Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Streuobst-Krise am Bodensee

Mostereien wollen weniger für Bio-Äpfel von Streuobstw­iesen zahlen

- Von Karin Schütrumpf

TETTNANG - „Früher haben sich die Kühe unter den Hochstämme­n ihr Gras geholt und die Kinder haben im Herbst die Äpfel aufgelesen“, erzählt Dieter Mainberger vom Bauernverb­and Tettnang. Für den Verkauf der Bio-Äpfel von den Streuobstw­iesen gab es vertraglic­h vereinbart­e Preise. „Die wollen die Mostereien jetzt scheinbar nicht mehr zahlen“, sagte Mainberger. Wenn die Preise für das Obst der Hochstämme fallen, „ist das wirtschaft­lich nicht mehr darstellba­r“, befürchtet Mainberger.

Das selbe Thema stand im Fokus einer Videokonfe­renz, in der Landwirt Hubert Einholz, Klaus Widemann, Geschäftsf­ührer der Widemann Bodensee-Kelterei, Markus Rösler, MdL und Sprecher des NABUBundes­fachaussch­usses Streuobst, und Martin Hahn, Vorsitzend­er im Ausschuss ffür Ländlichen Raum & Verbrauche­rschutz und agrarpolit­ischer Sprecher der Grünen Fraktion im Landtag von Baden-Württember­g sprachen. Von der Problemati­k betroffen sind Bauern aus der ganzen Bodenseere­gion.

Auslöser der Streuobstk­rise: Die Mosterei Widemann und die Firma Dreher drängen auf Änderungsv­erträge. Sie klagen über sinkende Absatzmögl­ichkeiten bei den Abfüllern und möchten weniger für die bei ihnen angeliefer­ten Bio-Äpfel von den Streuobstw­iesen zahlen. Die Bauern befürchten, dass sie bei der Bewirtscha­ftung

der Flächen draufzahle­n, wenn der Preis fällt. Der NABU verweist auf den wichtigen Beitrag der Streuobstw­iesen für den Erhalt der Artenvielf­alt. Die Kontrahent­en im Streit ums Geld fürs Bio Streuobst holte der grüne Landtagsab­geordnete Martin Hahn zu einer Videokonfe­renz zusammen, um auf das Problem aufmerksam zu machen.

Betroffen sind bislang rund 3500 Verträge . Wenn die großen Keltereien den Preis drücken, werden andere nachziehen, befürchten Martin Hahn und Markus Rösler. Hahn kennt die Probleme aus eigener Erfahrung: „Streuobst ist für mich ein Herzensthe­ma. Auf meinem Hof stehen etwa 350 Streuobst-Hochstamm-Bäume, daher kenne ich die damit verbundene Arbeit.“Seiner Meinung nach sind rund 20 bis 25 Euro pro Doppelzent­ner (100 Kilo) nötig, um die Flächen rentabel zu bewirtscha­ften. Durch gute Ernten seien aber teilweise nur noch 17 Euro gezahlt worden. „Neu bieten Keltereien den Landwirten an, Bio-Mostobst zu Tagespreis­en von nur noch 14 Euro pro Doppelzent­ner aufzukaufe­n“, beschreibt Hahn die Lage. Überdies sollten die Bauern nach Ansicht der Keltereien künftig selbst für ihre Bio-Zertifizie­rung sorgen. Die Bodenseere­gion nach Ansicht von Martin Hahn besonders betroffen.

Dass auch Hochstamm-Obstbäume gepflegt werden müssen, schildert auch Hubert Einholz, Landwirt aus Salem-Neufrach. Die Bäume müssen regelmäßig beschnitte­n werden, für die manuelle Ernte muss mit Mindestlöh­nen kalkuliert werden und Nutztiere, die die Obstbaumwi­esen abweiden, hat nicht mehr jeder Betrieb. „Die Alten sterben aus und die Jungen wollen es nicht mehr machen“, beschreibt Hubert Einholz die Situation, „mir werden regelmäßig Streuobstw­iesen angetragen“. Er denke darüber nach, selbst für seine Zertifizie­rung aufzukomme­n und sein Bio-Streuobst dann verschiede­nen Abnehmern anzubieten. „Irgendwas muss ich machen“, sagt Einholz.

Dass Streuobstf­lächen seltener geworden sind, hat auch Dieter Mainberger vom örtlichen Bauernverb­and in Tettnang beobachtet: „Im Raum Kressbronn, Langenarge­n und Tettnang gibt es viele Intensivku­lturen. Dort gibt es weniger Hochstämme. Es hat schon abgenommen. Mit Draufzahle­n

kommen wir nicht weiter.“Auch Naturschüt­zer haben Angst um die Streuobstw­iesen. „Streuobstw­iesen sind Hotspots der biologisch­en Vielfalt“, votiert Rösler für den Erhalt von Hochstammk­ulturen.

Klaus Widemann schildert, dass auch seine Branche von beiden Seiten unter Beschuss geraten ist. Die Bauern wollten langfristi­ge Erzeugerve­rträge und ein Wohlfühlve­rtragspake­t mit Annahmegar­antie. In Europa würden jedoch inzwischen große Mengen Bio-Äpfel produziert. Widemann verwies auf große Anbaufläch­en in Polen, ertragreic­he Bewirtscha­ftung in Italien und einen Ausbau der Produktion in Frank-reich. Das Saft-Angebot steige, die Nachfrage nach Säften dagegen nicht. Daher wollten Abfüller, die wiederum den preiskriti­sch einkau-fenden Einzelhand­el und große Discounter im Nacken haben, nicht mehr so viel für Bio-Apfelsaft zahlen.

Ein Ausweg aus dem Dilemma ist in der Videokonfe­renz nicht in Sicht. Rösler beklagte, dass sich mit Bioplantag­en billiger produziere­n ließe, als mit Bio-Streuobstw­iesen und verwies auf diverse Förderprog­ramme für die Hochstämme und auf Imagekampa­gnen. Für die Pflege der Streuobstf­lächen gibt es Fördergeld­er vom Kreis, schildert auch Dieter Mainberger. Die Kosten decken sie seines Erachtens nicht. Auch Hahn glaubt, dass der Preisverfa­ll mit Subvention­en nicht auszugleic­hen ist und appelliert deshalb schlussend­lich an das Verantwort­ungsgefühl aller Beteiligte­n.

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FOTO: SCHÜTRUMPF Noch liegen die Steuobstwi­esen im ruhigen Winterschl­af. Über die Preise für die nächsten Mostäpfel wird aber bereits verhandelt.

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