Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wie Integration in Corona-Zeiten funktioniert
Die Pandemie erschwert die Flüchtlingsarbeit im Landkreis Lindau in vielen Bereichen
KREIS LINDAU (db) - Kurz vor Weihnachten startete in Leipzig ein Flugzeug mit afghanischen Flüchtlingen in Richtung naher Osten. „Das ist an Zynismus nicht zu überbieten, so kurz vor Weihnachten und zu Beginn des Lockdowns“, sagt der Flüchtlingshelfer Joe Peinze.
Er kritisiert seit Jahren, dass der Freistaat Bayern immer wieder Menschen in ein von Krieg und Armut geplagtes Land abschiebt. Fast acht Monate in diesem Jahr stoppten die Flüge allerdings. Wegen der CoronaPandemie wurden sie zwischen März und Ende November ausgesetzt. Peinze hat festgestellt, dass das die Ängste der Flüchtlinge für kurze Zeit zurückgestellt hat. In gewisser Weise sei das eine positive Auswirkung
der Krise, sagt er. In der konkreten Flüchtlingsarbeit vor Ort bremst das Coronavirus vor allem die Kommunikation zwischen Behörden und den Geflüchteten. In der Pandemie tritt aber auch deutlich hervor, welche guten Vorteile die Unterkünfte im Landkreis Lindau haben.
Flüchtlingshelferinnen und -helfer sind oft Vermittler zwischen Behörden und den Geflüchteten. Die Kontaktbeschränkungen bremst sie in dieser Rolle extrem aus. Das spürt auch das Landratsamt: „Eine wichtige Brücke für die Kommunikation bricht ab“, erklärt Pressesprecherin Sibylle Ehreiser. „Viele Geflüchtete sind sprachlich nur bedingt in der Lage, ihre Belange am Telefon zu schildern.“Über neue Corona-Regeln
können die Behörden die Geflüchteten oft erst verzögert informieren, weil sie sich an vorgegebene Übersetzungen halten müssen. Außerdem liegt der Altersdurchschnitt bei den Flüchtlingshelferinnen und Helfern im Landkreis bei nahezu 70 Jahren, schätzt Joseph Bastin, Vorsitzender des 2013 gegründeten Vereins „Freunde statt Fremde“. Der 72-Jährige ist seit 2015 dabei. Viele der etwa 25 Mitglieder zählen zur Corona-Risikogruppe.
Nach Einschätzung von Joe Peinze hat sich die Kommunikation während Corona inzwischen eingependelt. So habe sich „Freunde statt Fremde“bemüht, den Umgang mit digitalen Medien auszubauen. Viele der Geflüchteten holen sich ihre Informationen
zudem selbst im Netz und verfolgen im Fernsehen Sendungen, die mehrsprachig ausgestrahlt werden, zum Beispiel auf Arabisch. Und die meisten Geflüchteten haben ihr Handy aus der Heimat mitgebracht. „Das ist ja deren einziges Mittel zur Kommunikation, zum Beispiel mit der Familie in der Heimat“, sagt der 75-Jährige.
Im Landkreis leben die Geflüchteten quer verteilt über die Kommunen. Nach Beobachtung der Flüchtlingshelfer hat sich die dezentrale Unterbringung im Corona-Jahr bewährt. „Es kommt uns sehr zu Gute, dass es im Landkreis Lindau kein Ankerzentrum gibt“, sagt Peinze.
Für die Flüchtlingsunterkünfte im Landkreis gelten grundsätzlich die gleichen Regeln wie in den größeren Einrichtungen, jedoch agiert das Landratsamt hier flexibler. „Natürlich war auch bei uns zeitweise kein Kontakt möglich“, sagt Peinze. Bei Problemen sei es aber meist möglich gewesen, sich auf der Straße zu treffen oder unter Auflagen auch mal im Büro. Wohnungen abzuriegeln ist aber wohl ohnehin nicht nötig. „Es gibt im Landkreis ausreichend freie Kapazitäten“, sagt Sibylle Ehreiser über Unterkunftsplätze für Flüchtlinge. „Ein Teil davon ist auch für Notsituationen reserviert, wie zum Beispiel aktuell zur Quarantäne-Absonderung.“
Und selbst im Corona-Jahr gibt es Erfolge in der Flüchtlingsarbeit zu vermelden. Einige Familien erhielten beispielsweise die deutsche Staatsangehörigkeit. „Da ist auch eine dabei, die 2013 hierher kam und die wir von Anfang an begleitet haben“, freut sich Peinze.
Die Auswirkungen der Pandemie bekommen auch die Flüchtlinge in der Arbeit zu spüren: Im Landkreis sind viele in der Gastronomie beschäftigt, die „von Umsatzeinbrüchen durch die Pandemie betroffen ist“, sagt Landratsamtssprecherin Ehreiser. Und trotzdem: Viele Flüchtlinge schlossen ihre Ausbildungen heuer erfolgreich ab, berichtet Peinze. „Eine junge Frau hat sogar ihre Ausbildung zur Pharmazeutisch-Technischen Assistentin geschafft. Die ist wirklich nicht einfach“, ergänzt Bastin.