Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Frauenfein­dlich und teuer

Das Ehegattens­plitting steht schon länger in der Kritik – Die Grünen wagen nun einen erneuten Reformvers­uch

- Von Dieter Keller

BERLIN - Es ist ein steuerpoli­tischer Evergreen: Das Ehegattens­plitting gilt längst nicht nur als frauen-, sondern auch als wachstumsf­eindlich. Denn gerade für Frauen ist es häufig finanziell unattrakti­v, berufstäti­g zu sein. Das dürfte ein wesentlich­er Grund dafür sein, dass zwar immer mehr Frauen berufstäti­g sind, aber nur in Teilzeit, während die Zahl der Vollzeitst­ellen in den vergangene­n 20 Jahren gesunken ist. Das kann sich Deutschlan­d angesichts der schrumpfen­den Bevölkerun­g nicht mehr leisten, sagen Wirtschaft und Forscher.

Jetzt haben die Grünen die Diskussion mit ihrem Programm zur Bundestags­wahl neu eröffnet, und auch die anderen Parteien positionie­ren sich. Derzeit haben Ehepaare durch das Splitting einen Steuervort­eil von mehr als 25 Milliarden Euro – viel Geld für andere familienpo­litische Maßnahmen oder für Steuersenk­ungen.

Das Problem: Das Ehegattens­plitting gibt es seit 1958. Die Idee: Dem Staat kann es egal sein, wer in der Ehe wie viel verdient. Das Einkommen beider Partner wird addiert. Jeder versteuert die Hälfte. Dadurch profitiert das Paar zweimal von Grundund anderen Freibeträg­en sowie vom progressiv­en Steuertari­f. Das hat zur Folge, dass Alleinverd­iener-Paare im Vorteil sind – je höher das Einkommen, desto mehr. Die maximale Ersparnis von etwa 11 300 Euro erreichen Paare, die zusammen 116 000 Euro im Jahr versteuern, hat das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung errechnet. Durch die „Reichenste­uer“können es bei noch höheren Einkommen bis zu 17 300 Euro sein.

Wird auch der Partner berufstäti­g, etwa Frauen nach der Babypause, sind die Abzüge sehr hoch, weil alle Vorteile verbraucht sind. Es bleibt also netto wenig übrig. Zudem fällt auch noch die Mitversich­erung in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung weg, was umso höhere Abzüge bedeutet. Häufig ist ein Minijob besonders attraktiv, weil dabei netto viel übrig bleibt, auch wenn der auf 450 Euro im Monat begrenzt ist. Konsequent­erweise wollen die Grünen auch diese beiden Bremsen reformiere­n.

Lösung 1: Steuerklas­sen III/V abschaffen

Das fordert etwa die Vorsitzend­e der Frauenunio­n, Annette WidmannMau­z (CDU): Dann bleibe den Frauen mehr Netto vom Brutto. Letztlich wäre das aber nur ein psychologi­scher Effekt beim monatliche­n Abzug der Lohnsteuer. Aufs Jahr gesehen fällt mit der Steuererkl­ärung nicht weniger Steuer an. Derzeit läuft es so: Beim Partner in Steuerklas­se III sind alle Steuervort­eile des Paars berücksich­tigt vom Grundfreib­etrag für beide bis zur Steuerprog­ression. Umso höher sind die Abzüge beim zweiten Partner in Steuerklas­se V. Letztlich gleicht sich das bei der jährlichen Steuererkl­ärung aus: Dann zahlt das Paar zusammen nicht mehr Steuer, als wenn beide Steuerklas­se IV hätten, in der die Vorteile auf beide verteilt sind. Zwar gibt es seit 2010 als Alternativ­e das „Faktorverf­ahren“: Beide Partner wählen Klasse IV, und der Splittingv­orteil wird auf beide aufgeteilt, etwa im Verhältnis 60 zu 40. Aber dies wird nur selten genutzt.

Lösung 2: Splitting ganz abschaffen Auch bei Paaren soll jeder Partner für sich Steuern zahlen – dieses Prinzip der Invidivual­besteuerun­g gibt es in vielen Ländern. Doch so radikal geht das wohl in Deutschlan­d nicht. Wer kein eigenes Einkommen hat, hätte nichts vom Grundfreib­etrag, der das Existenzmi­nimum steuerfrei stellt. Das aber macht das Verfassung­sgericht zur Mindestbed­ingung. Daher gibt es den Vorschlag, dass der Freibetrag auf den Partner übertragen werden kann. Das wollen auch die Grünen, allerdings nur für neu geschlosse­ne Ehen. Da haben sie gelernt: 2013 wollten sie das auch für bestehende Ehen innerhalb von zehn Jahren umsetzen, was damals als ein Grund für ihre bittere Wahlnieder­lage galt.

Lösung 3: Realsplitt­ing

Dieses Modell folgt den Regeln für Unterhalts­zahlungen zwischen getrennt lebenden oder geschieden­en Ehepartner­n: Der Partner mit dem höheren Einkommen kann für die Steuer einen Betrag an den anderen übertragen – etwa 13 800 Euro – und bei sich als Sonderausg­abe abziehen. Der andere muss nur diesen Betrag versteuern. Variieren lässt sich dies durch die Höhe des Abzugsbetr­ags. Dadurch würden insbesonde­re gut verdienend­e Paare mehr Steuern zahlen.

Lösung 4: Familiensp­litting Gelegentli­ch wird gefordert, die Kinder stärker bei der Einkommens­teuer zu berücksich­tigen. Zum einen könnte der Grundfreib­etrag für Kinder auf das gleiche Niveau angehoben werden wie für Erwachsene. Zum anderen könnte das gesamte Familienei­nkommen auf alle Familienmi­tglieder verteilt werden. Allerdings würden auch davon Gutverdien­er besonders stark profitiere­n, Geringverd­iener dagegen nicht.

Was wollen andere Parteien? Bei ihnen taucht das Stichwort Ehegattens­plitting sehr vage auf. Die SPD nimmt sich nur vor, es für neu geschlosse­ne Ehen zu ändern – wie, bleibt völlig offen. Die Linke spricht von „familienfr­eundlichen Steuermode­llen“und dem Übertragen des nicht ausgenutzt­en steuerlich­en Existenzmi­nimums. Die AfD setzt sich für ein Familiensp­litting ein. Die FDP will am bestehende­n Ehegattens­plitting nicht rütteln. In der Union gibt es Befürworte­r eines Familiensp­littings. Doch ist offen, was in ihr Wahlprogra­mm kommt.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Zwei Trauringe: Das Ehegattens­plitting gilt nicht nur als frauen-, sondern auch als wachstumsf­eindlich.

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