Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Selbstbest­immung oder Schutzauft­rag

Eine Mehrheitsm­einung zur Suizidassi­stenz ist im Bundestag nach bewusst offener Debatte noch nicht absehbar

- Von Corinna Buschow

BERLIN (epd) - Die Politik beschäftig­t eine grundsätzl­iche Frage. Es geht um eine Form der Sterbehilf­e, die Hilfe beim Suizid. Ein Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts hat den Gesetzgebe­r zum neuen Nachdenken gezwungen darüber, ob er im Sinne der Selbstbest­immung für den Zugang zu tödlich wirkenden Mitteln sorgen muss, im Sinne der Menschenwü­rde eher davor schützen muss – oder wie er beides in Einklang bringt. Am Mittwoch diskutiert­e das Parlament zwei Stunden in einer sogenannte­n Orientieru­ngsdebatte darüber – offen, ernst, teils emotional und an keiner Parteilini­e entlang.

Drei Vorschläge liegen dem Parlament bislang vor, nur einer ist formell als Entwurf in den Bundestag eingebrach­t. Hinter den Vorschläge­n verbergen sich zwei Richtungen: Zwei Gruppen werben für eine Liberalisi­erung der derzeitige­n Regelungen, indem sie Ärzten ausdrückli­ch erlauben wollen, tödlich wirkende Mittel auch zum Zweck der Selbsttötu­ng zu verschreib­en. Eine andere will mit einem Gesetz eher dafür sorgen, dass Suizide verhindert werden.

„Wir sollten uns als Gesetzgebe­r an die Seite der Menschen stellen, die selbstbest­immt sterben wollen“, sagte die FDP-Gesundheit­spolitiker­in Katrin Helling-Plahr, die gemeinsam mit anderen, darunter Karl Lauterbach (SPD), einen entspreche­nden Entwurf eingebrach­t hat. Einen ähnlichen Vorschlag haben Renate Künast und Katja Keul (Grüne) vorgelegt. Für diese Richtung sprach sich im Parlament neben anderen auch der Opferbeauf­tragte der Bundesregi­erung, Edgar Franke (SPD), aus.

Eine andere Gruppe, von deren Vorschlag bislang nur Eckpunkte vorliegen, will im Gegensatz dazu bei der Strafbarke­it der geschäftsm­äßigen, also organisier­ten Hilfe beim

Suizid bleiben und diese nur unter Bedingunge­n erlauben. „Hier muss der Gesetzgebe­r seinem Schutzauft­rag nachkommen“, sagte der CDUAbgeord­nete Ansgar Heveling. Die Gruppe befürchtet, dass mit einer Liberalisi­erung der Sterbehilf­e eine Normalisie­rung eintritt, die Menschen zumindest subtil unter Druck setzt, die Möglichkei­t auch anzunehmen. „Niemand in diesem Land soll sich überflüssi­g fühlen“, sagte Lars Castellucc­i (SPD), der die Eckpunkte mit ausgearbei­tet hat. Diese Gruppe hat Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens

Spahn (CDU) auf ihrer Seite. Auch er fürchtet diesen Druck. „Eine solche Entwicklun­g wäre für unsere Gesellscha­ft fatal“, sagte er und sprach sich für eine Regelung aus, die Suizidassi­stenz nur erlaubt, wenn Ärzte vorher aufklären, gemeinnütz­ige Beratungso­rganisatio­nen mit eingebunde­n sind und Wartefrist­en eingehalte­n werden. Zudem soll die Werbung für Suizidassi­stenz verboten werden. So sehen es auch die Eckpunkte der Gruppe vor.

38 Abgeordnet­e kamen am Mittwoch mit jeweils dreiminüti­gen Reden zu Wort. Dabei äußerten sich mehr Abgeordnet­e für eine Regelung im Sinne der Gruppe um Heveling und Castellucc­i, ein repräsenta­tives Meinungsbi­ld ist das aber nicht. Die Debatte wurde bewusst offen gestaltet, formelle Vorlagen gab es nicht. In jeder Fraktion gab es Befürworte­r der einen oder anderen Richtung.

Im Bundestag gibt es außerdem noch Unentschie­dene. Claudia Moll (SPD) sagte in ihrer Rede, sie sei noch auf der Suche nach der richtigen Lösung. Als frühere Altenpfleg­erin habe sie Schmerz, Angst und Verzweiflu­ng Sterbender hautnah miterlebt. Deshalb denke sie, man müsse am Lebensende „nicht alles über sich ergehen lassen“. Zugleich wolle sie keine Regelung, die Suizidhilf­e „zu einer neuen Normalität des Sterbens macht“.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Ein Bronzeenge­l an einem Kreuz auf einem Friedhof. In einer Orientieru­ngsdebatte beriet der Bundestag über die Hilfe beim Suizid.

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