Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Spahn verweigert uns den Impfstoff“
Baden-Württembergs Gesundheitsminister Lucha beklagt fehlende Lieferungen und Informationen aus Berlin
STUTTGART - Eigentlich hatte sich das Land zum Ziel gesetzt, bis zum Ende des Sommers 70 Prozent der Baden-Württemberger geimpft zu haben. Doch die Impfkampagne stockt. Am Montag schlug das Zentrale Impfzentrum in Ulm Alarm: Schon Anfang kommender Woche könnte der Impfstoff dort aufgebraucht sein. Dabei war angekündigt gewesen, dass die Impfzentren im Mai unter Volllast laufen – dann könnten sie immerhin 60 000 Menschen pro Tag impfen. „Vor vier Wochen hat uns Bundesgesundheitsminister Spahn gesagt, ich liefere euch im Mai so viel Impfstoff, dass ihr nicht wisst, wohin damit“, sagt Südwest-Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne). Halten wird Spahn dieses Versprechen offenbar nicht. Im Gespräch mit Theresa Gnann erklärt Lucha, wie es jetzt weitergehen soll.
Herr Lucha, eigentlich sollte die Impfkampagne jetzt auf Hochtouren laufen, doch Impfzentren wie Ulm müssen die Notbremse ziehen und können vorerst keine Ersttermine mehr vergeben. Was läuft schief ?
Es ist paradox. Aber es liegt weder an uns noch an den Ulmern. Wir sind gewissermaßen Opfer unserer eigenen Qualität. Vor vier Wochen hat uns Bundesgesundheitsminister Spahn gesagt, ich liefere euch im Mai so viel Impfstoff, dass ihr nicht wisst, wohin damit. Daraufhin haben wir den Impfzentren gesagt, sie sollen keine Rückstellungen mehr machen. Zentren wie Ulm liefen daraufhin auf Volllast. Das Problem ist jetzt: Wir kriegen wöchentlich landesweit nach wie vor nur 322 000 Dosen vom Bund garantiert. Auch im Juni soll es nur geringfügig mehr sein. Wir könnten aber ohne Weiteres viel mehr impfen. Aber Bundesminister Spahn verweigert uns den Impfstoff und sagt uns nicht, woran es liegt und wann mehr Impfstoff kommt. Wir haben jetzt 92 Prozent des gesamten gelieferten Impfstoffs verbraucht. Im Augenblick gibt es noch knapp 400 000 Dosen in den Impfzentren. Wenn die weg sind, ist alles aufgebraucht und wir sind auf die ankommenden Impfstoffmengen angewiesen.
Gleichzeitig scheint es Fälle zu geben, in denen Hausärzte den Impfstoff nicht loswerden und dann auch abseits der Impfreihenfolge impfen. Wie erklären Sie sich dieses Ungleichgewicht?
Tatsächlich bekommen wir Meldungen, dass Astrazeneca bei den Hausärzten nicht gut läuft. In den Impfzentren ist das anders. Da wird um jede Dosis gebettelt. Aber wie viele Dosen an uns Länder für die Impfzentren gehen und wie viele Dosen an die Hausärzte gehen, wird in Berlin entschieden, nicht in Stuttgart.
Wie wollen Sie das Problem in den Griff bekommen?
Zum einen brauchen wir noch einmal eine Werbekampagne für Astrazeneca. Ich bin ja selbst damit geimpft, genau wie der Ministerpräsident. Wir müssen den Menschen klarmachen, dass das ein hochwirksamer Impfstoff ist. Ein zweiter Schritt ist, dass wir die Priorisierungen bei den niedergelassenen Ärzten aufgeben werden – wahrscheinlich ab übernächster Woche. Während die Impfzentren also weiterhin die berechtigten Gruppen abarbeiten werden, sollen die Hausärzte dann einfach impfen, wen sie wollen.
Kritik gibt es auch daran, dass an jeden Landkreis gleich viele Dosen vergeben werden – unabhängig von der Einwohnerzahl. Steuern Sie auch hier nach?
Das haben wir inzwischen getan. Wir verteilen den Impfstoff jetzt differenzierter an die Kreisimpfzentren – je nach Bevölkerungsstruktur und Auslastung. Heute morgen haben wir zum Beispiel zusätzlichen Impfstoff in den Landkreis Sigmaringen geschickt. Dort war der Bedarf besonders groß, während andere Zentren noch größere Rücklagen hatten.
Die Impfzentren fürchten, dass sie langsam ausgetrocknet werden sollen. Ist diese Sorge berechtigt? Natürlich wollen wir schnellstmöglich in die Regelversorgung. Aber wir gehen jetzt gestuft vor: Bis 30. Juni stehen die Impfzentren fix. Danach werden wir sie aufrechterhalten, so lange wir sie brauchen – maximal bis zum 30. September.