Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Keine Ornamente bitte!
Zum 150. Geburtstag von Adolf Loos – Der Architekt kämpfte gegen alles Überflüssige
PRAG (dpa) - Vor 150 Jahren wurde Adolf Loos im heute tschechischen Brünn geboren. Der Wegbereiter der modernen Architektur kämpfte gegen das Ornament und alles Überflüssige. In Prag entwarf er neben der berühmten Villa Müller auch ein weniger bekanntes Kleinod. Die Villa Winternitz ist der letzte große Wurf des Architekten und seines Kollegen Karel Lhota. Der weiße Kubus, der an der Südseite stufenförmig angeschnitten ist, sticht noch heute aus seinem Umfeld im Prager Villenvorort Malvazinky heraus. Das Haus wirkt modern, obwohl es mehr als acht Jahrzehnte alt ist.
An der Pforte zum Garten wartet der Fotograf und Kameramann David Cysar, der Urenkel des Villa-Erbauers Josef Winternitz. Über einen schmalen Pfad führt er den Besucher an die Seite des Hauses zu einem winzigen Haupteingang. „Der Effekt ist dann umso größer“, verrät der Gastgeber. Und tatsächlich: Durch eine kleine Garderobe hindurch und eine schmale Treppe hinauf kommt man unvermittelt in einen weiten und hohen Saal mit großen Fenstern.
Mehr als 5000 Freunde der Architektur besuchen in Nicht-CoronaZeiten jährlich die Villa. Loos hat dort mit seinem Partner Karel Lhota auf vorbildliche Weise seinen „Raumplan“umgesetzt. Der Baupionier hob die Geschossgrenzen auf. „Jeder Raum hat eine andere Höhe“, erklärt Cysar. Vom vier Meter hohen Repräsentationssaal geht es über mehrere Stufen auf eine gemütliche Empore. Eine Tür führt in eine kleine Bibliothek, in der die Decke noch einmal niedriger ist. „Das ist der ruhigste und persönlichste Raum im Haus“, sagt Cysar, der hier früher selbst sein Arbeitszimmer hatte.
Cysars konnte sich nur wenige Jahre an seinem einzigartigen Heim erfreuen, das ihn fünfmal mehr als eine gewöhnliche Villa gekostet hatte. Der Rechtsanwalt jüdischer Herkunft wurde 1944 zusammen mit seinem Sohn Petr im deutschen Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Seine Frau Jenny und Tochter Zuzana überlebten den Holocaust. Doch die Familie erhielt die Villa erst 1997 zurück.
Im Sozialismus wurde das Haus jahrzehntelang als Kindergarten genutzt,
Urgroßvater jetzt ist es Museum und Veranstaltungsort. Cysar will an seine Familie erinnern: „Ihre Namen bleiben unvergessen, man spricht über sie. Den Menschen kann ihr Schicksal eine Lehre sein.“Zugleich soll die Villa zum Leben erweckt werden, mit Konzerten, Malkursen und Architektur-Vorträgen – aktuell nur unterbrochen durch die Corona-Pandemie.
Die Krise überschattet auch das Adolf-LoosJahr 2020, das zahlreiche tschechische Museen ausgerufen hatten. Derzeit sind die Kultureinrichtungen geschlossen. In Brünn (Brno) war im Sommer die Ausstellung „Der Europäer Adolf Loos“zu sehen, welche auch die Spuren des Architekten in seiner Geburtsstadt nachzeichnete. Loos war dort am 10. Dezember 1870 als Sohn eines Steinmetzen zur Welt gekommen. Sein einziges erhaltenes Werk in der mährischen Stadt ist der Marmorsaal im Bauer'schen Schloss auf dem Messegelände.
In seiner Jugend besuchte der umtriebige Loos verschiedene Schulen.
„Wir haben das Ornament überwunden, wir haben uns zur Ornamentlosigkeit durchgerungen.“
Adolf Loos in seiner Streitschrift „Ornament und Verbrechen“, 1913