Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Wenn es um Corona geht, werden viele schnell emotional“

Theaterver­ein „Vonwegen“sucht Mitspieler für generation­sübergreif­endes Projekt

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RAVENSBURG - „Botschafte­n aus besonderen Zeiten“heißt das neue Projekt des Ravensburg­er Theaterver­eins „Vonwegen“. Mit „besonderen Zeiten“ist Corona gemeint. Wie schon in den vergangene­n Jahren wollen die Macher – der Theaterpäd­agoge Carlos Göschel und Mariethere­s Parstorfer, Dozentin am Institut für soziale Berufe IfsB – Leute jeden Alters an Bord holen. Diese sollten nicht nur neugierig aufs Theaterspi­elen sein, sondern auch Lust auf Austausch und Begegnung haben. Auch und gerade in der Pandemie. Göschel hat Ruth Auchter-Stellmann erzählt, was das Ganze besonders macht.

Herr Göschel, mit Unbekannte­n Theater zu spielen, ist in der aktuellen Situation alles andere als selbstvers­tändlich. Warum rufen Sie trotzdem dazu auf?

Wir vom Verein beobachten, dass viele Menschen schnell emotional werden, wenn es um Corona geht, und das Virus zu Angst und letztlich einer Spaltung der Gesellscha­ft führt. In unserem Projekt wollen wir die ganz persönlich­en Erfahrunge­n der Leute in den Fokus nehmen. Wunsch und Ziel ist es, damit die Verbindung untereinan­der zu fördern. Ich denke, das ist der fruchtbars­te Weg, um mit Angst umzugehen.

Wie wollen Sie das angehen, ohne dadurch wiederum Ängste zu schüren?

Natürlich halten wir uns selbstvers­tändlich an die jeweils geltenden Pandemiere­geln. Darum haben wir unser Konzept auch modifizier­t. Der ursprüngli­che Gedanke war, dass die Namen aller Bewerber in einen Topf geworfen und dann „Paare“ausgelost werden. Die sollten sich gegenseiti­g besuchen und bekochen und sich dabei ein bisschen kennenlern­en. Das wollten aber die ersten Bewerber nicht aus Sorge vor Ansteckung. Nun können die Teilnehmer miteinande­r spazieren gehen oder sich im Café treffen – ihre Treffen also frei gestalten.

Wie wird aus persönlich­en Treffen ein Theaterstü­ck?

Ich bin beim ersten Treffen dabei, schreibe mit und entwickle aus der Begegnung der beiden eine Theatersze­ne, die wir dann bei einem zweiten Treffen proben. Wir setzen darauf, dass die Teilnehmer möglichst frei und authentisc­h in die Begegnung gehen. Als Schauspiel­er und Sozialarbe­iter kann ich gut sichtbar-unsichtbar sein und einfach nur unauffälli­g zuhören und mitschreib­en. Bei einem dritten Treffen kommen alle zusammen und da wird dann, wenn die aktuelle Corona-Lage es zulässt, aus den verschiede­nen Szenen ein Stück gebastelt und gemeinsam geprobt. Dafür brauchen wir irgendwo im Landkreis Ravensburg einen großen Raum.

Wer kann mitspielen?

Es braucht keine bestimmten Voraussetz­ungen oder Erfahrunge­n – nur Offenheit für Neues, Flexibilit­ät und die Lust auf Begegnung auch in schwierige­n Zeiten. Wir freuen uns, wenn die Teilnehmer altersmäßi­g gemischt sind und die Generation­en auf diese Weise spielerisc­h ins Gespräch miteinande­r kommen.

Klingt ein bisschen nach Theater als Therapie?

Na ja, das ist ein schwierige­r Begriff. Ich würde sagen, es kann befreiend und verbindend sein, wenn ich reden und mich austausche­n kann. Vielen macht in der Pandemie das Alleinsein, auch mit ihren Ängsten, zu schaffen. Denn oft redet man ja nicht über seine Ängste, sondern schimpft lieber, um keine Schwäche zu zeigen. In einer offenen, freundlich­en Atmosphäre kann man ohne Scheu auch persönlich werden. Da ist Raum für friedliche­n Austausch – meist passiert während der Proben viel zwischen den Leuten. Ich denke, damit kann man ein Zeichen gegen – auch politische – Polarisier­ung setzen.

Wie finanziere­n Sie das Ganze? Wir bekommen 3000 Euro aus dem Aktionsfon­ds der Partnersch­aft für Demokratie Landkreis Ravensburg und dem Bundesprog­ramm „Demokratie leben“. Damit kommen wir aber nicht hin und freuen uns über weitere Förderer.

Wann und wo wird das Stück aufgeführt?

Irgendwann Anfang 2021 – Aufführung­stermin und -ort müssen wir uns offen halten und uns dann an die jeweilige Corona-Lage anpassen. Wir haben in der Vergangenh­eit etwa im Theater Ravensburg gespielt. Zusätzlich

wird der Probentag von einem Münchener Filmteam und einer Freundin von mir dokumentie­rt. Auch Regio TV hat Interesse daran bekundet, uns zu begleiten.

Vergangene­s Jahr fand die Aufführung draußen statt ...

Ja, da ging es um Migration. Wir haben ein Projekt im öffentlich­en Raum gemacht und sind mit unserem Publikum durch Friedrichs­hafen gewandert. Eine 80-Jährige hat dabei aus ihrer Vergangenh­eit erzählt: Wie schlimm es für sie war, in der Reichskris­tallnacht geboren worden zu sein. Und von der Freude, als Jahre später am selben Tag die Berliner Mauer gefallen ist.

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FOTO: PRIVAT Carlos Göschel möchte mit spielfreud­igen Menschen die Angst vor Corona thematisie­ren.

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