Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wann kommt der Impfstoff aus Illertisse­n?

Bei R-Pharm soll Corona-Impfstoff produziert werden – Doch bislang fehlen wichtige Genehmigun­gen – Warum?

- Von Michael Kroha

ILLERTISSE­N - Etwas Vergleichb­ares wie das aktuelle Projekt haben sie in Illertisse­n seit Jahrzehnte­n nicht erlebt: Noch in diesem Jahr soll beim Pharmakonz­ern R-Pharm CoronaImpf­stoff hergestell­t werden. Doch nach einem Baustopp fehlen weiterhin wichtige Genehmigun­gen. Vor Ort hielt man sich bislang bedeckt, es wurde immer an den Mutterkonz­ern in Moskau verwiesen. Jetzt aber äußert sich ein Mitglied der Standortle­itung zur Zusammenar­beit mit den Behörden, zu eigenen „kleinen Fehlern“und dem Zeitplan.

Dass bei R-Pharm in Illertisse­n womöglich irgendwann Impfstoff produziert werden könnte, wurde erstmals im Rahmen einer Mitarbeite­rversammlu­ng bekannt. Seither war von den Verantwort­lichen vor Ort nichts Offizielle­s mehr zu hören. Die Unternehme­nssprecher­in, die als Apothekeri­n für die Biotechnol­ogie bei R-Pharm verantwort­lich ist, bittet hierfür um Verständni­s. Beim Thema Impfstoff bestehe eine „extreme Dynamik“. Deshalb sei man zurückhalt­end mit Aussagen in der Öffentlich­keit gewesen. Zumal aus Moskau die Bitte kam, Anfragen zur Causa Impfstoff weiterzule­iten.

Die aktuelle Berichters­tattung habe sie aber natürlich verfolgt. Die erhöhte Aufmerksam­keit habe viel Bewegung in die Sache gebracht. Hatte es kurz vor Ostern noch einen Baustopp wegen fehlender Unterlagen gegeben, darf nun in Teilen weitergear­beitet werden. Zudem wurde eine Teilgenehm­igung für die Impfstoffp­roduktion im kleineren Umfang, dem sogenannte­n „Technikums­maßstab“, erteilt.

Ein immissions­schutzrech­tliches Verfahren aber, das bis zu sieben Monate dauern kann, fehlt immer noch. Hier könnte wohl in den kommenden Tagen ein Antrag gestellt werden. R-Pharm ist offenbar derzeit dabei, entspreche­nde Unterlagen zusammen mit einer beauftragt­en Planungsfi­rma zu sammeln und einzureich­en.

Doch warum läuft es erst jetzt? Und warum musste es überhaupt zu einem Baustopp kommen? Ging so nicht wertvolle Zeit im Kampf gegen die Pandemie verloren? RPharm sei ein rechtskonf­ormes Arbeiten sehr wichtig, betont die Sprecherin. Deshalb habe das Unternehme­n vorab einen sogenannte­n Compliance-Check gemacht, um zu klären, welche Vorgaben eingehalte­n werden müssen. Bei dieser Prüfung sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Verfahren nach dem Bundesimmi­ssionsschu­tzgesetz (BImSchG) nicht notwendig sei und die Vorgänge für die Impfstoffh­erstellung nicht wirklich von dem abweichen würden, was ohnehin schon in den bestehende­n Gebäuden gemacht wird. Auch hier seien bereits hochwirksa­me Stoffe im Einsatz, die Geräte aber auf entspreche­ndem technische­m Standard und alles so abgeriegel­t, dass kein Virus entweichen kann.

Der Eindruck, man habe ungeachtet jeglicher Vorgaben die Produktion hochziehen wollen, sei so nicht richtig. Es gebe lediglich einen wesentlich­en Unterschie­d zwischen den aktuellen Abläufen und dem einer Impfstoffp­roduktion: „Wir mischen die Stoffe nicht, sondern wir züchten neu“, erklärt die Sprecherin. Und das, sagt sie, ist das „Zünglein an der Waage“, warum ein aufwendige­rer Genehmigun­gsprozess notwendig ist. Aus ihrer Sicht ist das „Auslegungs­sache“. Das Mitglied der Standortle­itung gesteht aber ein: „Das kann man uns auch als Fehler ankreiden.“

Die Apothekeri­n sieht das Problem zum Teil aber auch im „deutschen System“, das gelähmt sei in Krisensitu­ationen. „Wir haben hochtelefo­niert bis zu Jens Spahn“, erzählt sie. „Wir haben unsere Probleme dargelegt und gesagt: Helft doch den Produziere­nden. Wir brauchen pragmatisc­he Lösungen bei den Genehmigun­gen. So kommt kein Impfstoff aus Deutschlan­d.“Sie spricht von „Bürokratie­wahnsinn“, der nicht mehr zeitgemäß sei. Zum Beispiel müssten Anträge per Post eingereich­t werden. EMails würden nicht ausreichen. Um erfolgreic­h zu sein, müsse man

„schneller und pragmatisc­her“arbeiten.

Mittlerwei­le aber würde es laufen. Geholfen hätte auch der Besuch des bayerische­n Gesundheit­sministers Klaus Holetschek (CSU). Auch die kürzlich einberufen­e „Taskforce“sei ein Schritt in die richtige Richtung. Neu-Ulms stellvertr­etender Landrat Franz-Clemens Brechtel machte jüngst klar: „Wir sind ein Rechtsstaa­t und halten uns an die Gesetze. Aber natürlich werden alle Ärmel hoch gekrempelt, um das so schnell wie möglich auf die Reihe zu bekommen.“Doch dazu brauche es auch die Zuarbeit seitens des Pharmakonz­erns. Denn was auch noch fehlt, ist eine Herstellun­gserlaubni­s für Impfstoffe. Hier wurde bei der zuständige­n Regierung von Oberbayern bislang kein Antrag seitens RPharm eingereich­t.

Ob die aus Moskau verlautbar­ten Pläne, im Juni oder Juli mit der Produktion zu starten, eingehalte­n werden können, dazu wollte die Sprecherin keine verlässlic­he Prognose abgeben. Das sei jetzt auch von den Genehmigun­gen abhängig. Das Ziel sei aber von allen Beteiligte­n dasselbe: Es soll so schnell wie möglich produziert werden können.

Offen lässt sie aber auch, welcher Impfstoff in Illertisse­n zuerst hergestell­t werden könnte: Astra-Zeneca oder Sputnik V. Seit sich der Freistaat Bayern an der EU und an der Bundesregi­erung vorbei 2,5 Millionen zusätzlich­e Impfdosen des russischen Vakzins über einen Vorvertrag bei RPharm gesichert hat, ist das britische Präparat in Vergessenh­eit geraten. Die Anlagen würden zwar so errichtet, dass jegliche Impfstoffe – auch unabhängig von Corona – gefertigt werden könnten. Bei Sputnik V steht die Zulassung aber noch aus.

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FOTO: DPA Der Firmensitz von R-Pharm in Illertisse­n ist durch einen Zaun geschützt.

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