Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Vielschichtig, amüsant und reflektiert
Premiere von „Alles was Sie wollen“im Theater Ravensburg
RAVENSBURG (dls) - Wie gerne würden sie für ein großes Publikum spielen. Man merkt es dem Theaterteam an, dass sie alle mit den Hufen scharren. Dabei ist das Theater Ravensburg e. V. aufs beste eingerichtet für die hoffentlich bald anbrechende Theatersaison. Vor der Premiere - der zweiten bereits vor kleinstem Publikum - wird ein Corona-Schnelltest von einer eingearbeiteten Fachkraft gemacht, es kann aber auch ein aktueller Test vorgelegt werden. Am Eingang Desinfektionsspender, die Cafétheke ist transparent verkleidet, in den Toiletten ist alles mit Sensoren ausgerüstet, der Zuschauerraum wird in der Pause effizient gelüftet. Sicherer als zuhause, könnte man sagen ...
Nur für das Haus und die Presse lief die Premiere des Stücks „Alles was Sie wollen“von dem Autorenduo Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière, das mit dem Publikumsmagneten „Der Vorname“2010 seinen ersten großen Erfolg hatte. Danach kamen 2014 „Un dîner d'adieu“und 2016 das Zweipersonenstück „Tout ce que vous voulez“, was man entweder siehe oben oder mit „Alles was ihr wollt“übersetzen könnte. Die französischen Autoren, beide 1971 geboren, erreichen mit ihren mit unsentimentalem Esprit behandelten Gesellschaftsthemen ein großes Publikum.
Eine über die Dauer von zwei Stunden spannend bleibende Inszenierung hat Marco Ricciardo auf die Bühne gestellt, nicht selbstverständlich bei einem Zweipersonenstück mit einem gleich bleibenden Bühnenbild (Werner Klaus). Die Musikauswahl spielt dabei eine große Rolle: neu gecoverte, alte französische Chansons, Sambarhythmen mit französischen Texten, dazwischen Pop oder ein Ausschnitt
aus Eric Saties meditativer Klaviermusik “nossiennes“, die Musik leitet die kurzen Szenen ein und zu den nächsten über.
Worum geht es bei dem „Alles“? Es ist eine Screwball-Comedy. Im ersten Bild kramt Lucie, noch im Bademantel, in einem dicken Skript, als ihr Nachbar Thomas bei ihr klingelt - seine Wohnung steht unter Wasser, sie hat den Hahn im Badezimmer nicht zugedreht. Lucie, mit einem Fernsehstar verheiratete Theaterautorin und Drehbuchschreiberin, ist abweisend, spitzzüngig, kratzbürstig und lässt sich kaum zu einer minimalen Höflichkeit erweichen. Thomas, freundlich, nett und humorvoll und als alleinerziehender Vater von zwei Söhnen, ist ein Kümmerer, der ihr gleich mal was Gescheites zu essen vorbeibringt. Bis dahin gibt es schon ein ganzes Bündel von Dialogfetzen, die man vergnüglich zitieren könnte. Unter anderem die Frage von Lucie: „Was essen wir morgen?“, nachdem sie das Ragout von Thomas widerstrebend genüsslich verspeist hat.
Es geht um die langsame Annäherung der verschiedenen Charaktere mit unterschiedlichsten Biographien. Wie raffiniert jedoch die Ebenen von Realität und Fiktion, von Wollen und Wünschen, von Gesprochenem und Ungesagten sich überschneiden und überlagern - meist arbeitet Marco Ricciardo dann nur mit sinngebendem Licht -, das wird im zweiten Teil immer subtiler und ist auch oft nicht leicht zu entschlüsseln. Der letzte Teil der Aufführung ist ein Clou: Videoausschnitte aus dem „neuen“Stück von Lucie mit „unhappy ending“werden auf den Gazevorhang projiziert, da spielen Jutta Klawuhn und Alex Niess die Hauptrollen, und der Abschluss gehört wieder Lucie und Thomas.