Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Tübinger Modell gerät ins Wanken

Nach anfänglich­en Erfolgen gibt es Rückschläg­e bei den Corona-Sonderwege­n

- Von Tatjana Bojic und Joachim Mangler

TÜBINGEN/ROSTOCK (dpa) - Tübingen und Rostock haben in den vergangene­n Monaten wegen ihrer niedrigen Corona-Zahlen viele Schlagzeil­en geliefert. In Talkshows gaben sich die Oberbürger­meister Boris Palmer (Grüne) und Claus Ruhe Madsen (parteilos) fast die Klinke in die Hand. Stolz berichtete­n sie von Lockerunge­n der Corona-Beschränku­ngen. Doch inzwischen ist die dritte Corona-Welle auch bei ihnen angekommen. In beiden Städten stiegen die Sieben-Tage-Inzidenzen zwischenze­itlich auf über 100.

Tübingen sorgt seit Mitte März mit seinem inzwischen zweimal verlängert­en Corona-Modellproj­ekt für viel Aufsehen. Dort können sich Menschen kostenlos testen lassen, bei negativen Ergebnisse­n gibt es Tagesticke­ts, mit denen sie in Läden, zum Friseur, aber auch in Theater und Museen gehen können. Wegen großen Andrangs von außerhalb wurden die Tests auf Menschen aus dem Kreis Tübingen beschränkt.

Bedingung für eine Fortsetzun­g des Tübinger Projekts war, dass die Sieben-Tage-Inzidenz vor Ort stabil bleibt - und nicht an drei aufeinande­rfolgenden Tagen die 100er-Inzidenz überschrei­tet, also nicht mehr als 100 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche registrier­t werden. „Spätestens aber wenn das neue Infektions­schutzgese­tz des Bundes offiziell in Kraft ist, werden wir das Projekt wohl unterbrech­en müssen“, sagte ein Sprecher des Sozialmini­steriums in Stuttgart.

Aber auch wenn das Projekt infolge des Bundesgese­tzes abgebroche­n werden müsste, ist es laut Palmer „ein voller Erfolg“. Man habe „wertvolle Erfahrunge­n zur Bewältigun­g der Pandemie durch engmaschig­es Testen sammeln können“, erklärte der Oberbürger­meister. Seit dem 18. März lag die Inzidenz in Tübingen laut dem Sozialmini­sterium an nur zwei Tagen über 100. Zuletzt (19. April) lag der Wert bei 91,8.

In der Hansestadt Rostock war die Entwicklun­g deutlich schlechter: Noch am 21. März hatte die SiebenTage-Inzidenz bei 22 gelegen, am 15. April dann schon bei knapp 133. Nun liegt sie wieder unter 100. Für Emil Reisinger, Infektiolo­ge der Uniklinik Rostock, sind hauptsächl­ich die privaten Kontakte für den starken Zuwachs

verantwort­lich. „Die Menschen haben sich nach der langen Zeit mit wenigen Infektione­n zu sehr in Sicherheit gewiegt.“

OB Madsen, der ein Spiel von Hansa Rostock vor 777 Zuschauern und Einkaufen unter Einbeziehu­ng der Luca-App ermöglicht­e, will einen kompletten Lockdown verhindern. Seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 sei viel gelernt worden. „In der Kontaktnac­hverfolgun­g und bei Ansteckung­squellen haben wir deutlich mehr Kenntnis erlangt.“Ein Lockdown 2021 müsse dieses Wissen einbeziehe­n.

Madsen bezieht die Erkenntnis­se Reisingers mit ein und sagt: „Wir müssen den Menschen ein Angebot für den Aufenthalt außerhalb der eigenen vier Wände machen. Sport und Freizeitak­tivitäten an der frischen Luft, Individual­sport, allein, zu zweit oder im eigenen Haushalt. Parks, Außenberei­che von Zoos und Spielplätz­e sind hier wichtige Orte, die mit klaren Hygienekon­zepten funktionie­ren.“

Klar ist, dass man auch in Rostock an den landesweit­en Kita- und Schulschli­eßungen nicht vorbeigeko­mmen ist. Sie sollen aber nur so lange gelten, wie sie unbedingt nötig sind.

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FOTO: TOM WELLER/DPA Mit einem negativen Corona-Schnelltes­t bekommen die Menschen in Tübingen ein Tagesticke­t für Friseurläd­en, Geschäfte und Museen.

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