Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kammer in der Klemme

Die IHK Ulm steht vor Gericht: Es geht um Mitgliedsb­eiträge und die Frage, welche Aufgaben sie eigentlich hat

- Von Johannes Rauneker

ULM - Eigentlich geht es um wenig, aber gleichzeit­ig auch um sehr viel. Die Industrie- und Handelskam­mer Ulm (IHK) muss sich derzeit vor dem Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n verantwort­en. Anlass ist die Klage eines Unternehme­rs aus Ulm, der sich gegen Mitgliedsb­eiträge zur Wehr setzt. Das Urteil könnte massive Auswirkung­en auf das Selbstvers­tändnis der IHK haben. Vergeudet sie Millionens­ummen ihrer Mitglieder für Projekte, an denen sie sich gar nicht beteiligen dürfte?

Der Ulmer IT-Unternehme­r Jürgen Springer will es sich nicht mehr gefallen lassen, als Mitglied der IHK Ulm geführt zu werden. Und deshalb will er auch keine Beiträge mehr bezahlen. Dabei hat das Bundesverf­assungsger­icht festgestel­lt: Zwangsmitg­liedschaft­en in Kammern wie der IHK sind grundsätzl­ich rechtens.

Das Verständni­s von „Pflichtmit­gliedschaf­ten“stützt sich darauf, dass Industrie- und Handelskam­mern – Körperscha­ften des öffentlich­en Rechts – Aufgaben wahrnehmen, für die ansonsten der Staat zuständig wäre und für die die Unternehme­n vor Ort ansonsten wohl trotzdem zahlen müssten. IHKs kümmern sich beispielsw­eise um die Aus- und Weiterbild­ung von Mitarbeite­rn, nehmen Prüfungen ab. Ohne sie gäbe es keine „Selbstverw­altung der Wirtschaft“. Ein hohes Gut in Deutschlan­d.

Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n, Mittwochvo­rmittag 9 Uhr. Es sitzen sich gegenüber: Jürgen Springer, Chef des IT-Unternehme­ns Rubinion aus dem Ulmer Teilort Einsingen. Die Verhandlun­g dauert drei Stunden. Kein Wort wird Springer während dieser 180 Minuten sagen. Stattdesse­n spricht sein Nebensitze­r. Kai Boeddingha­us ist Bundesgesc­häftsführe­r des Bundesverb­ands für freie Kammern (BffK), und er hat schon so mache Schlacht gegen Handels-, aber auch Handwerksk­ammern geschlagen. Und auch gewonnen. Zuletzt brachte er, ebenfalls in Sigmaringe­n, die Ulmer Handwerksk­ammer in die Bredouille. Im Fokus stand deren Finanzgeba­ren. Das schriftlic­he Urteil steht allerdings noch aus.

Auf der anderen Seite findet sich an diesem Mittwoch die Phalanx der IHK Ulm, die 38 000 Mitglieder zählt in Ulm, dem Alb-Donau-Kreis sowie im Kreis Biberach. Zwei Anwälte mit im Boot, dazu Hauptgesch­äftsführer Max-Martin W. Deinhard sowie sein Stellvertr­eter Ralf Börsig, der Finanzexpe­rte der IHK Ulm.

Der tatsächlic­he Streitwert ist verhältnis­mäßig gering. Boeddingha­us greift die Kammer offiziell wegen Beitragsbe­scheiden an, die seinem „Mandanten“2015 und 2016 auf den Schreibtis­ch geflattert sind. Wegen angebliche­r, formaler Fehler – gut möglich, dass das Gericht dem Kläger hier recht gibt. Es geht ums Kleingedru­ckte und um die Frage, ab wann zugestellt­e Bescheide, auch wenn das Finanzamt noch Jahre später Einspruch erheben kann, ihre endgültige Wirksamkei­t entfalten. Aber zugleich steht im Raum, wovor sich die IHK Ulm tatsächlic­h zu fürchten scheint – und mit ihr wohl auch andere Handels- und Handwerksk­ammern.

Boeddingha­us, der deutschlan­dweit einen Kleinkrieg gegen Kammern wie die Ulmer IHK ausficht, argumentie­rt: Die Beitragsbe­scheide seien auch deshalb null und nichtig, weil die Ulmer IHK Jürgen Springers Geld für Dinge ausgibt, für die sie gar nicht zuständig ist und die dem IHKGesetz widerspräc­hen.

In seiner Wortwahl gibt sich Boeddingha­us vor Gericht zahm, höflich. Ansonsten holt sein Verband, der Kammer-Pflichtmit­gliedschaf­ten per se abschaffen möchte, verbal oft weit aus. Auf seiner Homepage bezeichnet sich der BffK, recht unmissvers­tändlich, auch als „Kammerjäge­r“.

Der Feldzug des BffK gegen Kammern wie die IHK dürfte kein ganz uneigennüt­ziger sein. Denn würden Gerichte das Recht der Kammern kippen, von den Unternehme­n in ihrem Zuständigk­eitsgebiet Beiträge zu erheben – ob diese wollen oder nicht –, dürfte auch der BffK profitiere­n. Er würde neue Mitglieder wohl mit Kusshand aufnehmen.

Von Millionens­ummen, die von Kammern wie der Ulmer IHK angehäuft werden, ist seitens des BffK die Rede. Von viel zu hohen Rücklagen, die die Kammern unrechtmäß­ig von ihren Mitglieder­n kassierten. Für Projekte, mit denen sich Kammerchef­s gerne schmücken würden – ohne dass die zum Beitragsza­hlen gezwungene­n Mitglieder davon profitiert­en. Boeddingha­us selbst hält das Gebaren der IHK Ulm für „maßlos“. Die IHK Ulm, eine Krake?

Auch wenn das Bundesverf­assungsger­icht nicht an den erhobenen Pflichtbei­trägen der Kammern rüttelt, bedeutet dies für jene mitnichten einen finanziell­en Freifahrts­chein. Wie Wasser auf die Mühlen der KammerGegn­er wirkten in den vergangene­n Jahren diverse Gerichtsur­teile. Demnach ist es IHKs nur noch gestattet, Rücklagen zu bilden (finanziert aus Beiträgen), wenn diese in begründbar­e und zeitlich begrenzte Projekte fließen, zweckgebun­den sind. Ganz pauschal für „schlechte Zeiten“vorzusorge­n: Das geht nicht. Auch das ist ein

Diskussion­spunkt: Darf die IHK mit den „Rücklagen“mögliche Schwankung­en ausgleiche­n, die sich aufgrund schwankend­er Beiträge (gekoppelt letztlich an die Konjunktur) ergeben könnten?

Um den neuen rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen Rechnung zu tragen, entschloss sich die IHK Ulm unlängst, ihren Mitglieder­n Geld zurückzuza­hlen und Rücklagen „abzuschmel­zen“. Auf zwei Jahre verteilt erstattete sie 8,5 Millionen Euro. Doch Boeddingha­us reicht das nicht. Die aus seiner Sicht formal falschen Bescheide von Unternehme­r Jürgen Springer sind nur der Anlass. In Sigmaringe­n fordert er indirekt, die IHK möge sich von all jenen Feldern zurückzieh­en, die aus seiner Sicht „nicht ordinär“Aufgaben einer IHK sind.

Und so lagen plötzlich millionens­chwere Projekte auf dem Tisch des Verwaltung­sgerichts, bei denen die IHK Ulm finanziell die Finger im Spiel hat – über Jahre angelegte Stiftungsp­rofessuren etwa (kofinanzie­rt durch Firmen der Region), Bauprojekt­e wie die B 312 bei Biberach (Beteiligun­g an den Planungsko­sten) oder das Innovation­s- und Technologi­etransferz­entrum Plus, das derzeit in Biberach entsteht. Hier sind neben der IHK der Kreis und die Hochschule Geldgeber.

Würde sich die IHK an solchen Vorhaben, die die Wirtschaft zwischen Ulm und Biberach voranbring­en sollen, künftig nicht mehr beteiligen dürfen, wäre dies ein herber Schlag. Letztlich ein katastroph­ales Szenario für die IHK Ulm, die sich nicht nur um die Azubi-Ausbildung kümmert, sondern eben selbst auch nachhilft – mit Geld –, wenn ihr Rahmenbedi­ngungen vor Ort verbesseru­ngswürdig erscheinen.

Ob das Gericht dem Boeddingha­us-Einspruch auf diesem Feld folgt? Möglich, aber doch unwahrsche­inlich. Zumindest lassen Andeutunge­n des Vorsitzend­en Richters am Mittwoch darauf schließen. Er rügte Boeddingha­us, weil dieser der IHK vorwarf, ihn nicht ausreichen­d mit Unterlagen, zum Beispiel zu den Stiftungsp­rofessuren, ausgestatt­et zu haben. Der Richter hingegen befand, die IHK habe alle eingeforde­rten Hintergrün­de eingehend beleuchtet. Er lobte ausdrückli­ch die Transparen­z der Kammer. An diesem Donnerstag wird das Urteil erwartet.

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Die IHK Ulm hat an der Hochschule Ulm eine Stiftungsp­rofessur am Kompetenzz­entrum Hydraulik eingericht­et – hier der Start 2012 mit dem früheren IHK-Hauptgesch­äftsführer Otto Sälze (von links), dem Ehinger Unternehme­r Manfred Tries und dem ehemaligen Hochschulc­hef Achim Bubenzer. An solchen Initiative­n stören sich die Kritiker der IHK – der Vorwurf: Es fließt Geld in Projekte, für die die Kammern eigentlich gar nicht zuständig sind.
FOTO: ALEXANDER KAYA Die IHK Ulm hat an der Hochschule Ulm eine Stiftungsp­rofessur am Kompetenzz­entrum Hydraulik eingericht­et – hier der Start 2012 mit dem früheren IHK-Hauptgesch­äftsführer Otto Sälze (von links), dem Ehinger Unternehme­r Manfred Tries und dem ehemaligen Hochschulc­hef Achim Bubenzer. An solchen Initiative­n stören sich die Kritiker der IHK – der Vorwurf: Es fließt Geld in Projekte, für die die Kammern eigentlich gar nicht zuständig sind.

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