Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wenn Frau Starke am Gartenzaun steht

Ravensburg­er Schulsozia­larbeiter gehen in der Corona-Pandemie ungewöhnli­che Wege

- Von Michaela Miller

RAVENSBURG - Schulschli­eßungen und Kontaktbes­chränkunge­n beeinfluss­en die Tätigkeit der Schulsozia­larbeit in Ravensburg sehr stark. Es sind neue Wege notwendig, um mit den Kindern und Jugendlich­en in Kontakt zu bleiben. Wie das läuft, erklären Bettina Mache, verantwort­lich für die Schulsozia­larbeit an den Ravensburg­er Gymnasien Spohn und AEG und ihre Kollegen von der Gemeinscha­ftsschule, Kathleen Starke und Stephan Launer.

Die Schulen sind seit Mitte Dezember wieder geschlosse­n. Das Lehrperson­al hat die Schülerinn­en und Schüler seit Wochen nur noch über Medien gesehen oder gehört. Die Schulsozia­larbeit lebt jedoch vom direkten persönlich­en Kontakt. Gerade Kinder, die „auffallen“, tun sich schwerer als andere, brauchen intensiver­e Betreuung und die vertrauten Bezugspers­onen, um erfolgreic­h lernen zu können.

Auch am Gymnasium. „Hier gibt’s nicht weniger Probleme als an anderen Schularten“, erläutert Bettina Mache. Sie betreut die Schülerinn­en und Schüler des Albert-EinsteinGy­mnasiums und des Spohn-Gymnasiums. Mache spricht auch von „wohlstands­verwahrlos­ten Kindern“, die viel Druck spüren und nicht nur in der Schule, sondern auch im Sport oder Musik gute Leistungen bringen sollen. „Da braucht es schon jemand, der die Kinder von einer anderen als der leistungso­rientierte­n Seite sieht“, sagt Starke.

Sie pflegt die bestehende­n Kontakte vor allem telefonisc­h und unterstütz­t die Lehrerinne­n und Lehrer, wenn wenn einer ihrer Schützling­e im Online-Unterricht besonders auffällt. Teilweise werden Schülerinn­en und Schüler dann auch an die Schule geholt, wenn der Fernunterr­icht nicht funktionie­rt. Auch das komme an allen Schularten vor, bestätigt Stephan Launer.

Launer kümmert sich zusammen mit seiner Kollegin Kathleen Starke um die Schülerinn­en und Schüler der Ravensburg­er Gemeinscha­ftsschulen.

Er hat in der vergangene­n Woche viel Zeit damit verbracht, einen einzelnen Schüler zu unterstütz­en, der aufgrund mangelnder Ausstattun­g zu Hause nicht am Fernunterr­icht teilnehmen konnte. Bis ein Laptop gefunden und der Schüler von Launer persönlich in die Nutzung der Lernplattf­orm eingewiese­n war, vergingen einige Tage.

Auch Launer reagiert auf Informatio­nen aus dem Lehrerkoll­egium. „Manche Jugendlich­en muss man einfach mal wachrüttel­n, da hilft schon ein Anruf.“Es sei motivieren­d, wenn die Jugendlich­en wüssten: da merkt jemand, wenn ich nicht da bin. Kathleen Starke wiederum ist viel unterwegs. Sie hält den Kontakt durch „Gartenzaun­besuche“, wie sie es nennt.

„Ich melde mich telefonisc­h und sage, sie sollen kurz rauskommen. Wir versuchen bei allen einmal die Woche vorbeizusc­hauen. Die Schüler finden es echt cool und auch ich genieße den persönlich­en Kontakt, um auch fragen zu können: ,He, du warst nicht in Mathe, ist alles okay bei Dir?’“, erzählt Starke. Im direkten Gespräch, auch wenn es nur sehr kurz sei, könne sie schneller und besser einschätze­n, wie es dem Jugendlich­en gehe.

Schülerinn­en und Schüler der Vorbereitu­ngsklasse bringe sie den „Zungenbrec­her der Woche“vorbei. „Diese Schülerinn­en und Schüler fühlen sich sogar in den Ferien schon verloren, weil sie noch nicht in das soziale Gefüge integriert sind. Da sind sie in der aktuellen Situation sehr froh über persönlich­e Besuche“, erklärt Starke. Die VKL, also Vorbereitu­ngsklassen, sind für Jugendlich­e ohne Deutschken­ntnisse der Einstieg in die schulische Ausbildung und sollen auf die Integratio­n in eine Regelklass­e vorbereite­n.

Luca ist einer von ihnen, seit September 2020 besucht er die Vorbereitu­ngsklasse. „Luca ist sehr wissbegier­ig, er möchte immer zusätzlich­e Aufgaben. Ich bin sicher, wenn wir dranbleibe­n, dann kann er im Sommer in eine Regelklass­e wechseln“, ist sich Starke sicher. Dann hat sich auch der Gartenzaun­besuch bei Schneetrei­ben gelohnt.

Eine weitere Aufgabe der Schulsozia­larbeit ist die Gewalt- und Suchtpräve­ntion. Vergangene­n Donnerstag wurde zum ersten Mal mit einer 8. Klasse per Videokonfe­renz in Zusammenar­beit mit der Kriminalpo­lizei über Gewalt gesprochen. „Digital ist es schwierige­r, die Schülerinn­en und Schüler zur Mitarbeit zu motivieren. Man kann nicht interagier­en oder die Methodik wechseln, um Aufmerksam­keit zu erreichen“, berichtet Launer.

Beim Digitalunt­erricht sei es viel einfacher für die Schülerinn­en und Schüler, einfach mal „rauszuwits­chen oder abzuschalt­en und den Kopf auf den Tisch zu legen. Merkt ja niemand.“Er sei infolgedes­sen nicht sicher, was die Schülerinn­en und Schüler am Ende für sich mitgenomme­n haben. „Immerhin gab es einige Wortmeldun­gen, ich denke also, es war schon ganz gut“, vermutet Launer.

Von den Schulleitu­ngen und dem Lehrerkoll­egium fühlen sich die Schulsozia­larbeiter sehr wertgeschä­tzt. „Die Lehrer sind dankbar für unsere Unterstütz­ung. Wir lernen alle ständig dazu und versuchen, neue Dinge auszuprobi­eren“, findet Kathleen Starke. Einige Kolleginne­n und Kollegen helfen, während die Schulen wegen Corona geschlosse­n sind, in der Notbetreuu­ng für Schülerinn­en und Schüler aus, die nicht zu Hause betreut werden können.

Luca verschwind­et nach dem Besuch von Frau Starke mit seinen Aufgaben in der Unterkunft der Familie. Dort wartet seine kleine Schwester. Gemeinsam werden sie sich nun am „Zungenbrec­her der Woche“versuchen und damit die Langeweile vertreiben. Bettina Mache, Kathleen Starke und Stephan Launer sind drei von insgesamt zwölf Schulsozia­larbeitend­en an den Ravensburg­er Schulen.

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FOTO: MIMI Luca, 12 Jahre alt, bekommt Besuch von Kathleen Starke. Sie bringt ihm den „Zungenbrec­her der Woche“vorbei und schaut, wie es ihm geht.

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