Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wenn ein Küchenmesser zur Mordwaffe wird
Polizei kann gegen Missbrauch von handelsüblichen Messern nichts tun – Bei Kontrollen zählen die Umstände
RAVENSBURG - Am Ravensburger Bahnhof hat ein Mädchen vor drei Wochen mit einem normalen Küchenmesser mutmaßlich einen Mord begangen. Immer wieder werden Messer als gefährliche Tatwaffen benutzt. Was die Polizei dagegen tun kann, ist schnell gesagt: Nichts. Auch wenn sie bei Kontrollen ein Messer finden, kommt es immer auf die Umstände an.
Bei sechs von 23 Straftaten gegen das Leben – dazu zählen zum Beispiel Mord und Totschlag – wurden im Jahr 2020 Messer als Tatwaffen benutzt. Bei vier der genannten sechs Taten benutzten die Angreifer Haushaltsoder Küchenmesser. Die Zahlen beziehen sich auf den Bereich des Polizeipräsidiums Ravensburg, dazu zählen die Landkreise Ravensburg, Sigmaringen und Bodenseekreis.
Eine deutliche Tendenz, wonach Messer immer öfter als Tatwaffe eingesetzt werden, gibt es laut Polizei bisher aber nicht (siehe Grafik). Doch auch 2021 kam es neben dem mutmaßlichen Raubmord am Ravensburger Bahnhof schon zu zwei weiteren fatalen Taten mit einem Messer: In Weingarten soll ein 17-Jähriger einen 37-Jährigen in einem Studentenwohnheim erstochen haben. Er nutzte allerdings ein verbotenes Springmesser, mit dem er auf den Mann einstach. In Bavendorf erstach mutmaßlich ein 44-Jähriger seinen Mitbewohner nach einem Streit. Zur Art des verwendeten Messers machte die Staatsanwaltschaft wegen der laufenden Ermittlungen noch keine Angaben, weil es sich dabei nur um Täterwissen handeln könne. Was man dagegen tun kann, dass auch frei verkäufliche Küchenmesser als gefährliche Waffen missbraucht werden, antwortet Polizeisprecherin Daniela Baier kurz: „Nichts.“Bei Kontrollen gibt es kein Schwarz oder Weiß, denn unter gewissen Umständen darf man ein Messer dabei haben – etwa wenn man wandern, grillen oder picknicken geht. Dann ist es erlaubt, beispielsweise ein Taschenoder Schnitzmesser dabei zu haben. Zum erlaubten sogenannten „sozialadäquaten Gebrauch“gehöre zum
Beispiel auch ein traditioneller Hirschfänger bei einer Tracht, so die Polizei.
Wer ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von mehr als zwölf Zentimetern dabei habe, begeht laut Polizei eine Ordnungswidrigkeit. Ausnahmen gibt es aber auch hier: „Küchenmesser dürfen geführt werden, wenn ein berechtigtes Interesse besteht oder wenn sie in einem verschlossenen Behältnis transportiert werden und der Zugriff erschwert ist“, so Polizeisprecherin Baier. Ein berechtigtes Interesse könne die Berufsausübung, Brauchtumspflege oder ein Sport sein. „Es zählt immer der Zweck“, erklärt Baier.
Zur Verteidigung sind Messer allerdings verboten. Für die Polizei kann es jedoch schwierig sein, bei Kontrollen den Zweck herauszufinden, zu dem ein Messer mitgeführt wird. In jedem Einzelfall sei abzuwägen, ob die Aussagen der kontrollierten Person über die Gründe glaubwürdig sind. Laut Waffengesetz verboten – unabhängig von den Umständen – sind zum Beispiel Faltmesser (sogenannte Butterflymesser) und bestimmte Springmesser.
Wenn es zu gefährlichen Angriffen mit einem Messer kommt, endet das wie im Fall des mutmaßlichen Mordes am Ravensburger Bahnhof, schnell tödlich. Die 15-jährige Tatverdächtige hat nach Angaben der Staatsanwaltschaft Ravensburg der 62-jährigen Frau, auf deren Handtasche sie es abgesehen habe, lediglich einen Stich versetzt.
Wie häufig es vorkommt, dass Küchenmesser für eine geplante Tat extra mitgenommen werden, und wie häufig sie eher für Affekt-Taten genutzt werden – etwa wenn jemand beim Streit in einer Wohnung nach einem Messer greift –, kann weder Polizei noch Staatsanwaltschaft sagen. Oberstaatsanwalt Wolfgang Angster kennt aus eigener Berufserfahrung beide Konstellationen. Er hat Fälle bearbeitet, bei denen Täter sich bewusst mit einem Messer bewaffnet hatten, regelmäßig allerdings behaupteten, dass sie das nur gemacht hätten, um sich gegen mögliche Angriffe zu verteidigen. Andererseits gebe es eben auch Fälle, bei denen spontan nach einem gerade verfügbaren Messer gegriffen worden sei, so Angster. So viel könne er aus seiner Erfahrung berichten, verlässliches Datenmaterial zu der Frage liege ihm aber nicht vor.
Wie häufig ein Messer als Waffe in irgendwelchen Taschen versteckt bleibt, ist ebenso unbekannt. „Wenn das Messer nicht eingesetzt wird, können wir nur eine Dunkelziffer schätzen“, sagt Polizeisprecherin Baier.