Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wenn Frau Starke am Gartenzaun steht
Ravensburger Schulsozialarbeiter gehen in der Corona-Pandemie ungewöhnliche Wege
RAVENSBURG - Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen beeinflussen die Tätigkeit der Schulsozialarbeit in Ravensburg sehr stark. Es sind neue Wege notwendig, um mit den Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu bleiben. Wie das läuft, erklären Bettina Mache, verantwortlich für die Schulsozialarbeit an den Ravensburger Gymnasien Spohn und AEG und ihre Kollegen von der Gemeinschaftsschule, Kathleen Starke und Stephan Launer.
Die Schulen sind seit Mitte Dezember wieder geschlossen. Das Lehrpersonal hat die Schülerinnen und Schüler seit Wochen nur noch über Medien gesehen oder gehört. Die Schulsozialarbeit lebt jedoch vom direkten persönlichen Kontakt. Gerade Kinder, die „auffallen“, tun sich schwerer als andere, brauchen intensivere Betreuung und die vertrauten Bezugspersonen, um erfolgreich lernen zu können.
Auch am Gymnasium. „Hier gibt’s nicht weniger Probleme als an anderen Schularten“, erläutert Bettina Mache. Sie betreut die Schülerinnen und Schüler des Albert-EinsteinGymnasiums und des Spohn-Gymnasiums. Mache spricht auch von „wohlstandsverwahrlosten Kindern“, die viel Druck spüren und nicht nur in der Schule, sondern auch im Sport oder Musik gute Leistungen bringen sollen. „Da braucht es schon jemand, der die Kinder von einer anderen als der leistungsorientierten Seite sieht“, sagt Starke.
Sie pflegt die bestehenden Kontakte vor allem telefonisch und unterstützt die Lehrerinnen und Lehrer, wenn wenn einer ihrer Schützlinge im Online-Unterricht besonders auffällt. Teilweise werden Schülerinnen und Schüler dann auch an die Schule geholt, wenn der Fernunterricht nicht funktioniert. Auch das komme an allen Schularten vor, bestätigt Stephan Launer.
Launer kümmert sich zusammen mit seiner Kollegin Kathleen Starke um die Schülerinnen und Schüler der Ravensburger Gemeinschaftsschulen.
Er hat in der vergangenen Woche viel Zeit damit verbracht, einen einzelnen Schüler zu unterstützen, der aufgrund mangelnder Ausstattung zu Hause nicht am Fernunterricht teilnehmen konnte. Bis ein Laptop gefunden und der Schüler von Launer persönlich in die Nutzung der Lernplattform eingewiesen war, vergingen einige Tage.
Auch Launer reagiert auf Informationen aus dem Lehrerkollegium. „Manche Jugendlichen muss man einfach mal wachrütteln, da hilft schon ein Anruf.“Es sei motivierend, wenn die Jugendlichen wüssten: da merkt jemand, wenn ich nicht da bin. Kathleen Starke wiederum ist viel unterwegs. Sie hält den Kontakt durch „Gartenzaunbesuche“, wie sie es nennt.
„Ich melde mich telefonisch und sage, sie sollen kurz rauskommen. Wir versuchen bei allen einmal die Woche vorbeizuschauen. Die Schüler finden es echt cool und auch ich genieße den persönlichen Kontakt, um auch fragen zu können: ,He, du warst nicht in Mathe, ist alles okay bei Dir?’“, erzählt Starke. Im direkten Gespräch, auch wenn es nur sehr kurz sei, könne sie schneller und besser einschätzen, wie es dem Jugendlichen gehe.
Schülerinnen und Schüler der Vorbereitungsklasse bringe sie den „Zungenbrecher der Woche“vorbei. „Diese Schülerinnen und Schüler fühlen sich sogar in den Ferien schon verloren, weil sie noch nicht in das soziale Gefüge integriert sind. Da sind sie in der aktuellen Situation sehr froh über persönliche Besuche“, erklärt Starke. Die VKL, also Vorbereitungsklassen, sind für Jugendliche ohne Deutschkenntnisse der Einstieg in die schulische Ausbildung und sollen auf die Integration in eine Regelklasse vorbereiten.
Luca ist einer von ihnen, seit September 2020 besucht er die Vorbereitungsklasse. „Luca ist sehr wissbegierig, er möchte immer zusätzliche Aufgaben. Ich bin sicher, wenn wir dranbleiben, dann kann er im Sommer in eine Regelklasse wechseln“, ist sich Starke sicher. Dann hat sich auch der Gartenzaunbesuch bei Schneetreiben gelohnt.
Eine weitere Aufgabe der Schulsozialarbeit ist die Gewalt- und Suchtprävention. Vergangenen Donnerstag wurde zum ersten Mal mit einer 8. Klasse per Videokonferenz in Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei über Gewalt gesprochen. „Digital ist es schwieriger, die Schülerinnen und Schüler zur Mitarbeit zu motivieren. Man kann nicht interagieren oder die Methodik wechseln, um Aufmerksamkeit zu erreichen“, berichtet Launer.
Beim Digitalunterricht sei es viel einfacher für die Schülerinnen und Schüler, einfach mal „rauszuwitschen oder abzuschalten und den Kopf auf den Tisch zu legen. Merkt ja niemand.“Er sei infolgedessen nicht sicher, was die Schülerinnen und Schüler am Ende für sich mitgenommen haben. „Immerhin gab es einige Wortmeldungen, ich denke also, es war schon ganz gut“, vermutet Launer.
Von den Schulleitungen und dem Lehrerkollegium fühlen sich die Schulsozialarbeiter sehr wertgeschätzt. „Die Lehrer sind dankbar für unsere Unterstützung. Wir lernen alle ständig dazu und versuchen, neue Dinge auszuprobieren“, findet Kathleen Starke. Einige Kolleginnen und Kollegen helfen, während die Schulen wegen Corona geschlossen sind, in der Notbetreuung für Schülerinnen und Schüler aus, die nicht zu Hause betreut werden können.
Luca verschwindet nach dem Besuch von Frau Starke mit seinen Aufgaben in der Unterkunft der Familie. Dort wartet seine kleine Schwester. Gemeinsam werden sie sich nun am „Zungenbrecher der Woche“versuchen und damit die Langeweile vertreiben. Bettina Mache, Kathleen Starke und Stephan Launer sind drei von insgesamt zwölf Schulsozialarbeitenden an den Ravensburger Schulen.