Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein neues Getriebe für Friedrichshafen
ZF feiert Serienstart von Powerline – Produkt soll helfen, die MAN-Lücke zu schließen
FRIEDRICHSHAFEN - ZF nennt es „eine kleine Revolution“– und meint damit die technische Seite von Powerline, ein Getriebe für mittelschwere Lkw, Pick-ups und Busse, das seit Oktober in Friedrichshafen in Serie produziert wird. Es ist aber auch ein großer Hoffnungsschimmer für den Produktionsstandort am See, denn es soll dabei helfen, die Lücke zu schließen, die die weitgehende Abkehr des Herstellers MAN von ZF-Getrieben zu reißen drohte.
Rund 170000 Getriebe für Busse und Lastwagen hat ZF im vergangenen Jahr in Friedrichshafen gefertigt, im Corona-Jahr 2020 rechnet der Zulieferer mit einer ähnlich hohen Stückzahl, aber weniger Umsatz, weil viele Teile hier nur für den chinesischen Markt vormontiert worden sind. Beobachter gehen davon aus, das bislang etwa ein Drittel der Getriebe an MAN geliefert werden. Kein Wunder, dass der Aufschrei am See groß war, als Volkswagen, zu dem MAN gehört, beschlossen und verkündet hat, dass die Getriebefertigung für Lkw künftig innerhalb des VW-Konzerns erfolgen werde. Noch ist der Beschluss nicht gänzlich umgesetzt, erste Folgen aber schon spürbar. Der Betriebsrat forderte Produktalternativen
und auch das Unternehmen war und ist an einer ordentlichen Auslastung des Produktionsstandortes Friedrichshafen interessiert.
Ein erster Schritt zur Lösung des Problems: Cetrax, ein elektrischer Zentralantrieb für Busse, der seit dem dritten Quartal des Jahres in Friedrichshafen in Serie gefertigt wird. Jetzt ist Powerlinie dazugekommen, dessen Serienfertigung im Oktober in der Halle 9 im Werk 2 gefeiert worden ist. Das Produkt verfügt über acht Gänge und ist ein technischer Verwandter des Pkw-Erfolgsgetriebes 8HP, hebt laut ZF den Schaltkomfort und soll bis zu zwölf
Prozent Kraftstoff sparen im Vergleich zu einem herkömmlichen Getriebe. Es kann auch mit einer Elektromaschine kombiniert werden. Die Stückzahlen sind zunächst überschaubar. Keine 1000 in diesem Jahr, eine vierstellige Zahl im kommenden Jahr und eine fünfstellige in 2022. Ab 2023 soll das neue Getriebe zusätzlich im US-amerikanischen ZF-Werk Gray Court gefertigt werden. Beteiligt an dem Projekt sind auch die Standorte Saarbrücken, Auerbach, Passau und Trnava in der Slowakei.
„Den Trend zur weltweit stärkeren Automatisierung von Nutzfahrzeugen haben wir mit Powerline hervorragend antizipieren und nun bedienen können. Das neue Getriebe hatten wir 2016 vorgestellt, bereits vier Jahre später startet die Serienproduktion“, freut sich Andreas Moser, verantwortlich für die ZF-Division Nutzfahrzeugtechnik laut einer Pressemitteilung. Das Produkt eignet sich laut Konzern für bis zu 1200 Newtonmeter starke Motoren und damit für mittelschweren Lastwagen, Pick-ups und Busse.
Ursprünglich war geplant, Powerline in Ungarn zu produzieren. Im Zuge der Verhandlungen zur Standortund Beschäftigungssicherung im Jahr 2016 fiel die Entscheidung, das Getriebe am Bodensee zu fertigen. „Dass der Produktionsstart des leichten Lkw-Getriebes Powerline hier am Standort Friedrichshafen geglückt ist, ist für mich eines der Highlights in diesem ansonsten sehr schwierigen Jahr 2020. Der geplante jährliche Zuwachs und die erwartete gute Nachfrage unserer Kunden zeigen, dass es sich lohnt, für die Lokalisierung von Produkten hier zu kämpfen“, sagt dazu Franz-Josef Müller, einer der beiden Betriebsratsvorsitzenden von ZF am Standort Friedrichshafen. Er hoffe, dass es gelinge weitere „Projekte in Friedrichshafen industrialisieren“zu können.