Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Palmer-Rauswurf stößt auf Widerspruch
Tübinger OB hat auch Unterstützer – Warum sich einige Grüne hinter ihn stellen
RAVENSBURG - Boris Palmer hat einmal mehr seine Partei gegen sich aufgebracht – und dieses Mal wollen die Grünen ihn endgültig loswerden. Jedenfalls mehrheitlich. Doch mit dem Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz, die sich am Samstag mit Dreiviertelmehrheit für ein Parteiordnungsverfahren ausgesprochen hat, hadert auch manch ein GrünenMitglied.
Elmar Braun ist ein Urgestein der Grünen in Oberschwaben. Seit 1991 amtiert er als Bürgermeister in Maselheim (Landkreis Biberach), er war der erste grüne Rathauschef in Baden-Württemberg überhaupt. „Was Boris Palmer geschrieben hat, ist obszön und vulgär, auch wenn man es als Zitat übernimmt. Aber Boris Palmer ist bestimmt nicht rassistisch“, sagt Braun im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Palmers Aussage war unklug. Aber einen Parteiausschluss wird die Aussage meiner Meinung nach nicht tragen. Am Ende wird uns, der Partei, das Ausschlussverfahren mehr schaden als ihm.“
Anlass für den Rauswurf-Beschluss waren Äußerungen Palmers in sozialen Medien. Der Tübinger Rathauschef hatte sich am Freitag in die Debatte um die Ex-Profifußballer Dennis Aogo und Jens Lehmann eingeschaltet. Aogo sei „ein schlimmer Rassist“, schrieb Palmer. „Hat Frauen seinen N***schwanz angeboten.“Damit zitierte er eine – unbelegte – Behauptung einer anderen Nutzerin. Das rassistisch belegte N-Wort schrieb er aus. Später berief er sich auf Satire.
Für Braun ist dieser Begriff ein „Unwort“. „Das benutzt man nicht, und das hat nichts mit Cancel Culture zu tun, sondern das gehört sich einfach nicht.“Palmer aus der Partei zu werfen, sei dennoch falsch. Schließlich werde den Grünen immer wieder das Image der Verbotspartei angehängt. „Wenn man das weiß, und wenn man weiß, dass man mit einem Ausschlussverfahren nicht durchkommt, dann darf man doch nicht zu einer Unzeit so etwas anfangen“, sagt Braun mit Blick auf den Delegiertenbeschluss.
Palmer selbst meldete sich am Montag noch einmal auf Facebook zu Wort. Die Aussage sei nicht kalkuliert gewesen, und er habe auch nicht provozieren wollen. schrieb er. „Ich hatte keine Ahnung, welches Erdbeben ich da mal wieder auslöse.“Grünen-Landesvorsitzender
Oliver Hildenbrand hatte am Wochenende von „kalkulierten Ausrutschern und inszenierten Tabubrüchen“gesprochen.
In den vergangenen Monaten hatte Palmer zur Abwechslung einmal Schlagzeilen gemacht, die seiner Partei besser gefallen haben dürften als das, was sie aus dem Tübinger Rathaus normalerweise gewohnt sind. Als Corona-Krisenmanager setzte der Oberbürgermeister das „Tübinger Modell“mit weitgehenden Öffnungen bei gleichzeitig massenhaften Tests um, zeitweise galt es bundesweit als Vorbild.
Doch mit seinen jüngsten Äußerungen ist Palmer zurück in der Rolle des Provokateurs, der seine Parteifreunde fast schon gewohnheitsmäßig gegen sich aufbringt. Meist sind es Aussagen zu Flüchtlingen oder Migranten weit jenseits der Parteilinie, mit denen Palmer aneckt. Gern arbeitet er sich an linker „Identitätspolitik“ab – im April 2019 kritisierte er etwa eine Werbung der Deutschen Bahn, in der nur Menschen mit erkennbarem Migrationshintergrund dargestellt wurden. „Welche Gesellschaft soll das darstellen?“, fragte er damals.
Isoliert ist Palmer aber nicht. Als der Landesvorstand im Mai 2020 beschloss, Palmer bei künftigen Kandidaturen nicht mehr zu unterstützen, protestierten mehr als 80 GrünenMitglieder in einem Appell an den Landesvorstand. Koordinatorin des Unterstützerschreibens vom vergangenen Jahr war Uschi Eid, langjährige Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg und ehemalige Staatssekretärin im Entwicklungsministerium, heute Präsidentin der Deutschen Afrika Stiftung. Damals wie heute wirft sie dem Parteivorstand der Südwest-Grünen Führungsversagen vor. „Der Landesvorstand hat die Aufgabe, Diskussionen und nicht Parteiausschlüsse zu organisieren“, kritisiert Eid. Palmers Zitat vom N***schwanz sei widerlich und vulgär. Als Oberbürgermeister sage man so etwas nicht. „Aber die Grünen müssen lernen zu differenzieren und nicht immer gleich die Rassismuskeule rauszuholen.“
Schon im vergangenen Jahr, sagt Eid, hätte der Landesvorstand eine Debatte über Identitätspolitik anstoßen müssen. Doch das Schreiben der Palmer-Unterstützer sei nicht aufgegriffen worden, stattdessen habe der Vorstand eine Liste problematischer Aussagen Palmers verbreitet. Für Eid sind das „stalinistische Methoden“: „Ich kam mir vor wie in einer K-Gruppe in meiner Studentenzeit, wo einem Verfehlungen vorgehalten wurden und man dann Selbstkritik üben musste.“Die baden-württembergische Landespartei wollte den Vorwurf auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“nicht kommentieren.
Auch auf Bundesebene haben sich Grüne zusammengefunden, die sich „gegen identitären Fundamentalismus“bei den Grünen wenden. „Es ist richtig und wichtig Rassismus und Diskriminierung entschieden entgegenzutreten“, heißt es in einem von mehr als 80 Grünen-Mitgliedern unterzeichneten Papier. „Unsere Kritik ist aber, dass die Identitätspolitik umschlägt in Selbstgerechtigkeit, Selbsterhöhung und neue Denkverbote, wie es zurzeit im Namen der ,Diversity‘ und des Postkolonialismus geschieht. Dieses ist in unseren Augen ein Angriff auf die Freiheit.“
Das Papier datiert vom März diesen Jahres. Uschi Eid hat es mitgezeichnet, ebenso wie Elmar Braun – und auch Boris Palmer. Die Parteispitze in Berlin, kritisiert Eid, habe die Wortmeldung bislang ignoriert.