Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Das ist kein Chaos, das ist Mangelverwaltung“
Was die Abgeordnete Petra Krebs zur Kritik am Impfstoffmangel, der Verteilung und anderen Corona-Themen sagt
KREIS RAVENSBURG - Die Impfstrategie steht bundesweit in der Kritik, besonders in Baden-Württemberg. „Das ist kein Chaos“, wehrt sich Petra Krebs (Grüne) gegen die Vorwürfe. „Das ist Mangelverwaltung.“Die Landtagsabgeordnete des Wahlkreises Wangen-Illertal, zu dem auch die Gemeinden Bergatreute, Wolfegg und Vogt gehören, und gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion in Stuttgart hält im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“dem entgegen: Das Land Baden-Württemberg impfe langsamer als andere Bundesländer, weil es allen einmal geschützten Menschen einen zeitnahen zweiten Impftermin garantieren will. Dieser langsamere Weg sei daher sinnvoller. Außerdem äußert sie sich unter anderem zur Impfskepsis in Pflegeheimen, Inzidenzwerten und der Arbeit von Sozialminister Manfred Lucha (Grüne).
Was sagt Petra Krebs genau zu den Vorwürfen?
Positiv hält sie zunächst fest: Nicht einmal ein Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie gebe es bereits einen Impfstoff. „Das ist eine Sensation“, sagt sie und bezeichnet diese Tatsache als „Licht am Ende des Tunnels“, solange kein wirksames Medikament gegen das Coronavirus auf dem Markt sei. Außerdem stellt sie einen Vergleich mit dem HIV-irus her: Rund 35 Jahre nach den ersten AidsAusbrüchen gebe es dagegen immer noch keinen Impfstoff.
Nicht nur deshalb werde den Verantwortlichen in der Politik zu Unrecht „Chaos angedichtet“. Man dürfe aber nicht nur auf die Tabellenplätze schauen, erklärt Petra Krebs zur Position Baden-Württembergs als schlechtest platziertem Bundesland bei der aktuellen Impfquote. „Man muss dabei auch auf die Tordifferenz und die eingesetzten Spieler schauen“, fährt sie im rhetorischen Fußballvergleich fort.
Wie steht Baden-Württemberg ihrer Meinung nach denn da?
Das bedeutet aus ihrer Sicht konkret: Andere Bundesländer seien bei den Erstimpfungen weit voraus, hätten im zweiten Durchgang „aber nichts vorzuweisen“. Das sei in BadenWürttemberg anders. Hier konzenbeziehungsweise triere man sich gemäß RKI-Empfehlung auf die Generation 80 plus – liege bei dieser Personengruppe an der Spitzenposition und auch bei den Zweitimpfungen auf den ersten drei Plätzen.
Dabei stützt sie sich auf RKI-Zahlen vom Donnerstag und einen Vergleich mit dem Nachbarland Bayern: In Baden-Württemberg wurden bis dahin 65 325 Über-80-Jährige erstgeimpft, 2019 Menschen hätten das Vakzin bereits zum zweiten Mal erhalten. In Bayern gab es 55 600 Erst-, aber keine einzige Zweitimpfung für diese Gruppe.
Die Strategie des Landes zeige sich auch in anderen RKI-Zahlen vom Donnerstag: Danach wurden in Baden-Württemberg 39 054 Personen wegen ihres Berufs erst- und 3531 Menschen zweitgeimpft. Wieder anders in Bayern, wo es in dieser Gruppe rund 118 000 Erst- und 1659 Zweitimpfungen gab.
„Man muss sich also wirklich alles anschauen“, sagt Petra Krebs und kritisiert das Vorgehen anderer Länder: „Manche Menschen bekommen dort wegen des Impfstoffmangels gar keine Zweitimpfung.“Oder aber viel zu spät. Dies aber sei wichtig, weil die zweite Runde einen bis zu 20 Mal größeren Schutz biete. Und: „Es wäre verheerend, wenn wir besonders gefährdeten Gruppen keine Zweitimpfung anbieten könnten.“
Warum aber gibt es so wenig Impfstoff?
Dass seit vergangener Woche im Ravensburger Kreisimpfzentrum nur 24 Menschen pro Tag geimpft werden können, „liegt nicht an uns“, verteidigt Petra Krebs die grün-schwarze Landesregierung. Der Bund teile den Stoff zu. Fehler seien vielmehr zuvor bei der Beschaffung gemacht worden, auch auf europäischer Ebene.
Was hält Petra Krebs von der stotternden Terminvergabe?
In Baden-Württemberg läuft diese ausschließlich übers Internet und eine zentrale Hotline. Das führte in den ersten Tagen seit Anmeldestart zu viel Unmut, weil es schwer war, an Termine zu kommen, die Software nicht mitspielte oder Anrufer aus der Region in der Warteschleife hingen, in Leipzig rauskamen. „Ich verstehe, dass der Ärger groß ist“, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin angesichts des sich aus dieser Praxis ergebenden „Windhundverfahrens“. Andere Prozedere, wie zum Beispiel die in Bayern eingeführten persönlichen Anschreiben, sieht sie aber auch kritisch. Man könne derzeit keine Termine weit im Voraus vergeben, denn: „Wir wissen doch noch gar nicht, wie viel Impfstoff wir im März haben.“
Gleichwohl bessere das Land nach: In der kommenden Woche sollen alle Baden-Württemberger ein Informationsschreiben im Postkasten haben. Darin werde das Impf- und Anmeldeverfahren noch einmal erläutert.
Was hält sie von Forderungen nach einem zweiten Kreisimpfzentrum? Das hatten die Rathauschefs aus dem Württembergischen Allgäu ins Spiel gebracht, zuerst Wangens OB Michael Lang, weil von hier aus die Wege nach Ravensburg für manchen zu lang seien. Dazu sagt Petra Krebs: Mehr als die Hälfte des im Landkreis verfügbaren Impfstoffs gingen an die zwei mobilen Impfteams, die sich um Heimbewohner und -beschäftigte kümmern. Diese seien ebenso flächendeckend unterwegs wie die fünf Teams des zentralen Impfzentrums in Ulm und erreichten somit auch das Allgäu. Deshalb und wegen der geringen Vakzin-Menge im Kreisimpfzentrum mache ein zweites „im Moment keinen Sinn“.
Was hält sie von einem mobilen Impfteam „light“?
Das will der Kreisverband Wangen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) anbieten. Damit soll alten Menschen, die nicht in Heimen leben und es zugleich nicht problemlos nach Ravensburg schaffen, das Impfen erleichtert werden. Und von dieser Idee hält Petra Krebs mehr als von einem zweiten Impfzentrum – vorausgesetzt, das Sozialministerium erteilt die Genehmigung. Schließlich werde so die Impfschwelle gesenkt. Allerdings warnt die Abgeordnete auch hier – aus zwei Gründen: Erstens mache das Angebot erst Sinn, wenn genug Impfstoff zur Verfügung steht. Zweitens sieht sie logistische Probleme, insbesondere beim derzeit im Land vor allem verabreichten Vakzin von Biontec/Pfizer. Da dieses auf minus 70 Grad heruntergekühlt sein muss, sei es schwierig, damit private Haushalte anzufahren.
Warum ist in den Pflegeheimen die Impfskepsis bei den Beschäftigten viel größer als bei den Bewohnern? Diese schätzt Petra Krebs nicht höher ein, als sie im Durchschnitt der Bevölkerung des Landes vorhanden ist. Und die stehe dem Impfen generell abgeneigter gegenüber als Menschen in anderen Bundesländern. Selbst bis zu ihrer Wahl in den Landtag 2016 in Wangen als Krankenpflegerin beschäftigt, hält sie entgegen: „Ich würde mich sofort impfen lassen, wenn ich an der Reihe wäre.“Impfungen hätten in der Vergangenheit schon viel Gutes bewirkt und zum Beispiel die Pocken ausgerottet. Die Zurückhaltung mancher angesichts des sehr schnellen Zulassungsverfahrens der Covid-19-Impfstoffe kann sie dennoch nachvollziehen: „Sonst dauert das Jahre.“Dass es in diesem Fall schneller gegangen sei, habe an der „Schubkraft“gelegen, weil die Pharmaindustrie das weltweite Problem erkannt habe und viele Verfahrensschritte parallel gelaufen seien. Bei anderen Krankheiten oder Viren dauere dies oft länger, weil die Unternehmen zögerlicher agierten und weniger Geld vorhanden sei. Verständnis hat Petra Krebs für ein anderes Argument von Skeptikern: die fehlenden Langzeitstudien. „Aber die kann es ja noch gar nicht geben.“
Seit Mitte Januar besteht die verbindliche Testpflicht in Pflegeheimen. Kam sie zu spät?
„Es gibt Einrichtungen, die schon länger Schnelltests für Besucher machen“, so Petra Krebs. Zugleich verweist sie darauf, dass es diese Testmethode erst seit dem Sommer gebe: „Man hätte das schon schneller machen können, aber so lange sind die Schnelltests noch gar nicht auf dem Markt.“
Und die haben für sie ohnehin nicht oberste Priorität: „Viel wichtiger ist der Gebrauch ordentlicher Masken.“Schutz sollte Vorrang vor Testungen haben. Denn Letztere „sind ganz sicher kein Freibrief“.
Stichwort „vernünftige Masken“. Wie können sie für jedermann leistbar sein?
Petra Krebs verweist hier zunächst auf die mittlerweile ausreichende Verfügbarkeit, auch der FFP2-Variante. Außerdem seien die Preise teilweise deutlich gesunken. „Aber es gibt genügend Leute mit kleiner Rente oder Obdachlose.“Für diese Menschen sei der Preis ein Problem. Auch deshalb hätten alle Menschen ab 60 Jahre ein gewisses Freikontingent erhalten. Jetzt müssten auch sehr Arme Zugang erhalten. „Da ist das Land in der Pflicht, aber da sind wir dabei, das zu organisieren.“
Ist angesichts von aktuellen Corona-Inzidenzwerten um oder über 100 im Landkreis Ravensburg die Marke von 50 ein realistisches Ziel?
Ja, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin. Denn das Ziel sei nicht bei 50 erreicht, sondern liege viel niedriger. Eine Sieben-Tage-Inzidenz von 50 Neuansteckungen pro 100 000 Einwohnern ermögliche den Gesundheitsämtern lediglich eine vernünftige Kontaktnachverfolgung.
Gerade im Zuge der Impfdebatte steht Sozialminister Manfred Lucha zunehmend in der Kritik. Was hält Petra Krebs von der Arbeit des Abgeordneten aus dem Nachbarwahlkreis?
„Manne Lucha macht einen hervorragenden Job, er kämpft für richtig gute Sachen.“Dass es von der Opposition Kritik hagelt, könne sie verstehen, dass derlei Stimmen auch vom Koalitionspartner CDU kämen, „ist weniger schön“. Grundsätzlich verfüge der Minister über ein „großes Wissen“und handele „vorausschauend“– wenngleich er bisweilen emotional sei. Unterm Strich kommt sie zum dem Schluss: „Er hätte mehr Lorbeeren verdient.“