Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Notbremse bietet Angriffsfläche
Ende Juli lag die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz laut Robert-Koch-Institut bei 4,8. Inzwischen können sich Landkreise und kreisfreie Städte freuen, wenn sie auf unter 100 kommen, doch das schaffen nur 41 von 360 im Land. Diese Zahlen zeigen: Es wurde viel Zeit vergeudet in der Pandemiebekämpfung. Deshalb ist die Kritik der Grünen, dass die Corona-Notbremse zu spät kommt, durchaus berechtigt. Doch das Lamentieren einiger Länder über die Bevormundung durch den Bund wirkt lächerlich nach all den Monaten missglückter Ministerpräsidentenkonferenzen. Die Länderchefs, die sich brav an die Absprachen gehalten haben, sollten sich besser diejenigen vorknöpfen, die ein ums andere Mal, zwecks Eigenmarketing, ausgeschert sind.
Die Debatte über den Bevölkerungsschutz ist am Mittwoch endlich wieder dort geführt worden, wo sie hingehört: im Parlament. Es war gut, dass Volksvertreter darüber beraten haben, wie der Kampf gegen das Coronavirus weitergehen soll. Doch die Regelungen, die beschlossen wurden, sind eine Angriffsfläche für all diejenigen, die den Staat bereits jetzt als übergriffig empfinden. Das Beharren auf Ausgangsbeschränkungen lässt sich weder aus Bürgersicht nachvollziehen noch bringt es laut Studien so viel, dass der Eingriff in die Grundrechte angemessen erscheint. Die FDP hat den Gang nach Karlsruhe angekündigt, das ist keine Überraschung. Auch die Regelung zu den Schulen, die ab einer mysteriösen Inzidenz von 165 schließen müssen, kritisiert die Opposition zu Recht. Anstatt Schulschließungen verbindlich zu machen, sollten lieber Luftreiniger neben einer rigorosen Teststrategie vorgeschrieben werden.
Die Vertreter der Koalition haben mit viel Emotion dafür geworben, dass es ihnen um das Leben und die Gesundheit der Menschen geht. Hätten sie dabei noch mehr die Betriebe in die Pflicht genommen, wären die Vorgaben besser und ausgewogener. Denn dass Kinder seit Monaten zu Hause sitzen, während die sogenannte Testpflicht in Unternehmen nur ein Angebot an die Mitarbeiter ist, versteht kein Mensch.