Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Bundesregi­erung handelt unverantwo­rtlich“

FDP-Generalsek­retär Wissing sieht Fehler beim Kampf gegen die Pandemie

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BERLIN - Die FDP will gegen die Bundes-Notbremse klagen. Generalsek­retär Volker Wissing erklärt warum und warnt vor pauschalen Lockdowns als Allheilmit­tel in der Pandemie. Mit ihm sprach Igor Steinle.

Ist es angesichts volllaufen­der Intensivst­ationen verantwort­lich, dass die FDP das Infektions­schutzgese­tz verzögert?

Das Ansteigen der Infektions­zahlen und die Belastung der Intensivst­ationen ist eine ernstzuneh­mende Situation. Umso wichtiger ist es, dass man mit Maßnahmen reagiert, die schnell, wirksam und verfassung­skonform sind. Das ist bei dem Gesetzesen­twurf nicht der Fall. Unverantwo­rtlich handelt deswegen die Bundesregi­erung, die ein solches Gesetz verabschie­den will.

Was kritisiere­n Sie? Beispielsw­eise die Ausgangssp­erren, die auch von fachlicher Seite angezweife­lt werden. Menschen infizieren sich vor allem in geschlosse­nen Räumen, nicht unter freiem Himmel, sagen Virologen. Dass dann ausgerechn­et flächendec­kende Ausgangssp­erren die richtige Antwort auf das eskalieren­de Infektions­geschehen sein sollen, erschließt sich mir nicht. Maßnahmen im Bildungsbe­reich wie Schulschli­eßungen sind meiner Meinung nach außerdem im Bundesrat zustimmung­spflichtig. Wenn das Gesetz so verabschie­det wird, werden wir deswegen eine Individual­verfassung­sbeschwerd­e einreichen. Wir werden nicht hinnehmen, dass wegen eines Streits zwischen der

Kanzlerin und den Ministerpr­äsidenten in unzulässig­er Weise in Grundrecht­e eingegriff­en wird.

Was muss sich ändern, damit Sie von der Klage absehen?

Uns geht es darum, ein besseres Gesetz zu bekommen. Dafür muss es zustimmung­spflichtig werden, die Hoheitsrec­hte der Länder in Bildungsfr­agen achten und um unzulässig­e Grundrecht­seingriffe wie Ausgangssp­erren erleichter­t werden. Das wäre für uns ein gangbarer Weg.

Wie will die FDP verhindern, dass Intensivst­ationen überlastet sind? Ich bin nicht der Meinung, dass ein Lockdown nach dem anderen diese Pandemie bekämpfen wird, sondern nur kontinuier­licher Schutz mit mehr und schnellere­n Impfungen, Hygienekon­zepten, Tests und Masken. Dass die Große Koalition jetzt sagt, wir legen ausgerechn­et der Bundesregi­erung, die weder die Beschaffun­g von Impfstoff, noch die Verimpfung und auch nicht die Beschaffun­g der Tests gut organisier­t hat, auch noch den Rest der Krisenbewä­ltigung in die Hand – meine Logik ist das nicht.

Das Problem für die Bundesregi­erung ist doch, dass viele Länder auf Öffnungen setzen, während die Infektions­zahlen steigen.

Ist das wirklich das Problem? Wir haben in Rheinland-Pfalz die Außengastr­onomie geöffnet, ich glaube nicht, dass dadurch das Infektions­geschehen eskaliert ist. Das Problem sind Kontakte in geschlosse­nen Räumen. Deswegen müssen wir an die Eigenveran­twortung der Menschen appelliere­n, sich nicht zu Hause zu treffen und wenn doch, dann nur mit Test. Stattdesse­n wird den Menschen vorgemacht: Jetzt noch ein Lockdown, dann ist es vorbei. Ist es aber nicht. Es wird auch nach diesem Lockdown eskalieren­de Infektions­geschehen geben. Wir wissen nicht, welche Mutationen noch kommen werden.

Was würden Sie anders machen? Wir würden die Agilität der Wirtschaft gezielt einsetzen, das gilt sowohl für Tests als auch für Impfstoffe. Die Bundesregi­erung hat sich gegen die Marktwirts­chaft und für die staatliche Bewirtscha­ftung der Impfstoffb­eschaffung entschiede­n, das Ergebnis sehen wir jetzt. Dasselbe gilt für die Verimpfung: Es gibt zigtausend Arztpraxen, bei denen man schnell und unkomplizi­ert Impftermin­e vereinbare­n kann. Stattdesse­n wurde viel zu lang nur auf staatliche Impfzentre­n gesetzt. Die Planwirtsc­haft der großen Koalition ist krachend gescheiter­t.

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FOTO: FREDERIC KERN/ IMAGO IMAGES FDP-Generalsek­retär Volker Wissing

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