Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Es wäre aus meiner Sicht ein völlig falsches Signal“
Regierungspräsident Klaus Tappeser äußert sich zur „Stunde null“, zum Verkehr, zu Finanzen und zu Corona
RAVENSBURG (sz) - Verkehrsfragen, die finanziell schwierige Situation vieler Kommunen, Corona: Viele Probleme beschäftigen derzeit die Menschen im Regierungsbezirk Tübingen, zu dem acht Landkreise und ein Stadtkreis gehören, darunter die Kreise Ravensburg, Bodensee und Biberach. Die „Schwäbische Zeitung“sprach über einige aktuelle Entwicklungen mit dem Tübinger Regierungspräsidenten Klaus Tappeser. Coronabedingt wurde das Interview schriftlich geführt.
Auf der B 30 Süd rollt der Verkehr, die Elektrifizierung der Südbahn wird dieses Jahr abgeschlossen. Jetzt fehlt Ravensburg nur noch der Molldietetunnel. Wie ist da der aktuelle Stand und wie sind die nächsten Schritte?
Die Planung der Ortsumgehung Ravensburg mit dem Molldietetunnel haben wir im Oktober 2019 begonnen, und bereits im November 2019 haben wir ein Startgespräch mit der Stadt Ravensburg geführt. Die Grundlagenermittlung, zu der die Sichtung von Untersuchungen und Planungsunterlagen aus der Vergangenheit und das Sammeln von Informationen zu sonstigen Planungen der Stadt und von Dritten gehören, ist fast abgeschlossen. Parallel finden vorbereitende Arbeiten für die Ausschreibung der technischen Planung sowie an der Umweltverträglichkeitsstudie statt. Außerdem haben wir Ende vergangenen Jahres eine großräumige Verkehrsuntersuchung beauftragt. Die Vergabe der Flora-Fauna-Untersuchungen erfolgt jetzt im Frühjahr. Auch im Frühjahr finden die Verkehrszählungen statt, auf deren Basis wir dann bis Mitte 2022 unsere Verkehrsprognosen erarbeiten.
Wangens Verkehrsproblem Nummer 1 ist die Bahnschranke an der B 32 und deren Beseitigung, die erst bis zur Landesgartenschau 2024 erfolgen sollte, deren Bau jetzt aber erst nach der Gartenschau startet. Wie ist der aktuelle Planungsstand beziehungsweise welche Schritte stehen in welchem Zeitraum an? Bleibt es beim Baustart im Anschluss an die Landesgartenschau?
Der sogenannte Gesehenvermerk wurde vom Bund im August 2019 erteilt. Gleich anschließend haben wir im September 2019 mit der Erstellung der Planfeststellungsunterlagen begonnen. Parallel haben wir im vergangenen Jahr die notwendigen Vereinbarungen mit der Stadt Wangen zu den jeweiligen Verantwortlichkeiten und Kostenaufteilungen geschlossen. Derzeit arbeiten wir unter anderem an der landschaftspflegerischen Begleitplanung, der integrativen Bauablaufplanung, den wasserrechtlichen Unterlagen sowie am Altlastengutachten. Den Antrag auf Einleitung des Planfeststellungsverfahrens wollen wir in der ersten Jahreshälfte 2021 stellen. Soweit es in diesem Verfahren zu keinen größeren Widersprüchen oder gar Klagen kommt, steht dem geplanten Baustart im Anschluss an die Landesgartenschau derzeit nichts entgegen.
Es geht um die geplanten Ortsumfahrungen der B 30 in Gaisbeuren und Enzisreute. Bleibt es beim geplanten Planungsstart im zweiten Halbjahr 2022 oder hat sich wegen Corona, Personalmangel etc. etwas am Plan geändert? Und wenn ab 2022 geplant wird, wann ist mit einem Baustart zu rechnen?
Nein, an dem mit der Politik und dem Verkehrsministerium in Stuttgart abgestimmten Zeitplan hat sich nichts geändert. Wir wollen weiter im zweiten Halbjahr 2022 beginnen. Allerdings stehen wir mit unseren Planungen dann ganz am Anfang und Straßenplanungsprozesse sind in der Regel sehr umfangreich und komplex. Außerdem brauchen wir am Ende ein Planfeststellungsverfahren, bei dem es zu Widersprüchen und im schlechtesten Fall auch zu Klagen kommen kann. Deshalb lässt sich heute über einen Zeitpunkt des Baustarts seriös noch nichts sagen.
Stichwort Finanzen: Städte wie Ravensburg und Weingarten müssen in den beiden nächsten Jahren auf der Felge fahren, um ihre Haushalte irgendwie zu stemmen. Corona schlägt voll durch, die Doppik stellt zusätzliche Anforderungen. Mit welcher Richtschnur geht das Regierungspräsidium in dieser Situation in die Genehmigungsverfahren?
In der finanziellen Krise wollen wir den Kommunen Handlungsspielräume ermöglichen, obwohl ja trotz Haushaltssperren, globalen Minderausgaben, Investitionsaufschüben und den schnellen Hilfen von Bund und Land oft negative Jahresergebnisse
für das Jahr 2020 ausgewiesen werden. Dazu zählt auch Weingarten. In Ravensburg hat sich die Haushaltslage ebenfalls deutlich verschlechtert. Zwar kann die Stadt den Ergebnishaushalt für das Jahr 2020 noch ausgleichen, für den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung rechnet Ravensburg aber, wie auch Weingarten, jährlich mit erheblichen Fehlbeträgen. Eine Finanzierung dieser Defizite über neue Schulden ist haushaltsrechtlich nicht genehmigungsfähig. So bleiben beiden Kommunen nur weitere strukturelle Sparmaßnahmen, der Verkauf von Grundstücken oder der Abbau von Rücklagen, soweit Letztere in den guten Zeiten gebildet wurden. Im Übrigen hoffe ich darauf, dass die Wirtschaft nach Corona wieder anzieht und dass Bund und Land den Kommunen weiter finanziell zur Seite stehen.
Was halten Sie von Ideen aus Berlin (Olaf Scholz) für eine „Stunde null“für aus der Vergangenheit stark verschuldete Kommunen? Diese Ideen können nicht für die „schwäbische Hausfrau“gelten. Es wäre aus meiner Sicht ein völlig falsches Signal und würde den Anreiz für noch mehr kommunale Schulden verstärken. Denn man dürfte ja dann darauf hoffen, auch in Zukunft wieder von der Allgemeinheit freigekauft zu werden. Im Übrigen wäre es ungerecht gegenüber den Kommunen, die in der Vergangenheit solide gewirtschaftet haben. Unbestritten müssen finanzschwache Kommunen die Mittel haben, um entsprechend investieren zu können. Das ist für mich aber keine Frage der Entschuldung, sondern gerade in Krisenzeiten braucht es für solche Kommunen verlässliche und schnelle Finanzhilfen durch Bund, Land und im Wege des kommunalen Finanzausgleichs auch durch die kommunale Familie selber.
Wie beurteilen Sie die Chance, dass die Stadt Ravensburg angesichts der coronabedingten Finanznot aus der Pflicht entlassen wird, den Eschersteg wieder aufzubauen?
Beim Landtag ist in dieser Angelegenheit eine Petition der „Mündigen Bürger Ravensburg“anhängig. Darin wird begehrt, den Denkmalschutz des Escherstegs neu zu bewerten und aufzuheben. Aus Respekt vor diesem parlamentarischen Verfahren möchte ich mich mit Äußerungen zum Eschersteg zurückhalten und das Ergebnis abwarten. Nur so viel: Die Finanznot ist zumindest aktuell ein Argument, das man nicht außer Acht lassen kann. Sobald aber wieder bessere Zeiten kommen, was wir alle hoffen, wird dieses Argument kaum greifen.
Die Personalgewinnung für Impfzentren lief über die Regierungspräsidien, dabei kam es vermutlich auch noch zu einer Datenpanne im Alb-Donau-Kreis. War es im Rückblick ein Fehler, dass sich Bewerber nicht direkt an die Landratsämter wenden sollten? Viele Bürger haben sich als Helfer für Impfzentren gemeldet und nie etwas von den Behörden gehört, kein Dankeschön, keine Absage bis heute. Verspielen Sie so nicht das Vertrauen und die Einsatzbereitschaft der Bürger?
Für die Mitarbeit in den Impfzentren haben sich bei den Regierungspräsidien landesweit mehr als 10 000 Bürgerinnen und Bürger gemeldet, davon alleine für die Zentren im Regierungsbezirk Tübingen mehr als 2000. Wir sind sehr dankbar für diese große Anzahl an helfenden Händen. Es ist toll, wie die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes besonders in der Pandemie zusammenstehen und sich solidarisch zeigen. Genauso stehen auch die Behörden im Land solidarisch zusammen, und deshalb haben wir vier Präsidien auf Bitte des Sozialministeriums die Koordination der Meldungen gerne übernommen. Nach allem, was wir aus den Landkreisen und bei den Verantwortlichen der Impfzentren hören, ist die Aktion hilfreich. Dass es aufgrund der großen Resonanz teilweise zu Verzögerungen bei der Rückmeldung an interessierte Helferinnen und Helfer kommt, dafür bitte ich um Verständnis. Eine Kontaktaufnahme erfolgt unmittelbar durch die Impfzentren vor Ort, falls dort ein entsprechender Unterstützungsbedarf besteht. Und da die Impfung der Bevölkerung ja noch einige Zeit andauern wird, ist eine spätere Kontaktaufnahme nicht ausgeschlossen. Ob eine Datenpanne im Alb-Donau-Kreis vorliegt, prüft zurzeit der Landesdatenschutzbeauftragte. Dass Interessierte aus dem Raum Ravensburg von der privaten Betreiberfirma des Impfzentrums im Alb-Donau-Kreis angeschrieben wurden, obwohl sie sich gar nicht für dort beworben hatten, ist sicher kein angemessenes Geschäftsgebaren. Das Unternehmen hat sich inzwischen bei den Betroffenen entschuldigt.