Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Keiner will’s gewesen sein
Bei der Frage nach der Verantwortung für den Wirecard-Skandal reden sich sowohl Behörden als auch Politiker raus
BERLIN - Der Wirecard-Skandal war nicht einfach nur der größte Wirtschaftsbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Vorgänge um das bayerische Finanztechnik-Unternehmen haben die Schwächen der Aufsichtsmechanismen in Deutschland gnadenlos offengelegt.
Dafür muss sich nun auch die politische Führung des Landes verantworten. In dieser Woche wurde unter anderem bereits Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Finanzstaatssekretär Jörg Kukies im Wirecard-Untersuchungsausschuss befragt. Am Donnerstag muss Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vor dem Ausschuss aussagen. Einen Tag später folgt dann Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Schon jetzt ist die Verteidigung von Scholz und Merkel abzusehen: An der Spitze ihrer Organisation haben sie sich nicht mit Einzelfällen befasst und waren auf die Zuarbeit ihrer Mitarbeiter angewiesen. Diese wiederum haben in den bisherigen Befragungen in den vergangenen Monaten die Zuständigkeit immer woanders gesehen.
Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat sich im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum milliardenschweren WirecardFinanzskandal gegen Vorwürfe verteidigt. Die Wirtschaftsprüferaufsicht Apas, für die der CDU-Politiker die Rechtsaufsicht hat, habe nicht zu spät gehandelt.
Am Mittwoch wies Finanzstaatssekretär Jörg Kukies Vorwürfe zurück, das Finanzministerium habe den Skandalkonzern Wirecard als aufstrebendes Tech-Unternehmen mit Samthandschuhen angefasst. „Es gab zu keinem Zeitpunkt eine besondere Privilegierung der Wirecard AG“, sagte Kukies Ist also am Ende keiner schuld?
Die neun Abgeordneten im Wirecard-Ausschuss glauben im Gegenteil, dass es sehr viele Teilschuldige gibt. Sie haben die Rolle der Wirtschaftsprüfer, des Aufsichtsrats, der Finanzaufsicht Bafin, der Banken, des Zolls, der Staatsanwaltschaft München, der Geldwäschebekämpfung, der Geheimdienste, des Finanzministeriums und anderer Akteure genau angesehen – und fast überall Schmutz und Versäumnisse gefunden. „Wir haben in diesen sechs Monaten so intensiv gearbeitet wie kein anderer Ausschuss vor uns“, sagte Florian Toncar, der Vertreter der FDP-Fraktion in der Runde.
„Es sind zum Teil absurde Details ans Tageslicht gekommen.“Der Ausschuss hat regelmäßig bis in die Morgenstunden zusammengesessen und Zeugen befragt.
Bei den Vernehmungen sind enorme Schwächen in den Institutionen ans Licht gekommen. Das gilt insbesondere für die Finanzaufsicht Bafin, dessen Chef Felix Hufeld dafür auch seinen Posten verloren hat.
Erschreckend viele der Staatsbediensteten haben mit Aktien des Unternehmens gehandelt, während der Skandal lief. Dazu gehören mehrere Mitarbeiter der Bafin oder eben auch der Chef der Wirtschaftsprüferaufsicht Apas, Ralf Bose, der ebenfalls inzwischen entlassen wurde. Doch hinterher wollen sich nun alle herausreden und zeigen mit dem Finger auf die jeweils anderen.