Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Im Dickicht des Fördersystems
Filmproduzenten sind mehr als Geldbeschaffer – Ihre Qualität liegt in der Menschenkenntnis
Er sei fest davon überzeugt, dass er „den schönsten Beruf der Welt“habe, sagt Jochen Laube, mit seiner Ludwigsburger „Sommerhaus Filmproduktion“heute der erfolgreichste Filmproduzent in Baden-Württemberg. „Das Gefühl, Dutzende von verschiedenen Gewerken voller
Energie und Emotionen wochenlang zusammenzuhalten und die verschiedenen Bedürfnisse zu moderieren, und auf einen Punkt zu bringen – das fand ich schon immer faszinierend.“Trotzdem sei ihm dieses Berufsbild lange eher unklar geblieben. Er habe trotz allen Interesses fürs Kino lange Jahre „gar nicht gewusst, was ein Filmproduzent eigentlich genau macht“erzählt Laube.
Was also machen Filmproduzenten? Einer der Erfinder dieses Berufs, und ersten, die mit ihm in der ganzen Welt erfolgreich wurden, stammt tatsächlich aus Schwaben, genau gesagt: aus Laupheim. Carl Laemmle, 1867 geboren, emigrierte 1884 in die USA, und gründete 1912 die „Universal Studios“in Los Angeles, die er bis 1936 leitete. Laemmle war damit einer der Gründerväter von Hollywood und Pioniere der Filmindustrie. Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart hatte es mit seiner Sonderausstellung zu Laemmle 2016 auf den Punkt gebracht: „Ein jüdischer Schwabe erfindet Hollywood“. Heute wird im Gedenken alljährlich der „Carl Laemmle Produzentenpreis“verliehen.
Grundsätzlich hat sich seit Laemmles Zeiten nicht allzu viel am Beruf des Filmproduzenten geändert: „Jedes Filmprojekt braucht einen Produzenten, der sagt: ,Von diesem Ansatz bin ich überzeugt. Damit traue ich mir zu, das nötige Geld zu bekommen.’“, erläutert Laube. Weil Film eine teure Kunst ist, müsse man früh einschätzen können, ob man für die Idee auch das Geld bekommt, die sie braucht. „Die allergrößte Macht, die ein Produzent hat, ist: Wird ein Film überhaupt realisiert?“
Heute gibt es ganz unterschiedliche Auslegungen dieses Berufs. Manche Produzenten halten sich inhaltlich eher zurück und agieren rein kaufmännisch vom Schreibtisch aus; andere bringen sich auch künstlerisch sehr stark ein. „Ich versuche schon eher überall beteiligt zu sein“, sagt Laube, „vom Kamerakonzept, über Schnittentscheidungen bis hin zu der Frage wie sieht ein Filmplakat aus?“Die Qualität eines Produzenten liege in der Menschenkenntnis. „Die Chemie sollte von Anfang an stimmen, weil man drei oder vier Jahre zusammenarbeitet.“
Stefan Arndt sieht es etwas nüchterner: „Die Produktionsfirma trägt die gesamte wirtschaftliche Verantwortung, auch das wirtschaftliche Risiko eines Drehs.“Arndt, im vergangen Jahr mit dem Carl-Laemmle-Produzentenpreis geehrt, ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Filmproduzenten Deutschlands. 1994 gründete er zusammen mit Tom Tykwer, Dani Levy und Wolfgang Becker die Berliner Firma X-Filme, die unter anderem „Lola rennt“, „Goodbye Lenin“, „Das weiße Band“und zuletzt den internationalen Serienerfolg „Babylon Berlin“produziert haben. Trotzdem fühlt sich Arndt wie viele Kollegen als Produzent oft nicht genug wertgeschätzt. Auch Arndt sieht sich nicht als reinen Geldbeschaffer oder Händler, der statt Filmen auch Wurst verkaufen könnte. Sondern als leidenschaftlichen Filmemacher, der Kunst herstelle. „Aber diese Kunst ist leider extrem teuer, und kaum eine Firma kann diese Kosten alleine bezahlen. Jede Produktionsfirma hat deswegen verschiedenste Financiers und Finanzquellen, die sie miteinander kombiniert.“
Der entscheidende Unterschied zwischen Filmproduzenten in Europa und jenen in anderen Teilen der Welt liegt darin, dass es nur in Europa eine breit gefächerte und extrem ausdifferenzierte Filmförderung gibt.
Für die Filme ist sie Fluch und Segen zugleich. Denn so schön Europas kulturelle und sprachliche Vielfalt ist – für ein teures Produkt, wie den Film, der seine Kosten nur auf dem internationalen Markt wieder einspielen kann, ist dies zunächst ein Hindernis. Deswegen können auch erfolgreiche europäische Produzenten nur selten die Kosten für einen Film alleine stemmen. Dazu gibt es die Filmförderung. Und die Arbeit eines Filmproduzenten sieht heute oft so aus, dass sie sich im Dickicht des Fördersystems gut zurechtfinden müssen. Das bietet einerseits vielfältige europäische CoProduktionsmöglichkeiten, andererseits ist es extrem reguliert und zu weiten Teilen von der Gnade der Fernsehsender abhängig.
Erschwerend hinzu kommt Corona. Die Kinolandschaft ist zwar zur Zeit pandemiebedingt komplett eingefroren. Das gilt aber nicht für den Filmproduktionsbetrieb. Viele Kinound Fernsehproduktionen drehen weiter an ihren Sets – weil die Kosten weiterlaufen und lange geplante Dreharbeiten finanziell wie auch logistisch gar nicht so leicht zu verschieben sind. Zum Teil können sie auch gar nicht anders, denn manche Angebote verlangen nach Nachschub: Eine Daily Soap wie „Verbotene Liebe“, aber auch eine ZDF-Primetime-Serie wie „Rosenheim Cops“hat vergleichsweise wenig Folgenvorlauf und kann daher nicht einfach ein halbes Jahr mit den Dreharbeiten aussetzen.
In Zeiten des Dauer-Lockdowns habe er mitunter das Gefühl, als Filmproduzent „schon mit einem Bein im Knast“zu stehen, erzählt Stefan Arndt. „Denn ich schicke ja Menschen an den Filmset, um dort zusammenzuarbeiten – weiß ich, ob mich einer, der dort krank wird, verklagen kann, weil ich ihn in die Situation gebracht habe?“Die Lage der Produzenten sei die unsicherste von allen Akteuren der Filmbranche, da stimmen auch viele Kollegen mit Arndt überein.
Zukunft des Kinos
Etwa Bettina Brokemper, die Chefin der in Köln ansässigen Produktionsfirma „Heimatfilm“, die viele internationale Koproduktionen stemmt, und 2010 mit dem türkischen „Honig“einen Goldenen Bären gewann. Als im März der erste Lockdown begann, war sie gerade dabei, über mehrere Länder Europas ein Roadmovie zu drehen, und musste den Dreh dann in Italien abbrechen. Sehr viele Filme entstehen in solchen europäischen Koproduktionen. Manchmal auch nur mit Ländern wie Österreich und Luxemburg oder einer Postproduktionsförderung oder ein von Arte als deutsch-französisches Projekt finanzierter deutscher Film.
Die klassischen Filmversicherungen greifen nicht bei höherer Gewalt wie einer Pandemie. Das hat, so Brokemper, „dramatische Folgen für Produzenten“. Zwar gibt es Ausfallfonds, aber nur für deutsche Produktionen, und zum Teil nur für TV- und Streaming-Produktionen. Brokemper kritisiert: „Genau das, was mit viel öffentlichen Geldern über zwei bis drei Jahrzehnte aufgebaut wurde – eine engmaschig vernetzte europäische Koproduktionslandschaft – wird nun zerstört.“Schon vorher hatte es um das neue deutsche Filmfördergesetz breite Debatten gegeben, da dieses die deutschen Produzenten im europäischen Vergleich sehr schlecht stellt. „Ich mache mir große Sorgen. Es gab in den letzten Jahren sowieso schon Tendenzen zur Konzentration, und es wird immer schwieriger, als unabhängige Filmproduktion einen mittelständischen Betrieb zu führen, weil es Machtverschiebungen gibt. Corona ist wie der Borkenkäfer für den filmischen Mittelstand. Es gibt einen Kahlschlag. Und es wird in den nächsten Jahren eine große Pleitewelle geben. Wahrscheinlich erst ab Mitte nächsten Jahres, aber ich erwarte da sehr viele schlechte Nachrichten“, bringt es Filmproduzentin Bettina Brokemper auf den Punkt.