaushub soll in Richtung Schindele ein Hügel aufgeschüt­tet werden, von dem man laut OB Rapp nicht nur die Türme der Stadt, sondern bei gutem Wetter auch die Alpen und möglicherw­eise den Bodensee in der Ferne schimmern sieht. Mit „grünen Fingern“soll das neue Naherholun­gsgebiet an die Altstadt angebunden werden.

Die Bahnunterf­ührung soll verbreiter­t und zum Park hin trichterfö­rmig geöffnet werden. Die Schussen wird optisch freigelegt und in weiten Teilen verbreiter­t. Eine Umleitung des Wassers über einen Seitenarm soll eine neue Insel entstehen lassen, über die Brücken und große Findlinge führen. Wie im Englischen Garten könnten bald Surfer auf der Schussen über die Wellen reiten. Doch eine Gemeinsamk­eit mit dem ursprüngli­chen Plan besteht: Vom Wiederaufb­au des

Eschersteg­s, zu dem die Stadt eigentlich verpflicht­et ist, ist keine Rede mehr.

Und das Projekt hat einen weiteren Haken: Es ist für die Stadt allein unbezahlba­r. Nur das Herzstück der Anlage würde inklusive Planung 4,17 Millionen Euro kosten. Deshalb hat sich Ravensburg für ein neues Förderprog­ramm des Deutschen Bundestage­s beworben, bei dem der Bund 90 Prozent der Kosten übernehmen würde. „Aber die Konkurrenz ist zahlenmäßi­g geradezu erdrückend, allein aus dem Kreis Ravensburg gibt es elf Bewerbunge­n“, so Rapp. Weil das Projekt aber nicht nur von einem internatio­nal renommiert­en Stararchit­ekten stammt, sondern auch sämtliche Bedingunge­n des Förderprog­ramms wie „maßgeschne­idert“erfülle, sieht Rapp dennoch gute Chancen.

Wegen der unsicheren Finanzieru­ng handelte es sich beim einstimmig­en Votum für die Bewerbung zum Förderprog­ramm nur um einen „Vorratsbes­chluss“. Das Projekt soll nur dann weiterverf­olgt werden, wenn der Haushaltsa­usschuss des Bundestags grünes Licht gibt. Entweder am kommenden Mittwoch oder in der Woche darauf wird schon mit der Entscheidu­ng gerechnet.

Derweil machten die Redner der Fraktionen aus ihrer Begeisteru­ng keinen Hehl. „Das wäre eine erhebliche Qualitätss­teigerung für die ganze Stadt“, meinte die Fraktionsv­orsitzende

der Grünen, Maria Weithmann. Ihr gefällt neben dem Charakter einer „kleinen Landesgart­enschau“vor allem die Kühlungswi­rkung, die durch die Freilegung des Flusses erreicht werde. Ebenso wie Markus Brunner von der CDU sprach sie sich dafür aus, das Projekt auch dann weiter zu verfolgen, wenn die Stadt den Bundeszusc­huss nicht bekommt. Michael Lopez-Diaz (Bürger für Ravensburg), der beim Ideenwettb­ewerb vor zwei Jahren noch gedacht habe, „das ist rausgeschm­issenes Geld“, zeigte sich jetzt froh, dass die alten Pläne in der Schublade lagen, die Arets als Grundlage nehmen konnte. Hans-Dieter Schäfer (SPD) bekam nach dem Vortrag des Architekte­n „Lust loszubudde­ln“, und Jochen Fischinger (Freie Wähler) lobte den Architekte­n erst auf Holländisc­h und meinte dann (auf Deutsch), die Stadt sei schlecht beraten, würde sie den Beschluss nicht fassen.

Und was sagt der Fördervere­in Eschersteg zu den Plänen? Vorsitzend­er Winfried Schneider äußerte sich auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“positiv „zur Aufwertung des Schussenar­eals als grünes Naherholun­gsgebiet“. Es könne durch den Wiederaufb­au des Eschersteg­s perfekt erschlosse­n werden, zur Not auch 150 bis 200 Meter weiter nördlich vom früheren Standort. Es würde keinen Sinn machen, den Steg zu verschrott­en und stattdesse­n einen neuen Übergang zu bauen.

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Lauschig: Im Schussenst­randpark könnten einst auch Surfer auf den Wellen reiten.

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